204. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz

Erteilt am 06.05.2025

Stand:  06.05.2025

1. Genehmigungsinhaber

Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg

2. Zell-Linien

Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:

  • H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
  • H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)

Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.

3. Angaben zum Forschungsvorhaben

Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen soll unter Nutzung humaner Gehirn-Organoide die Frage näher untersucht werden, welche molekularen Prozesse dem Übergang radialer Gliazellen zu (adulten) neuralen Vorläuferzellen (NVZ) im sich entwickelnden menschlichen Gehirn zugrundeliegen und auf welchem Wege, beispielsweise nach Verletzungen, Astrozyten in bestimmten Hirnregionen Stammzelleigenschaften erwerben können. Hierfür soll in hES-Zellen eine sog. DCM-Zeitmaschine (DCM Time Machine, DCM-TM) etabliert werden, die durch induzierbare Expression eines Fusionsgens aus einer bakteriellen DNA-Cytosin-Methyltransferase und RNA-Polymerase II spezifische (und in Eukaryoten unübliche) Methylierungsmuster auf transkribierten Genen hinterlässt, so dass die Analyse von in der Vergangenheit liegenden Transkriptionswahrscheinlichkeiten ermöglicht wird. Dieses System soll zunächst in hES-Zellen etabliert und optimiert werden. Aus mit der DCM-TM versehenen hES-Zellen sollen dann Hirn-Organoide gewonnen und die DCM-TM zu verschiedenen Zeitpunkten der Organoid-Entwicklung aktiviert werden. Durch simultane Analyse des Genoms, des Methyloms und des Transkriptoms in einzelnen Zellen der Organoide soll dann Aufschluss sowohl über frühere als auch über gegenwärtige Transkriptionsprofile gewonnen und auf diesem Wege Einblick in die Entwicklungspfade einzelner Zellen gewonnen werden. Im weiteren soll das regenerative Potential humaner NVZ und Astrozyten untersucht werden. Hierfür sollen aus DCM-TM-Organoiden isolierte NVZ und Astrozyten in verschiedene Bereiche des neonatalen Mausgehirns transplantiert und in 10 Monate alten (chimären) Mäusen nach Aktivierung der DCM-TM ein experimenteller Schlaganfall ausgelöst werden. Die Gehirne sollen dann zu verschiedenen Zeitpunkten nach dem Schlaganfall entnommen und das Genom, das Transkriptom und das Methylom einzelner Zellen mittels single-cell nucleosome, methylome, and transcriptome (scNMT)-Sequenzierung umfassend analysiert werden, wodurch Rückschlüsse auf die Reaktion einzelner Zellen auf ischämische Verletzung und auf ihre weitere Entwicklung gezogen werden sollen.

4. Hochrangigkeit der Forschungsziele

Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung.

Die molekularen Mechanismen, durch die Zellen der radialen Glia in einen quieszenten Zustand versetzt werden, sowie die zellbiologischen Grundlagen der Aktivierung von regenerativen Astrozyten nach neuronalen Traumata sind bislang nicht vollständig verstanden. Zur Untersuchung dieser offenen Fragen soll eine sog. DCM Time Machine (DCM-TM) in hES-Zellen etabliert, die hES-Zellen zu Gehirn-Organoiden differenziert und an diesen die Fragen nach der Provenienz neuraler Vorläuferzellen in reifen Organoiden sowie nach dem Mechanismus der Neuro-Regeneration durch Astrozyten nach Hirnverletzungen geklärt werden.

