206. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
Analyse der Effekte von krankheitsassoziierten Mutationen in Genen, die für Komponenten des endolysosomalen Systems codieren, auf die zelluläre Ultrastruktur neuronaler Zellen.
Erteilt am 24.06.2025.
1. Genehmigungsinhaber
Max-Planck-Institut für Biophysik, Frankfurt am Main
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linie:
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linie.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Mutationen in Genen, die für Komponenten des endolysosomalen Systems codieren, sind zum einen mit lysosomalen Speicherkrankheiten, zum anderen aber teils auch mit neurodegenerativen Erkrankungen assoziiert. Im Rahmen der hier genehmigten Forschungsarbeiten soll daher untersucht werden, welche Effekte derartige Mutationen auf die Integrität und die Ultrastruktur des endolysosomalen Systems humaner neuronaler Zellen haben und auf welche Weise dies zur Pathogenese von lysosomalen Speicherkrankheiten sowie von neurodegenerativen Erkrankungen beitragen kann. Hierfür sollen zunächst die Differenzierung humaner embryonaler Stammzellen (hES-Zellen) zu (cortikalen) Neuronen etabliert und Vorgehensweisen entwickelt werden, um mithilfe der Expression von Reportergenen die Komponenten des endolysosomalen Systems (z.B. Lysosomen, Endosomen, Autophagosomen) für eine ultrastrukturelle Analyse mittels Kryo-Elektronentomographie zu markieren. Anschließend sollen diese Vorgehensweisen auf hES-Zellen angewendet werden, die Mutationen in Genen enthalten, die für Komponenten des endolysosomalen Systems codieren. Entsprechend genetisch veränderte hES-Zellen sollen zu Neuronen differenziert, in ihnen ggf. Komponenten des endolysosomalen Systems fluoreszenzmarkiert, die Zellen in einen vitrifizierten Zustand überführt, ultradünne Zellschichten präpariert und diese einer umfassenden Analyse ihrer zellulären Ultrastruktur mittels Kryo-Elektronentomographie unterzogen werden. Durch umfassende, teils durch maschinelles Lernen unterstütze Analysen der gewonnenen Daten sollen Veränderungen, beispielswiese in der Größe und Form von Zell- Organellen, in der zellulären Membran-Architektur, in der Membranzusammensetzung und -krümmung sowie im Membranabstand, detektiert und bewertet werden. Zudem sollen mögliche Veränderungen in der endosomal sorting complexes required for transport (ESCRT) und in der Autophagie-Maschinerie analysiert sowie Veränderungen im Lipidom und Proteom der betreffenden Zellen untersucht und mit Veränderungen in der Ultrastruktur korreliert werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung.
Fehlfunktionen des endolysosomalen Systems sind Ursache sog. lysosomaler Speicherkrankheiten, die häufig mit neuralen oder neurologischen Fehlfunktionen oder Entwicklungsstörungen verbunden sind. Ursache hierfür ist, dass toxische Proteinaggregate nicht im erforderlichen Maße abgebaut werden können, was zur Schädigung und ggf. zum Absterben der betroffenen Zellen führen kann. Auch das Risiko des Auftretens neurodegenerativer Erkrankungen ist u. a. mit der Präsenz von Mutationen in Genen assoziiert, die für Komponenten des endolysosomalen Systems codieren. Derartige Gendefekte führen ggf. zur Anreicherung toxischer Substrate, von denen neben anderen Organen vor allem bestimmte Neurone des Zentralnervensystems betroffen sind. Obwohl in den vergangenen Jahrzehnten umfangreiche Erkenntnisse über die Funktionen der von solchen Mutationen betroffenen Gene gewonnen wurden, sind die Auswirkungen der Mutationen auf die Ultrastruktur neuronaler menschlicher Zellen bislang nur unzureichend untersucht worden, und der Zusammenhang zwischen einer veränderten strukturellen Integrität des endolysosomalen Systems und veränderten zellulären Funktionen ist nur unzureichend verstanden.
Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten soll nun geklärt werden, welche Effekte die Präsenz einer Reihe von Mutationen, die mit lysosomalen Speicherkrankheiten assoziiert sind, auf die Ultrastruktur insbesondere von Endosomen/Lysosomen humaner neuronaler Zellen hat und wie dies zur Pathogenese neurodegenerativer Erkrankungen beitragen könnte. Ziel ist es, mit spezifischen Mutationen assoziierte Veränderungen in der Ultrastruktur der Endosomen/Lysosomen, aber auch in der Autophagie-Maschinerie der Neurone, zu identifizieren und daraus Rückschlüsse auf möglicherweise veränderte intrazelluläre Wechselwirkungen und eine verminderte Funktionsfähigkeit der Organellen zu ziehen. Dabei sollen die ultrastrukturellen Eigenschaften der Organellen wie Anzahl, Größe, Membrandicke, Membranabstand und Membrankrümmung in genetisch unveränderten und in mutierten menschlichen Neuronen bestimmt und verglichen werden. Die dabei zur Anwendung kommende Methodik der Kryo-Elektronentomographie lässt Analysen in für diese Fragestellung bislang nicht genutzter Auflösung im Sub-Nanometer-Bereich zu, wodurch beispielsweise auch Wechselwirkungen zwischen Proteinen und Lipiden und deren Veränderungen detektiert werden können. Auf diesem Wege soll entschlüsselt werden, welche ultrastrukturellen Veränderungen in der Folge der hier interessierenden pathogenen Mutationen auftreten, welche Organellen/Strukturen jeweils betroffen sind und wie sich dies ggf. auf deren Funktion und somit auf die Pathogenese der mit der entsprechenden Mutation assoziierten Erkrankung auswirkt. Daraus sollen dann Rückschlüsse auf zellbiologische Grundlagen des jeweiligen Pathogenesemechanismus gezogen werden. Darüber hinaus werden die geplanten Arbeiten aller Voraussicht nach auch zu neuen Erkenntnissen über die ultrastrukturellen Eigenschaften des endolysosomalen Systems in menschlichen neuronalen Zellen führen, die keine genetische Veränderung tragen, deren Ultrastruktur in Hinblick auf das endolysosomale System aber bislang nicht in der hier möglichen Auflösung und Detailtiefe untersucht worden ist.
Ferner sollen die Resultate der ultrastrukturellen Untersuchungen mit den Ergebnissen der Analysen des Proteoms/Lipidoms der betreffenden Zellen kombiniert und dadurch mögliche Korrelationen einer veränderten Struktur von Organellen und einer veränderten Zusammensetzung ihrer Membranen identifiziert werden. Hierdurch könnten Moleküle und Signalwege identifiziert werden, deren Funktion infolge der jeweiligen Mutationen verändert ist und deren veränderte Aktivität zu den ggf. beobachteten Unterschieden in der zellulären Ultrastruktur beitragen könnte, was weitere Rückschlüsse auf zellbiologische Grundlagen des jeweiligen Pathogenesemechanismus ermöglichen soll. Zudem soll untersucht und geklärt werden, ob und inwieweit die geschädigten und vermutlich dysfunktionalen Endosomen/Lysosomen einem veränderten Abbau unterzogen werden und ob auch auf diesem Wege zur Pathogenese neuraler Defizite bei lysosomalen Speicherkrankheiten bzw. zur Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen beigetragen wird.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind.
