203. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz

Charakterisierung der zirkadianen Rhythmen in der Entwicklung des menschlichen Herzens und bei dessen Alterungsprozessen.

Erteilt am 01.04.2025

1. Genehmigungsinhaber

Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung, Bad Nauheim

2. Zell-Linien

Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:

  • H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
  • HES-3 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)

Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.

3. Angaben zum Forschungsvorhaben

Gegenstand der beantragten Forschungsarbeiten ist die Etablierung eines robusten menschlichen Herzzellmodells zur Untersuchung von Prozessen, die zirkadianen (also von der Tageszeit abhängigen) Schwankungen unterliegen. An diesem Modell soll die Rolle der zirkadianen kardialen Uhr und der die zirkadianen Schwankungen regulierenden Faktoren während der Entwicklung, Reifung und Alterung menschlicher Herzzellen und kardialer Organoide untersucht werden. Ferner soll das angestrebte Modell auch zur Untersuchung der Frage verwendet werden, ob und wenn ja welche Effekte in der medizinischen Praxis verwendete Arzneimittel mit kardiovaskulären Wirkungen auf die zirkadiane Uhr in Kardiomyozyten haben. Nach Etablierung einer auf hES-Zellen basierenden Reporter-Zelllinie, in der das Reportergen an ein Gen gekoppelt ist, dessen Expression zirkadianen Schwankungen unterliegt, soll zunächst die Rolle sogenannter „Uhren-Faktoren“ für die Integrität humaner ES-Zellen untersucht werden. Hierfür sollen die entsprechenden Gene in hES-Zellen funktionell deletiert bzw. überexprimiert und die Effekte auf den Energiestoffwechsel der Zellen, auf ihr Transkriptom sowie auf ihr Differenzierungsvermögen hin untersucht werden. Anschließend soll bestimmt werden, zu welchem Zeitpunkt der Differenzierung von hES-Zellen zu Herzzellen die kardiale Uhr in welchem Maße aktiviert wird, wobei die Gewinnung möglichst reifer kardialer Zellen angestrebt wird. Zudem soll durch Nutzung dreidimensionaler Herzzell-Modelle (Organoide), die auch andere Zellen als Kardiomyozyten enthalten, eine bessere Nachbildung der Situation in naiven Herzen erreicht werden. Ferner soll der Fragestellung nachgegangen werden, ob das etablierte Herzzellmodell auch für die Untersuchung des Einflusses von Herz-Kreislauf-Medikamenten auf zirkadiane Rhythmen genutzt werden kann, wobei zunächst aus anderen Zellmodellen bekannte Effekte auf die kardiale zirkadiane Uhr verifiziert und anschließend Bibliotheken kleiner Moleküle, die eine Spezifität für targets mit Relevanz für kardiovaskuläre Physiologie und Pathophysiologie aufweisen, hinsichtlich ihres Effektes auf die Herzzell-Uhr getestet werden sollen. Schließlich soll vor dem Hintergrund, dass Alterungsprozesse mit Veränderungen in zirkadianen Rhythmen einhergehen, eine Alterung von Herzzellen induziert und die Effekte der Zellalterung auf die kardiale zirkadiane Uhr untersucht und überprüft werden, ob und inwieweit die Behandlung der alternden Zellen mit Nicotinamid-Ribosid (NR) zu einer Wiederherstellung der Funktion der kardialen zirkadianen Uhr führen kann.

4. Hochrangigkeit der Forschungsziele

Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung, wobei ggf. auch zur Schaffung von Grundlagen für neue präventive und therapeutische Verfahren zur Anwendung bei Menschen beigetragen werden könnte.

