Um die Häufigkeit von Long COVID verlässlich zu schätzen, sind bevölkerungsrepräsentative kontrollierte Studien mit ausreichender Nachbeobachtungszeit notwendig, die einen Vergleich von Personen mit und ohne durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion ermöglichen. Mit wachsender Immunität in der Bevölkerung nach durchgemachten SARS-CoV-2-Infektionen, Reinfektionen und/oder COVID-19-Impfungen wird die Durchführung kontrollierter Studien jedoch zunehmend erschwert. Bereits zu Beginn der Pandemie beinhaltete der Großteil der Studien zu Long COVID keine Kontrollgruppe. Darüber hinaus gelangen verschiedene Studien zu sehr unterschiedlichen Schätzungen der Häufigkeit von Long COVID, je nach zugrundeliegender Long COVID Definition, verwendeten Erhebungsinstrumenten und Erhebungsmethode (z. B. Selbstbefragung oder Registerdaten), Zusammensetzung der Studienpopulation, Dauer der Nachbeobachtungszeit, oder Einbezug weiterer prognostischer Faktoren (z. B. Schwere der akuten COVID-Erkrankung oder vorbestehenden chronischen Krankheiten). Ein Großteil der Studien bezieht sich zudem lediglich auf das Vorhandensein unspezifischer Symptome – ohne Berücksichtigung der alltäglichen Funktionsfähigkeit oder gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Folglich verzeichnet ein Umbrella Review teils sehr hohe Gesamtprävalenzen in bisherigen systematischen Reviews und Meta-Analysen zu Long COVID-Symptomen, verweist jedoch für die Interpretation auf eine stark eingeschränkte Aussagekraft aufgrund der großen methodischen Heterogenität der einzelnen (größtenteils unkontrollierten) Studien.
Bevölkerungsbasierte Studien berichten größtenteils Prävalenzen für Long COVID zwischen 5 % und 10 % bei Personen mit vorangegangener SARS-CoV-2-Infektion unter Berücksichtigung von Symptomen im Zeitraum von mind. drei Monaten nach Infektion in Anlehnung an die vorläufige Falldefinition von Post-COVID-19 der WHO. Anhand einer multizentrischen, gepoolten Analyse von bevölkerungsbasierten Kohortenstudien aus 22 Ländern wurde die globale Häufigkeit für Long COVID-Symptome drei Monate nach einer symptomatischen SARS-CoV-2-Infektion auf insgesamt 6,2 % geschätzt, unter Adjustierung für vorbestehende Gesundheitsprobleme sowie für das allgemeine Vorliegen von Symptomen in der Bevölkerung, welche nicht mit einer Infektion in Verbindung stehen. Darüber hinaus zeigte eine Kohortenstudie aus Schottland, dass bei insgesamt 6,6 % der Infizierten nach sechs Monaten mind. ein mit der vorangegangenen SARS-CoV-2-Infektion in Zusammenhang stehendes Symptom vorlag, unter Berücksichtigung von Vorerkrankungen, Impfstatus und Virusvariante. In einer niederländischen Kohortenstudie ließen sich die berichteten Symptome im Zeitraum von drei Monaten nach einer SARS-CoV-2-Infektion bei einem von acht infizierten Erwachsenen (12,7 %) auf eine COVID-19-Erkrankung zurückführen. Diese Studie beinhaltete eine Kontrollgruppe mit nicht infizierten Vergleichspersonen und berücksichtigte auch mögliche Symptombelastungen vor der Infektion. US-amerikanische Querschnittsdaten zeigten, dass im August/September 2024 8,7 % der Erwachsenen, die schon einmal eine COVID-19-Erkrankung hatten, aktuell Long COVID berichteten (unter Berücksichtigung von neu aufgetretenen Symptomen drei Monate nach Infektion). Basierend auf einer aktuellen bevölkerungsrepräsentativen Querschnittsstudie aus Frankreich betrug die Häufigkeit für mind. ein Symptom im Zeitraum von drei Monaten nach Infektion mit mind. zwei Monaten Dauer sowie mind. leichter funktioneller Beeinträchtigung 8 % bei SARS-CoV-2-Infizierten. In einer Kohortenstudie