Antworten auf häufig gestellte Fragen (FAQ) zu Poliomyelitis mit Schwerpunkt Abwasseruntersuchung
Stand: 11.02.2025
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Poliomyelitis („Kinderlähmung“) ist eine hochansteckende Krankheit, die vor allem Kinder unter fünf Jahren betrifft und bei nicht ausreichend immunisierten Personen zu dauerhaften Lähmungen führen kann. Sie wird hauptsächlich fäkal-oral (über Kontaktinfektion) übertragen. In Ländern mit hohen Hygienestandards spielt eine respiratorische Übertragung (durch Tröpfchen) vermutlich eine größere Rolle, da sich die Viren zuerst im Rachen vermehren. Impfungen verhindern die Krankheit, nicht jedoch die Ansteckung (Infektion). 1988 hat sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Ziel gesetzt, Poliomyelitis weltweit durch Impfprogramme zu eradizieren. Polio-Wildviren vom Typ 2 und Typ 3 sind mittlerweile ausgerottet, Polio-Wildviren Typ 1 kommen noch in Afghanistan und Pakistan vor. In einigen Ländern zirkulieren zudem Polioviren, die vom Schluckimpfstoff abgeleitet sind (siehe FAQ „ Was sind Impfstoff-abgeleitete Polioviren (vaccine-derived polio virus, VDPV)?“) und die bei unzureichend Geimpften zu Erkrankungen führen können (siehe „ Was ist der Unterschied zwischen Impfviren und Schluckimpfstoff-abgeleiteten Polioviren?“). Diese Impfviren und Schluckimpfstoff-abgeleiteten Viren können auch nach Deutschland importiert werden. Siehe auch RKI-Ratgeber zu Poliomyelitis und FAQ des RKI zur Schutzimpfung gegen Poliomyelitis.
Stand: 09.12.2024
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Weltweit existieren zwei Arten von Polio-Impfstoffen: eine Schluckimpfung, die abgeschwächte vermehrungsfähige Impfviren enthält (oral polio vaccine, OPV); und ein inaktivierter Impfstoff (inactivated polio vaccine, IPV), der in den Muskel gespritzt wird.
Die Schluckimpfung ist sehr effektiv, frisch Geimpfte scheiden die abgeschwächten Impfviren aber eine Zeit lang aus. In Ländern, in denen die Schluckimpfung genutzt wird, ist dies sogar zu einem Teil erwünscht, weil so auch Menschen mit den abgeschwächten Impfviren in Kontakt kommen und immunisiert werden, ohne die eigentliche Schluckimpfung zu bekommen.
Wenn diese abgeschwächten Impfviren länger zirkulieren, können sie sich genetisch so verändern, dass sie wieder krank machend (pathogen) sind und bei Menschen, die nicht oder unzureichend geimpft sind, Lähmungen hervorrufen können. Dann spricht man von Schluckimpfstoff-abgeleiteten Polioviren (vaccine-derived poliovirus, VDPV).
Von zirkulierenden VDPV (cVDPV) spricht man, wenn genetisch übereinstimmende Impfstoff-abgeleitete Polioviren im Abwasser mehr als 60 Tage an einem Standort oder gleichzeitig an verschiedenen Orten nachgewiesen werden.
Da die Schluckimpfung derzeit noch in einigen Ländern eingesetzt wird, sind Nachweise von Impfviren im Abwasser nicht ungewöhnlich, auch in Ländern, die keine Schluckimpfung mehr nutzen. So wird in Deutschland seit 1998 ausschließlich IPV-Impfstoff verimpft, durch Reisende wurden aber bereits mehrfach Impfviren nach Deutschland gebracht und im Abwasser nachgewiesen.
Anhaltende Nachweise von zirkulierenden Schluckimpfstoff-abgeleiteten Viren (cVDPV) sind jedoch ungewöhnlich und können Menschen gefährden, die nicht ausreichend gegen Polio geimpft sind. Menschen, die vollständig gegen Polio geimpft wurden, sind sehr gut vor der Erkrankung durch Schluckimpfstoff-abgeleitete Polioviren (ebenso wie vor der Erkrankung durch Wild-Polioviren und abgeschwächten Impfviren) geschützt. Allerdings können sich auch vollständig Geimpfte mit (zirkulierenden) Schluckimpfstoff-abgeleiteten Viren infizieren und diese ausscheiden, ohne daran zu erkranken. Siehe FAQ des RKI zur Schutzimpfung gegen Poliomyelitis.