Zahlreiche physiologische Prozesse unterliegen einer zirkadianen Rhythmik, die organspezifisch durch sogenannte Uhren-Gene reguliert wird. Mit Blick auf die Herzfunktion variieren beispielsweise Blutdruck und Herzfrequenz in Abhängigkeit von der Tageszeit, und zirkadiane Muster werden auch bei der Häufigkeit pathologischer Ereignisse wie Herzinfarkten oder plötzlichem Herztod beobachtet, die in den frühen Morgenstunden gehäuft auftreten. Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten ist es, ausgehend von humanen ES-Zellen ein menschliches Herzmodell zu etablieren, in dem die Funktionen von Uhren-Genen bei der Herzentwicklung des Menschen sowie der Einfluss von Medikamenten, die zur Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen genutzt werden, auf die zirkadiane Uhr und deren Eigenschaften untersucht werden können. Zudem sollen Veränderungen des zirkadianen Rhythmus während der Alterung kardialer Zellen bestimmt und die Frage geklärt werden, welche Rolle Nikotinamid in diesen Prozessen spielt. Da Alterungsprozesse des Herzens häufig mit dem Auftreten kardiovaskulärer Erkrankungen verbunden sind, sollen diese Arbeiten auch Rückschlüsse auf den Zusammenhang zwischen Veränderungen in zirkadian regulierten Prozessen im Herzen und pathologischen Veränderungen erlauben.

Die zirkadiane Uhr wird von einer Gruppe zentraler Uhren-Faktoren reguliert, die eine transkriptionelle/translationale Rückkopplungsschleife steuern und deren Gene oszillierend exprimiert werden. Nach Etablierung von hES- Reporter-Zellinien, in denen und in deren kardialen Derivaten zirkadiane Oszillationen leicht detektiert werden können, soll zunächst die Frage geklärt werden, welche Funktionen Uhren-Gene, deren Produkte bekanntermaßen eine Rolle in der Regulation zirkadianer Rhythmen spielen, in hES-Zellen haben. Aus diesen Untersuchungen sollen Erkenntnisse über die mögliche Rolle der von Uhren-Genen codierten Faktoren in hES-Zellen gewonnen werden, insbesondere über eine mögliche Rolle bei der Regulation des Übergangs von der Pluripotenz in die Differenzierung und in der Regulation des Energiestoffwechsels. Anschließend soll umfassend untersucht werden, ab welchem Zeitpunkt der kardialen Entwicklung Uhren-Gene eine zirkadiane rhythmische Aktivität aufweisen und welche Funktionen ihre Produkte ggf. für die Entwicklung/Reifung des Herzens haben könnten. Aus diesen Experimenten sollen neue und bislang nicht zugängliche Erkenntnisse über die Rolle von Uhren-Genen für die Herzentwicklung des Menschen, über den Zeitpunkt des Auftretens entsprechender Oszillationen sowie über die Funktion einzelner Uhren-Faktoren in diesem Entwicklungsprozess gewonnen werden. Ferner soll ergründet werden, ob und wie die komplexen Interaktionen zwischen verschiedenen Zelltypen und Kompartimenten des sich entwickelnden Herzens durch Uhren-Faktoren beeinflusst werden und ob auch andere Zellen als Herzmuskelzellen zirkadianen Oszillationen unterliegen. Zudem lassen sich aus den Arbeiten voraussichtlich auch neue Kenntnisse über die Konsequenzen der Fehlfunktionen bestimmter Uhren-Gene während kardialer Entwicklungsprozesse gewinnen, was ggf. für das Verständnis der Ursachen kardialer Entwicklungsstörungen bedeutsam sein kann.

Ferner sollen aus hES-Zellen abgeleitete Herzzellen genutzt werden, um die Wirkung von Medikamenten mit kardiovaskulärer Wirkung auf zirkadiane Rhythmen zu überprüfen. Diese Arbeiten können einerseits dazu beitragen, ein Zellmodell für die pharmakologische Sicherheitsprüfung zu etablieren, mit dessen Hilfe (unerwünschte) Nebenwirkungen im Einsatz befindlicher und neuer Medikamente auf den zirkadianen Rhythmus des Menschen analysiert werden können. Zum anderen könnten vor dem Hintergrund, dass sich bestimmte therapeutische Strategien für die Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen auf die Verbesserung der zirkadianen Amplitude und die Aufrechterhaltung der zirkadianen Synchronität richten, neue Moleküle mit Wirkung auf die Amplitude und/oder die Dauer der Phasen des zirkadianen kardialen Rhythmus identifiziert werden. Durch sich anschließende Arbeiten soll dann bestimmt werden, auf welche Weise und in welchem Maße Alterungsprozesse menschlicher kardialer Zellen mit einer veränderten zirkadianen Aktivität einhergehen. Dies kann aller Voraussicht nach zu einem besseren Verständnis der molekularen Grundlagen von Alterungsprozesse in menschlichen kardialen Zellen beitragen. Zudem sollen neue Einblicke in die offenbar kritische Funktion von NAD+ während der Herzalterung sowie in das Wechselspiel zwischen dem Energiestoffwechsel und der Regulation zirkadian oszillierender Prozesse gewonnen werden. Dies kann zur Entschlüsselung von Signalwegen führen, die an der Modulation des zirkadianen Rhythmus während der Alterung kardialer Zellen beteiligt sind, was wiederum zur Schaffung von Grundlagen für die Entwicklung neuer Strategien zur Vorbeugung bzw. Behandlung altersbedingter kardiovaskulärer Erkrankungen beitragen kann.