Nach stabiler Integration einer (induzierbaren) DCM-TM in hES-Zellen kann diese zu jedem Zeitpunkt der weiteren Entwicklung der Zellen durch Doxyzyklin-Gabe aktiviert werden, wodurch transkriptionell aktive Gene (dauerhaft) mit einer spezifischen Methylierung versehen werden. Durch gleichzeitige Analyse des Nukleosoms, des Methyloms und des Transkriptoms kann dann zu späteren Zeitpunkten die in der Vergangenheit liegende mit der gegenwärtigen Transkriptionsaktivität in einzelnen Zellen oder auf globaler Ebene verglichen werden. Durch Differenzierung der hES-Zellen zu Gehirn-Organoiden und Aktivierung der DCM-TM zu verschiedenen Zeitpunkten können die Herkunft und der Entwicklungspfad einzelner Zellen entschlüsselt werden, was bislang nicht möglich ist. Dies wird aller Voraussicht nach zum Verständnis darüber beitragen, wie Transkription und DNA-Methylierung zusammenwirken, um die Entwicklung neuraler Zellen zu steuern. Insbesondere werden Erkenntnisse darüber angestrebt, welche transkriptionellen Programme an der Entstehung neuraler Stammzellen aus radialen Gliazellen beteiligt sind, welche Signalübertragungswege hier wirksam sind und welche zellulären Faktoren involviert sind. Dies kann zu einem tieferen Verständnis von molekularen Prozessen während der menschlichen neuronalen Entwicklung beitragen.

Im weiteren Verlauf der Forschungsarbeiten sollen Astrozyten und neurale Vorläuferzellen aus zerebralen DCM-TM-Organoide isoliert, in das Gehirn neonataler Mäuse transplantiert und – nach Aktivierung der DCM-TM in entsprechend chimären adulten Mäusen – ihre weitere Entwicklung nach Induktion einer zerebralen Ischämie untersucht werden. Hierdurch sollen u.a. tiefere Einblicke in die Veränderungen des Methylierungsmusters gewonnen werden, die ggf. auch der Stammzellwerdung humaner Astrozyten zugrunde liegen und mit Veränderungen der Genaktivität und des Transkriptoms einhergehen. Durch simultane Analyse von Chromatin-Zugänglichkeit, Methylom und Transkriptom auf Einzelzellebene im Kontext chimärer Mäuse, die humane DCM-Neurone enthalten und in denen experimentell ischämische Verletzungen des Gehirns erzeugt werden, sollen neue genetische und epigenetische Regulatoren identifiziert werden, die an der Aktivierung humaner Vorläuferzellen und Astrozyten unter den Bedingungen einer Ischämie beteiligt sind. Dies soll zur Klärung der wesentlichen Frage beitragen, wie Veränderungen in der DNA-Methylierung menschlicher Astrozyten deren Entwicklung zu Zellen steuern, die Stammzelleigenschaften haben und zur Regeneration neuronalen Gewebes beitragen können. Anhand der mittels der Verwendung der DCM-TM identifizierten Veränderungen im Methylom können ggf. die an diesen Veränderungen beteiligten Genexpressionsprogramme und (ggf. unterschiedlich regulierte) Signalwege identifiziert werden, was zu einem erheblichen Erkenntnisgewinn auf dem Gebiet der Neuroregeneration beitragen kann.

Die Beantwortung von Fragen danach, wie humane Astrozyten/Vorläuferzellen auf einen Schlaganfall reagieren, welche konkreten molekularen Grundlagen die Reaktion dieser Zellen auf einen Schlaganfall hat, ob und in welchem Ausmaß diese Zellen geschädigtes Gewebe regenerieren können, sind auch für die Entwicklung künftiger Strategien der Gewebeersatztherapie nach Schlaganfällen von erheblicher Bedeutung. Zudem sollen die geplanten Forschungsarbeiten auch neue Erkenntnisse über Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Natur und Regulation der infolge einer Ischämie ausgelösten molekularen Prozesse bei Maus und Mensch erbringen.

5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen em­bryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen

Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind.

Die Tatsache, dass adulte neurale Stammzellen aus Zellen der radialen Glia hervorgehen und während der neuralen Entwicklung in einen quieszenten Zustand übergehen, ist hinlänglich bekannt. Die genauen Mechanismen, durch die radiale Gliazellen diesen quieszenten Zustand erreichen und so zum Pool der adulten NSZ beitragen, sind jedoch nicht vollständig verstanden. Obwohl bislang nur wenige Untersuchungen zur Rolle des zellulären Methyloms im Prozess der Entwicklung radialer Gliazellen zu adulten neuralen Vorläuferzellen vorliegen, ist aufgrund von Vorarbeiten des Antragstellers im murinen System davon auszugehen, dass in der Maus die DNA-Methylierung beim Übergang radialer Gliazellen zu adulten NSZ eine entscheidende Rolle spielt. Auch die Tatsache, dass Astrozyten der subventrikularen Zone teils ein regeneratives Potential haben und zur neuronalen Linie beitragen können, ist aus Mausmodellen seit langem bekannt. So wurde gezeigt, dass SVZ-Astrozyten die Vorläufer neu gebildeter Neurone in dieser Hirnregion waren und auch in vitro zur Bildung multipotenter Neurosphären in der Lage waren, wobei dieser Prozess im murinen System durch den Notch-Signalweg reguliert wird. Die Ergebnisse von beim Antragsteller durchgeführten aktuellen Untersuchungen weisen zudem darauf hin, dass die DNA-Methylierung ein Schlüsselfaktor für die Stammzelleigenschaften von Astrozyten im erwachsenen Mausgehirn ist.