Stand: 11.02.2025
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Die Europäische Region gilt seit 2002 als Polio-frei. Um Erkrankungsfälle frühzeitig zu erkennen, gibt es in Deutschland eine bundesweite Enterovirussurveillance (Polioviren zählen zu den Enteroviren): Bei Hirnhautentzündungen, Gehirnentzündungen und dem Auftreten von akuten schlaffen Lähmungen sollen Kliniken Patientenproben von spezialisierten Laboren untersuchen lassen. Dieses Labornetzwerk wird vom Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren (NRZ PE) am Robert Koch-Institut koordiniert, das bei Bedarf auch eine weiterführende Diagnostik anbietet. Das NRZ PE ist auch Regionales Referenzlabor der WHO. Zusätzlich wird im NRZ PE im Rahmen eines Forschungsprojekts das Abwasser an einigen Standorten Deutschlands auf Polioviren untersucht. Die dabei nachgewiesenen Polioviren werden durch genetische Analysen (Sequenzierung) näher charakterisiert. Durch Abwassertestungen lassen sich auch zirkulierende Polioviren frühzeitig identifizieren – bevor Erkrankungen bei Menschen auftreten (siehe „ Wie funktionieren die Abwasseruntersuchungen?“).
Stand: 09.12.2024
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Abwasseruntersuchungen dienen als Frühwarnsystem, mit dem man sehr früh Hinweise auf eine mögliche Poliovirus-Zirkulation in der Bevölkerung erhalten kann. Seit Mai 2021 wird im Rahmen des Forschungsprojekts „PIA – Polioviren im Abwasser“ das Abwasser an einigen Standorten in Deutschland auf Polioviren untersucht. An PIA sind das NRZ PE, das Umweltbundesamt und weitere Kooperationspartner beteiligt.
Der Prozess ist zeitaufwändig. Zuerst müssen die Abwasserproben speziell aufbereitet werden. Da Polioviren – sofern sie im Abwasser vorhanden sind – nur in sehr geringen Mengen vorliegen, werden die Proben zunächst aufkonzentriert und anschließend in einer Zellkultur vermehrt, bevor das Erbgut der Polioviren untersucht werden kann. Erst durch die Analyse des Viren-Erbguts lässt sich u.a. bestimmen, um welche Art von Polioviren es sich handelt, also um ein Wildvirus, Impfvirus oder Impfstoff-abgeleitetes Virus.
Stand: 09.12.2024
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Generell zeigen Nachweise im Abwasser, dass es Menschen im Einzugsgebiet des Klärwerks gibt, die vom Schluckimpfung-abgeleitete Polioviren ausscheiden.
Die aktuellen Nachweise zeigen Viren, die bereits eine längere Zeit bestehen und sich genetisch verändert haben (VDPV). Außerdem weist der Nachweis an verschiedenen Standorten in Deutschland auf so genannte zirkulierende VDPV (cVDPV) hin. Siehe auch die Informationen im EpidBull 48/2024, 49/2024, 5/2025 und FAQ „Was ist der Unterschied zwischen Impfviren und Schluckimpfstoff-abgeleiteten Polioviren?“
Stand: 24.01.2025
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Im Moment wird das Abwasser im Rahmen des Forschungsprojekts PIA an mehreren Standorten in Deutschland regelmäßig auf Polioviren getestet: München, Mainz, Köln, Bonn, Düsseldorf, Dresden und Hamburg, hinzugekommen sind auch Berlin, Stuttgart und Frankfurt. Bis auf Frankfurt gab es in den jeweiligen Beprobungszeiträumen an allen Standorten Nachweise, siehe auch die Informationen im Epid Bull 5/2025. Dass der Erreger aktuell auch in anderen Regionen vorkommt, ist möglich.