aus Deutschland wurde die Häufigkeit von neu aufgetretenen Symptomen im Zeitraum von sechs bis 12 Monaten nach einer SARS-CoV-2-Infektion auf mindestens 6,5 % bei überwiegend nicht hospitalisierten Patientinnen und Patienten geschätzt. Neben den berichteten Symptomen wurden hier auch eine Beeinträchtigung der Alltagsfunktion sowie eine reduzierte arbeitsbezogene Leistungs- und Funktionsfähigkeit berücksichtigt. Die RECOVER-Initiative der US-National Institutes of Health schätzte die Häufigkeit von Long COVID-assoziierten Symptomen basierend auf einem eigens entwickelten Score bei Infizierten im Zeitraum von sechs Monaten nach Infektion mit der Omikron-Variante auf 10 %, bei nicht-Infizierten betrug die Häufigkeit für entsprechende Symptome 4,6 %. Eine Meta-Analyse von gepoolten Daten aus zehn Kohortenstudien und administrativ erfassten Gesundheitsdaten aus UK zeigte, dass die Häufigkeit von Long COVID-Symptomen mit funktionellen Einschränkungen im Alltag nach drei Monaten zwischen 1,2 % und 4,8 % liegt.
Übereinstimmend berichten systematische Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen, dass die Häufigkeit von Long COVID-Symptomen bei Erwachsenen mit schweren COVID-19-Verläufen und Hospitalisierung höher liegt als bei milden Verläufen (Luo et al. 2024; Kelly et al. 2023; O‘Mahoney et al. 2023). Dies zeigt sich auch anhand der multizentrischen, gepoolten Analyse von Daten aus 22 Ländern: So lag die Prävalenz bei Erwachsenen mit intensivmedizinischer Behandlung aufgrund von COVID-19 (43,1 %) sowie Hospitalisierten ohne intensivmedizinische Behandlung (27,5 %) deutlich höher als bei nicht-Hospitalisierten (5,7 %). Da der Großteil der an SARS-CoV-2 Infizierten einen milden Verlauf haben, machen diese jedoch insgesamt mehr als 90 % der Long COVID-Fälle aus.
Analysen von administrativ erfassten Gesundheitsdaten gelangen insgesamt zu niedrigeren Prävalenzschätzungen für Long COVID im Vergleich zu Selbstangaben in Befragungsdaten. Beispielsweise lag die Prävalenzdifferenz zwischen Infizierten und nichtinfizierten Kontrollpersonen in einer norwegischen Studie mit Registerdaten für ärztlich diagnostizierte pulmonale, neurologische oder allgemeine Beschwerden im Zeitraum von fünf bis sechs Monaten nach initialem SARS-CoV-2-Test nur zwischen 0,5 % und 2,5 %. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Prävalenz von Long COVID auf Basis von Sekundärdaten eher unterschätzt wird, da hier nicht alle Menschen mit Long COVID erfasst werden, z. B. aufgrund der ärztlichen Kodierpraxis sowie dem Inanspruchnahmeverhalten der Betroffenen. So zeigte sich etwa anhand einer Studie in Westaustralien (einer hoch geimpften Bevölkerung, deren erste größere Exposition durch SARS-CoV-2 während der Omikron-Welle 2022 erfolgte), dass nur 38,7 % der Befragten mit berichteten Long COVID-Symptomen zwei bis drei Monate nach der akuten Infektion wegen damit zusammenhängender gesundheitlicher Probleme einen Arzt aufsuchten (insgesamt 7,1 % der Infizierten). In Deutschland lag die Häufigkeit für einen dokumentierten Post-COVID-Zustand (ICD-Code U09.9!) bei vertragsärztlich versorgten COVID-19-Patientinnen und -Patienten während der 2. und 3. Pandemiewelle (4. Quartal 2020 bis 3. Quartal 2021) nach Angaben des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) bei insgesamt 8,7 %. Dies entspricht 7,6 % bezogen auf die COVID-19-Fallzahlen der Meldedaten gemäß IfSG. Im zeitlichen Verlauf der Pandemie wurde die höchste Behandlungsprävalenz im zweiten Quartal 2022 mit 371.705 Fällen (0,5 %, 50 je 10.000 GKV-Versicherte) beobachtet, seitdem sind die Zahlen rückläufig.