5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen em­bryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen

Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind. 

Reporter-Mäuse, in denen das Luziferase-Gen an das (zirkadian oszillierende) PER2-Gen gekoppelt wurde, wurden vor mehr als 20 Jahren erzeugt und erfolgreich zur Untersuchung zirkadianer Rhythmen im Hypothalamus und in peripheren Geweben verwendet. Die Etablierung eines zirkadianen Rhythmus während der Herzentwicklung der Maus erfolgt am 18. Tag der Embryonalentwicklung, wie unter Nutzung transgener Mäuse gezeigt werden konnte. Ein funktionaler knockout der Gene für wesentliche Uhren-Faktoren verursacht in der Maus metabolische Dysregulation und dilatative Kardiomyopathie, die zu vorzeitiger Letalität führt und mit maßgeblichen metabolischen Veränderungen einhergeht. Neuere Untersuchung weisen zudem darauf hin, dass männliche Mäuse, die während der Fötalentwicklung einer chronischer Störung der zirkadianen Uhr ausgesetzt waren, dilatierte Herzkammern, eine verstärkte Myokard-Fibrose und ein erhöhtes Risiko für Herzversagen aufweisen. Dies deutet darauf hin, dass die Aufrechterhaltung der zirkadianen Uhr während der frühen Entwicklung von essentieller Bedeutung für die Entwicklung und Funktionalität des Säugerherzens ist. Obwohl pluripotente Stammzellen der Maus keine zirkadianen Oszillationen aufweisen, werden Gene, die für Uhren-Faktoren codieren, im murinen ES-Zellen (nicht oszillierend) exprimiert. In murinen Stammzellen wird die zirkadiane Uhr im Laufe der Differenzierung etabliert; die Dedifferenzierung zu induzierten murinen pluripotenten Stammzellen (miPS-Zellen) führt dagegen zur Abschaltung der zirkadianen Uhr. Auch bezüglich der Etablierung einer zirkadianen Uhr in sich aus hES-Zellen entwickelnden kardialen Zellen gibt es bereits Vorarbeiten. In humanen pluripotenten Stammzellen werden Uhren-Gene nicht-oszillierend exprimiert, und aus menschlichen pluripotenten Stammzellen gewonnene Kardiomyozyten entwickelten nach der Differenzierung funktionelle zirkadiane Rhythmen, was die Rolle der intrinsischen Uhren in Herzzellen während der Entwicklung auch im Menschen unterstreicht. 

Das Konzept der auf den zirkadianen Rhythmus abgestimmten Therapie, u. a. von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, (Chronotherapie) ist seit langem in der Diskussion. Die Wirkung von bestimmten Substanzen auf den zirkadianen Rhythmus ist ebenfalls gut etabliert. Auch die Tatsache, dass Alterungsprozesse mit einer Veränderung der zirkadianen Rhythmen einhergehen, ist in der wissenschaftlichen Literatur etabliert. Die Gabe von Nikotinamid-Ribosid verlangsamt offenbar Alterungsprozesse im Herzen und konnte negative kardiale Effekte, die infolge eines knockout von wichtigen Uhren-Genen beobachtet wurden, teilweise aufheben. Die zum Einsatz kommenden Methoden und Vorgehensweisen, angefangen bei der genetischen Modifikation von hES-Zellen über die Gewinnung kardialer Zellen/Organoide aus hES-Zellen bis hin zu den hier vorgesehenen Methoden zur Analyse u. a. von Transkriptomen sind in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben und in Vorarbeiten des für die Forschung verantwortlichen Wissenschaftlers, die im Ausland durchgeführt wurden, vielfach angewendet worden.

Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.

Zahlreiche Arbeiten, die zur Erforschung der kardialen Entwicklung durchgeführt wurden, erfolgten unter Verwendung von Mausmodellen und mES-Zellen. Diese Studien haben erheblich zum Erkenntnisgewinn beigetragen, jedoch bestehen auch grundlegende Spezies-spezifische Unterschiede zwischen der Kardiogenese von Maus und Mensch. So finden sich beispielsweise deutliche Unterschiede hinsichtlich der Entwicklungszeit und Größe des Organs, so dass die Forschungsziele unter Nutzung tierischer Zellen voraussichtlich nicht erreicht werden können. Das Forschungsziel lässt sich auch nicht unter Nutzung anderer als pluripotenter menschlicher Zellen erreichen (beispielsweise primärer Zellen oder fötaler bzw. adulter Stammzellen). Kardiale Stammzellen aus dem adulten Herzen stehen nicht oder nicht in für die Versuchsdurchführung erforderlicher Menge zur Verfügung. Dasselbe gilt für kardiale Stammzellen aus abgetriebenen menschlichen Föten, die in für die Durchführung des Forschungsvorhabens ausreichender Menge nicht reproduzierbar verfügbar sind und von denen nicht bekannt ist, ob sie den für die Erreichung der Forschungsziele essentiellen genetischen Veränderungen in gleicher Weise zugänglich sind wie pluripotente Stammzellen des Menschen. Zudem ist es eines der Ziele der Forschungsarbeiten, den Zeitpunkt und Verlauf der Etablierung einer zirkadianen Uhr in sich differenzierenden kardialen Zellen des Menschen zu identifizieren. Dies schließt aber auch die Untersuchung früher Differenzierungsstadien ein, die somatische und fötale Stammzellen des Menschen bereits durchlaufen haben, weswegen eine Erreichung der Forschungsziele unter Verwendung dieser Zellen nicht möglich ist.

Die Forschungsziele können aller Voraussicht nach auch nicht unter Verwendung humaner induzierter pluripotenter Stammzellen (hiPS-Zellen) erreicht werden. Von Belang ist hier, dass bei der Reprogrammierung epigenetische Eigenschaften der zur Reprogrammierung genutzten somatischen Zellen in hiPS-Zellen bestehenbleiben (sog. epigenetisches Gedächtnis), dessen funktionelle Bedeutung derzeit nicht vollständig geklärt ist. Mit Blick auf die Fragestellung, dass die Rolle von Genen, die für in die Regulation zirkadianer Rhythmen involvierter Faktoren codieren, für die Pluripotenz und insbesondere für den Übergang von der Pluripotenz zur Differenzierung untersucht werden sollen, ist aber ein möglichst ursprüngliches Epigenom der genutzten Zellen von essentieller Bedeutung. Ferner bestehen bei Nutzung von hiPS-Zellen verschiedene Unwägbarkeiten, die vor allem mit der hohen Variabilität in den Eigenschaften verschiedener hiPS-Zell-Linien in Zusammenhang stehen. So haben hiPS-Zellen aufgrund ihrer Ableitung aus somatischen Zellen bereits diverse Mutationen; hinzukommen Mutationen, die durch den Reprogrammierungsprozess regelmäßig erworben werden. Unterschiede von hiPS-Zellen können bei verschiedenen Spendern auch durch den jeweils unter­schiedlichen genetischen Hintergrund oder das Alter des Spenders, beim selben Spender durch Reprogrammierungsartefakte wie unvollständige Reprogrammierung, aber auch durch den für die Reprogram­mierung genutzten Zelltyp (Blutzellen, Fibroblasten, Keratinozyten etc.) oder die für die Reprogrammierung gewählte Methode verursacht werden.