Eine vollständige Impfung ist der wichtigste Schutz vor der Erkrankung. Aktuelle Polio-Impfquoten bei Kindern nach Bundesländern und Landkreisen sind bei VacMap abrufbar. Siehe „ Was kann man tun, um sich zu schützen?“
Stand: 11.02.2025
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Nicht oder nicht vollständig geimpfte Menschen, die sich mit cVDPV infizieren, können in seltenen Fällen an Poliomyelitis erkranken. Es ist daher möglich, dass in Deutschland vereinzelt cVDPV-Fälle unter nicht ausreichend geimpften Menschen auftreten. Bislang sind weder Verdachtsfälle noch bestätigte Erkrankungsfälle an das RKI übermittelt worden.
Stand: 12.12.2024
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Eine vollständige Impfung ist der wichtigste Schutz vor der Erkrankung.
Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollten gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) gegen Polio geimpft sein. Bestehende Impflücken sollten mit dem zu injizierenden inaktivierten Polio-Impfstoff (IPV) geschlossen werden. Siehe hierzu die Infografiken zur Überprüfung des Poliomyelitis-Impfschutzes für alle Altersgruppen, die Antworten auf häufig gestellte Fragen zur Polio-Impfung und die Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter www.impfen-info.de. Aktuelle Polio-Impfquoten bei Kindern nach Bundesländern und Landkreisen sind bei VacMap abrufbar.
Außerdem sollte immer auf eine gute Hygiene geachtet werden.
Stand: 12.12.2024
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Es ist möglich, dass in Deutschland vereinzelt cVDPV-Fälle unter nicht ausreichend geimpften Menschen auftreten. Daher wird die Ärzteschaft gebeten:
- Ärztinnen und Ärzte sollten unabhängig von einer Reiseanamnese an die Differenzialdiagnose Poliomyelitis denken.
- Bei Verdacht auf Poliomyelitis sollte zur Sicherung der Diagnose unverzüglich Kontakt mit dem Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren am Robert Koch-Institut aufgenommen werden. Für weitere Informationen zur Diagnostik siehe RKI-Ratgeber zu Poliomyelitis.
- Bereits der Verdacht auf Poliomyelitis ist nach § 6 Infektionsschutzgesetz (IfSG) sofort dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden. Die Meldung muss dem Gesundheitsamt spätestens 24 Stunden nach Auftreten des Verdachts vorliegen. Als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn diese traumatisch bedingt ist.
- Auch bei Patientinnen oder Patienten mit aseptischer Meningitis oder Enzephalitis sollten im Rahmen der Nationalen Enterovirussurveillance unentgeltlich Polioviren ausgeschlossen werden: Einsendescheine können hier angefordert werden.
- Die wichtigste Maßnahme zur Vorbeugung von Poliomyelitis ist die Polioimpfung. Ärztinnen und Ärzte sollten daher den Impfstatus u.a. von Kindern und bei Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben, zum Beispiel Geflüchtete und Asylsuchende, überprüfen und versäumte Impfungen so schnell wie möglich nachholen (siehe " Was kann man tun, um sich zu schützen?").
Stand: 11.02.2025
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Siehe hierzu den "Leitfaden für Gesundheitsämter zum Vorgehen bei Fällen von Poliomyelitis in der Bundesrepublik Deutschland" von der Nationalen Kommission für die Polioeradikation in der Bundesrepublik Deutschland und dem NRZ PE am Robert Koch-Institut.
Stand: 09.12.2024
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Das Abwasser spielt generell als Infektionsquelle für die Allgemeinbevölkerung keine Rolle. In Deutschland hat das Umweltbundesamt Expertise und Zuständigkeit für Abwasser.
Stand: 09.12.2024
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Unter www.rki.de/polio sind Informationen des RKI für die Fachöffentlichkeit zu finden, u.a. der RKI-Ratgeber mit Hinweisen zu Erkrankung, Prävention, Diagnostik und Therapie. Informationen zur Schutzimpfung gegen Poliomyelitis, darunter FAQ und Infografiken zum Überprüfen des Poliomyelitis-Impfschutzes, sind unter www.rki.de/polio-impfung abrufbar, Bürgerinformationen zum Impfen bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: www.impfen-info.de.
Stand: 09.12.2024