Zentrale Bedeutung für den Erfolg des Forschungsvorhabens hat die Etablierung und Nutzung der DMC-TM in humanen ES-Zellen. Die DCM-TM war erst kürzlich entwickelt und u.a. in murinen ES-Zellen etabliert worden. Dabei wurde u.a. bestätigt, dass die durch die DCM-TM etablierten Methylierungsmuster auf Tochterzellen übertragen werden, ohne dass die Genexpression beeinträchtigt war. Die zur Erreichung der Forschungsziele ebenfalls unabdingbare Technologie zur simultanen Analyse von Genom, Methylom und Transkriptom auf Einzelzellebene ist beim Antragsteller weiterentwickelt und optimiert worden.

Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.

Die Erreichung der Forschungsziele erfordert die Nutzung menschlicher Zellen. Obgleich zahlreiche Fragestellungen zur Neurogenese und Gehirnentwicklung bei Säugetieren, die teils auch von großer Relevanz für das Verständnis dieser Prozesse bei Menschen sind, in Nager-Modellen, vor allem in der Maus, geklärt wurden, bestehen auch erhebliche Unterschiede zwischen Nagern und Mensch in der Physiologie und Entwicklung des Gehirns. Die Forschungsziele können nach gegenwärtigem Kenntnisstand auch nicht unter Nutzung anderer humaner Zellen als pluripotenter Stammzellen erreicht werden. Die Erreichung der Forschungsziele erfordert zum einen die Gewinnung humaner Gehirn-Organoide. Die reproduzierbare Herstellung von Organoiden, die die typischen Merkmale der frühen Gehirnentwicklung des Menschen aufweisen, ist aber bislang nur unter Nutzung pluripotenter Stammzellen als Ausgangsmaterial gelungen. Adulte neurale Stammzellen aus Gewebebiopsien sowie Stammzellen aus abgetriebenen menschlichen Föten haben frühe Stadien der Entwicklung neuraler Zellen bereits durchlaufen und stehen zudem in der für die Durchführung der Forschungsarbeiten ausreichenden Menge und erforderlichen reproduzierbaren Qualität nicht zur Verfügung.

Die Forschungsziele können nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht unter Verwendung humaner induzierter pluripotenter Stammzellen (hiPS-Zellen) erreicht werden. Die hier interessierenden Prozesse der Entstehung von NVZ aus radialer Glia und der Aktivierung von Stammzelleigenschaften in Astrozyten werden im Mausmodell maßgeblich durch Veränderungen auf epigenetischer Ebene, insbesondere durch eine Umgestaltung des Methyloms der betreffenden Zellen, ausgelöst. Die hier geplanten Untersuchungen sind folglich u. a. auf die Identifizierung (ggf. geringfügiger) epigenetischer und chromosomaler Veränderung gerichtet. hiPS-Zellen weisen jedoch ein weniger ursprüngliches Epigenom auf als hES-Zellen. Dies ist u.a. dadurch begründet, dass hiPS-Zellen durch Reprogrammierung aus somatischen Zellen gewonnen werden, was eine epigenetische Umgestaltung voraussetzt. Dabei können hiPS-Zellen infolge einer unvollständigen Reprogrammierung teils das "epigenetische Gedächtnis" der somatischen Ursprungszelle beibehalten, wodurch die Aussagekraft der hier angestrebten Forschungsergebnisse beeinträchtigt werden könnte.