Neuberufung der Nationalen Kommission für die Polioeradikation
Stand: 12.06.2023
Die am Robert Koch-Institut angesiedelte Nationale Kommission für die Polioeradikation in Deutschland (Poliokommission, National Certification Committee – NCC) wurde vom Bundesministerium für Gesundheit für die Periode 2023 – 2026 neu berufen. Die konstituierende Sitzung fand am 26. April 2023 statt.
In der aktuellen Berufungsperiode hat die Kommission 11 ständige Mitglieder. Die Kommission setzt sich zusammen aus Expertinnen und Experten der Virologie, Epidemiologie, des öffentlichen Gesundheitsdienstes und relevanter klinischer Fachrichtungen (Neurologie und Neuropädiatrie).
Die Mitglieder sind ehrenamtlich tätig. Die Geschäftsstelle der Poliokommission ist am Robert Koch-Institut angesiedelt.
Neu berufenes Mitglied ist Prof. Peter Huppke (Klinik für Neuropädiatrie der Universität Jena). Zum Vorsitzenden wurde Prof. Hans-Iko Huppertz (Kinder- und Jugendmediziner i.R. aus Bremen) gewählt, zur Stellvertreterin Prof. Uta Meyding-Lamadé (Chefärztin der Neurologischen Klinik im Krankenhaus Nordwest, Frankfurt am Main).
Die NCC hat die Aufgabe, die in Deutschland getroffenen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Poliofreiheit zu begleiten und bis zur Erreichung der weltweiten Poliofreiheit weiter zu unterstützen. Sie nimmt die Aufgabe der nationalen Zertifzierungskommission auf Grundlage der jeweiligen Empfehlungen der Globalen Zertifizierungskommission der WHO wahr. Auf der NCC-Sitzung wurde der jährlich an die Regionale Zertifizierungskommission (RCC) der WHO einzureichende Bericht erarbeitet und diskutiert. Auf dessen Grundlage wird das Risiko für eine Weiterverbreitung von Polioviren nach einem möglichen Import ermittelt. Derzeit wird Deutschland ein niedriges Risiko attestiert. Grundlage für die Risikobewertung eines Landes durch die WHO sind die Qualität der Poliosurveillance und die Durchimpfungsraten. In Deutschland wird die Polioüberwachung über eine freiwillige und kostenfreie Enterovirussurveillance bei Patienten mit Verdacht auf aseptische Meningitis/Enzephalitis und Akuten Schlaffen Paresen (AFP) umgesetzt.
Zusätzlich zur syndromischen Surveillance kann auch der Nachweis von Polioviren im Abwasser als effektives Frühwarnsystem eingesetzt werden. Wiederholte Poliovirusnachweise im Abwasser über einen definierten Zeitraum und/oder in unterschiedlichen Kläranlagen deuten auf eine Zirkulation der Viren hin und können gegebenenfalls dazu beitragen, Maßnahmen einzuleiten (z. B. Impfungen anzubieten oder die syndromische Surveillance zu intensivieren). Die Testung von Abwasser auf Polioviren wird aktuell im Rahmen eines Pilotprojektes am NRZ Poliomyelitis und Enteroviren unter dem Aspekt der Praktikabilität etabliert. Die Ergebnisse wurden der NCC vorgestellt und diskutiert.
Die Impfraten in Deutschland werden sowohl über die Schuleingangsuntersuchungen (SEU) aber auch über Daten der KV-Impfsurveillance (Rieck T et al. Epid Bull 2018;1:1-14) erfasst. Die SEU sind auf die Altersgruppe der 4 – 7-jährigen Kinder beschränkt und sind abhängig von dem Vorhandensein und der Aktualität der Daten in den Impfausweisen. Die Daten der KV-Impfsurveillance sind auch für andere Altersgruppen auswertbar. Die WHO fordert eine 95%ige Durchimpfungrate mit 3 Impfdosen bei Kindern bis zum Erreichen des ersten Lebensjahres. Die Impfraten aus den SEU sind in den letzten Jahren leicht rückläufig und liegen derzeit bei ca. 92% (SEU 2020). Die KV Impfsurveillance gibt die Durchimpfungsrate bei 15 Monate alten Kindern (geb. 2019) mit 90% an (Rieck T et al. Epid Bull 2022;48:3-25).
Auch die globale Poliosituation wurde diskutiert. Das bisherige Ziel der GPEI, die Zirkulation von Poliowildviren (WPV) bis 2023 zu beenden, wurde nicht erreicht. In Afghanistan und Pakistan sind WPV1 noch immer endemisch (2022: n = 22). Darüber hinaus wurden WPV1 in 2021/2022 von Pakistan über Malawi nach Mozambik eingeschleppt (2022: n = 8). Afrika wurde erst 2020 poliofrei zertifiziert. Der neue WHO-Strategieplan für den Zeitraum 2022 – 2026 beschreibt daher geeignete Maßnahmen für die Beendigung der Transmission von WPV bis Anfang 2024 und auch von VDPV bis 2028.