Tatsächlich deutet sich im zeitlichen Verlauf der Pandemie ein Rückgang der Häufigkeit von Long COVID an. So zeigte ein systematisches Review bereits Ende 2022, dass sich die Häufigkeit von Long COVID je nach Virusvariante unterscheiden könnte. Seitdem gibt es weitere Hinweise darauf, dass die Häufigkeit von Long COVID bei Infektionen mit aktuellen SARS-CoV-2-Varianten wie Omikron und seinen Untervarianten im Vergleich zu früheren Varianten insgesamt niedriger ist (Beale et al. 2024; Hedberg & Nauclér, 2024; Swift et al. 2024). Aktuelle Studien deuten jedoch darauf hin, dass sich der rückläufige Trend der Inzidenz von Long COVID auf verschiedene Faktoren zurückführen lässt. Neben möglichen Unterschieden in der Pathogenität der Varianten ist insbesondere die erhöhte Immunität in der Bevölkerung aufgrund von früheren Infektionen und Impfungen (s. FAQ
Sind Faktoren bekannt, die das Risiko für Long COVID beeinflussen?) relevant (Caspersen et al. 2025; Mikolajczyk et al. 2024; Xie et al. 2024; Hori et al. 2024; Valdivieso-Martinez 2024; Ballouz et al. 2023; Thaweethai et al. 2023). Aufgrund der hohen SARS-CoV-2-Infektionszahlen und des weiterhin bestehenden Risikos für Long COVID sowie der kumulativen Zunahme an Fällen mit länger anhaltenden Beschwerden ist allerdings auch weiterhin eine hohe Prävalenz von Long COVID zu erwarten. Eine abschließende Bewertung zu zeitlichen Trends ist jedoch durch die Notwendigkeit, das Zusammenspiel verschiedener Einflussfaktoren zu berücksichtigen und die Heterogenität der Studien insgesamt erschwert, wie auch eine Studie aus Frankreich zeigt. Darüber hinaus ist auch die Rolle von Reinfektionen (s. FAQ
Sind Faktoren bekannt, die das Risiko für Long COVID beeinflussen?) im Hinblick auf das Risiko für Long COVID noch nicht abschließend geklärt.
Des Weiteren gibt es Hinweise darauf, dass das Risiko für längerfristige gesundheitliche Folgen nach einer SARS-CoV-2-Infektion insgesamt höher ist als nach einer Influenza-Infektion, wobei Beschwerden multipler Organsysteme charakteristisch für Long COVID zu sein scheinen (Xie et al. 2024; Liu et al. 2023; Fung et al. 2023; Taquet et al. 2021a; Taquet et al. 2021b). Auch anhand einer Analyse von Daten der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland zeigte sich, dass Long COVID-assoziierte Symptome und seltene Organschädigungen im Zeitraum von drei bis 18 Monaten nach Infektion in der Gruppe mit an COVID-19 Erkrankten häufiger waren als bei nicht-infizierten oder mit Influenza infizierten Kontrollpersonen (während der Grippewelle 2017/2018). Die Persistenz der Symptome ähnelte sich jedoch zwischen der COVID-19-Kohorte und der Influenza-Kontrollgruppe. Darüber hinaus besteht bei Menschen, die aufgrund von COVID-19 im Krankenhaus behandelt werden mussten, im Vergleich zu Hospitalisierten wegen einer Influenza ein höheres Sterberisiko, ein erhöhtes Risiko für eine erneute Krankhauseinweisung und eine höhere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen in Nachbeobachtungszeiträumen zwischen sechs bis 18 Monaten nach Infektion (Xie et al. 2024; Oseran et a. 2023; Liu et al. 2023; Al-Aly et al. 2021).
Stand:
20.02.2025
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