Die Rolle einer fehlerhaften Funktion des endolysosomalen Systems bei der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen ist gut belegt. Viele der in Blick genommenen Mutationen, deren Effekte auf die Ultrastruktur von Neuronen untersucht werden sollen, sind bereits in Tiermodellen untersucht worden. Dabei zeigte sich eine wesentliche Rolle des endolysosomalen Systems bei der Entstehung von neuralen Defekten, die im Laufe der mit diesen Mutationen assoziierten Erkrankungen auftreten. Entsprechende Hinweise ergeben sich beispielsweise aus einem Mausmodell der Farber-Krankheit, die durch das Fehlen eines funktionellen ASAH1-Gens verursacht wird, oder der Gaucher-Krankheit, die durch Mutationen im GBA1-Gen bedingt ist. Die Differenzierung humaner ES-Zellen zu (kortikalen) Neuronen ist umfangreich untersucht und in der Literatur beschrieben worden. Die hier interessierenden Mutationen mit Bezug zu lysosomalen Speicherkrankheiten sind im Ausland bereits in hES-Zellen eingeführt und die hES-Zellen umfassend charakterisiert worden. Die zur Anwendung kommenden aufwendigen Methoden, insbesondere auf dem Gebiet der Kryo-Elektronentomographie, sind beim Genehmigungsinhaber bereits etabliert. Weitere ggf. zur Anwendung kommende Vorgehensweisen, beispielsweise zur genetischen Modifikation von hES-Zellen oder zur Analyse des Lipidoms/Proteoms, sind ebenfalls in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Obwohl verschiedene Mausmodelle erheblich zum Verständnis der genetischen und molekularen Grundlagen von lysosomalen Speicherkrankheiten beigetragen haben, bestehen hinsichtlich des hier interessierenden endolysosomalen Systems teils deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Säuger-Spezies. Beispielsweise variiert der pH-Wert der Lysosomen je nach Modellorganismus, hinzu kommen Unterschiede in der Expression von Genen, die für lysosomale Enzyme codieren und deren Produkte in direktem Zusammenhang mit der Entstehung lysosomaler Speicherkrankheiten stehen. Darüber hinaus bestehen Unterschiede in der Lipidzusammensetzung, die ebenfalls einen signifikanten Einfluss auf ultrastrukturelle Eigenschaften und somit auf die Entstehung der hier interessierenden Erkrankungen haben können. Die Forschungsziele können nach gegenwärtigem Kenntnisstand auch nicht unter Verwendung anderer menschlicher Zellen als pluripotenter humaner Stammzellen erreicht werden. Immortalisierte Zellen können nicht genutzt werden, da diese Zellen entweder keine neuronalen Eigenschaften aufweisen oder nicht effizient in humane Neurone differenziert werden können. Primäre humane Neuronen, z. B. aus Biopsien von betroffenen-Patienten, stehen nicht oder nicht in der für die Projektdurchführung hinreichenden Mengen zur Verfügung, können in vitro derzeit nicht zu für die Projektdurchführung hinreichenden Zellmengen vermehrt werden und sind den für die Erreichung der Forschungsziele erforderlichen genetischen Veränderungen nicht im selben Maße zugänglich wie humane pluripotente Stammzellen. Gleiches gilt auch für (neurale) Stammzellen aus abgetriebenen menschlichen Föten.
Die Forschungsziele können nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht unter Verwendung humaner induzierter pluripotenter Stammzellen (hiPS-Zellen) erreicht werden. hiPS-Zellen können infolge einer unvollständigen Reprogrammierung ggf. das "epigenetische Gedächtnis" der somatischen Ursprungszelle beibehalten, so dass die Effektivität der Differenzierung von hiPS-Zellen in neurale Zellen teils sehr variabel ist. Darüber hinaus können hiPS-Zellen Mutationen akkumulieren, deren Effekte auf die hier interessierende Fragestellung ohne weiteres nicht abgeschätzt werden kann. Gerade für die hier geplanten Untersuchungen ist es zudem essentiell, dass die verwendeten Zellen keine altersbedingten Defekte in den Organellen aufweisen: in aus iPS-Zellen gewonnenen Neuronen finden sich jedoch häufig Spender-spezifische Schädigungen der Mitochondrien und Lysosomen, die zu einer Verfälschung der hier angestrebten Ergebnisse führen könnten. Zudem wurden 22 der hier interessierenden, mit lysosomalen Speicherkrankheiten assoziierten Mutationen im Ausland bereits in hES-Zellen der Linie H9 eingebracht und die resultierenden Klone umfassend bezüglich ihrer genetischen Integrität und ihrer Differenzierungsfähigkeit zu Neuronen charakterisiert. Diese (bereits mutierten) hES-Zellen sollen im genehmigten Forschungsvorhaben genutzt werden; hiPS-Zellen mit identischen Mutationen sind derzeit nicht verfügbar.