202. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz

Erteilt am 01.04.2025

Stand:  01.04.2025

1. Genehmigungsinhaberin

Ludwig-Maximilians-Universität München

2. Zell-Linien

Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linie:

  • H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)

Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linie.

3. Angaben zum Forschungsvorhaben

Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten ist die detaillierte Untersuchung des RNA-Exosoms, eines Multi-Proteinkomplexes, der die zelluläre RNA-Homöostase reguliert, wobei Mutationen in den Genen für einige Komponenten des RNA-Exosoms mit wenigstens einer schweren neuralen Entwicklungsstörung (pontozerebelläre Hypoplasie Typ 1, PCH1) assoziiert sind.

Da die molekularen Grundlagen der Regulation der RNA-Homöostase durch das RNA-Exosom und die an der Entwicklung von PCH1 beteiligten Moleküle/Signalwege bislang nur unvollständig verstanden sind, sollen in einem ersten Projektteil unter Nutzung eines aus hES-Zellen abgeleiteten und für PCH1 relevanten Zellmodells (humane spinale Motoneuronen) zunächst die zellulären Interaktionspartner des RNA-Exosoms bestimmt werden. Hierfür sollen hES-Zellen zu Motoneuronen differenziert und Interaktionspartner des Exosoms im Zytoplasma und im Zellkern bestimmt werden, wobei die Analyse jeweils in verschiedenen zellulären Entwicklungsstadien (hES-Zellen, Vorläuferzellen, Motoneuronen) erfolgen soll. Die identifizierten Interaktionspartner des RNA-Exosoms sollen dann ausgeschaltet und die jeweiligen Effekte auf das Transkriptom umfassend untersucht werden. Ferner sollen die Rolle der Integrität spezifischer Phosphorylierungsstellen für die Funktion des RNA-Exosoms aufgeklärt und Kinasen identifiziert werden, die die betreffenden funktionellen Phosphorylierungsstellen modifizieren.

Im Rahmen eines zweiten Projektteils sollen dann molekulare Vorgänge untersucht werden, die zur Entstehung von PCH1 führen. Hierfür sollen mit PCH1 assoziierte Mutationen in Genen für Komponenten des RNA-Exosoms etabliert, die mutierten Zellen zu Motoneuronen differenziert und die Auswirkungen auf den Phänotyp und die Funktionalität der differenzierten Zellen umfassend untersucht werden. Anschließend sollen die molekularen Grundlagen der erwarteten Veränderungen infolge der Mutationen analysiert und u. a. die Rolle ggf. identifizierter Mikropeptide, die infolge der Dysfunktion des RNA-Exosoms verstärkt verfügbar sind, für die erwarteten veränderten Motoneuronen-Eigenschaften untersucht werden. Schließlich soll durch Kopplung kritischer Komponenten des RNA-Exosoms an Degrons und einen induzierten Abbau der betreffenden Komponenten Aufschluss darüber erlangt werden, welches Ausmaß einer Depletion bestimmter Komponenten des RNA-Exosoms erforderlich ist, um zu Veränderungen in den Eigenschaften der Motoneuronen zu führen.

4. Hochrangigkeit der Forschungsziele

Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung.

Mit den genehmigten Forschungsarbeiten sollen zum einen grundlegende Fragestellungen im Zusammenhang mit der Regulation der RNA-Homöostaste durch das RNA-Exosom geklärt werden, wobei insbesondere Fragen mit Blick auf die Bedeutung der Integrität des RNA-Exosoms und seiner (ggf. noch zu identifizierenden) zellulären Wechselwirkungspartner für eine korrekte neurale Entwicklung, und hier insbesondere für die Differenzierung zu Motoneuronen, beantwortet werden sollen. Zum anderen sollen Fragen nach der spezifischen Rolle von mit PCH1 assoziierten Mutationen, die die Integrität bzw. Funktionalität des RNA-Exosoms betreffen, für die molekulare Pathogenese von PCH1 geklärt werden.

Im ersten Projektteil soll u. a. die Frage geklärt werden, ob und inwieweit sich die Menge des in den Zellen befindlichen RNA-Exosoms während der Entwicklung von hES-Zellen zu Motoneuronen ändert und ob die Verfügbarkeit von Bindungspartnern des RNA-Exosoms bzw. deren Wechselwirkung mit dem RNA-Exosom Veränderungen unterliegen. Es wird erwartet, dass hES-Zellen, die eine hyperaktive Transkription aufweisen, eine höhere Verfügbarkeit/Aktivität des RNA-Exosoms aufweisen als die aus ihnen abgeleiteten Motoneuronen. Zudem zielen die Arbeiten auf die Identifizierung bislang nicht bekannter Wechselwirkungspartner von Komponenten des RNA-Exosoms, die ggf. zelltypspezifisch sind und die die unterschiedlichen Konsequenzen einer gestörten Integrität des RNA-Exosoms für unterschiedliche Zelltypen erklären könnten. Diese und weitere geplante Arbeiten sollen neue und wesentliche Erkenntnisse über Moleküle/Faktoren erbringen, die über eine Wechselwirkung mit Komponenten des RNA-Exosoms ggf. eine zelltypspezifische Funktion des RNA-Exosom-Komplexes ermöglichen. Dies kann voraussichtlich erheblich zu einem besseren Verständnis der Funktionen des RNA-Exosoms und seiner Beeinträchtigung in neuronalen menschlichen Zellen beitragen. Durch die umfangreichen Arbeiten zur potentiellen Rolle von Phosphorylierungsereignissen bei der Regulation der Aktivität des RNA-Exosoms können erste Einblicke in die Rolle von spezifischen Phosphorylierungsereignissen für Änderungen in der Funktion des RNA-Exosoms gewonnen werden. Zudem sollen durch eine komplexe Analyse des gesamten menschlichen zellulären Kinoms jene Kinasen identifiziert werden, die für die Phosphorylierung der Komponenten des RNA-Exosoms bzw. von deren Wechselwirkungspartnern verantwortlich sind und so als wesentliche Mediatoren der intrazellulären Signalübertragung an der Phosphorylierung des RNA-Exosom-Komplexes zu verschiedenen Zeitpunkten der neuronalen Entwicklung beteiligt sind. Dies wird aller Voraussicht nach Rückschlüsse auf die an der Regulation der Aktivität des RNA-Exosoms beteiligten Signalwege erlauben, wodurch maßgeblich dazu beigetragen werden kann, die molekularen Grundlagen der Aktivität des RNA-Exosoms in verschiedenen Stadien der neuronalen Entwicklung aufzuklären. 

Im zweiten Projektteil soll geklärt werden, auf welche Art und Weise die Präsenz bestimmter Mutationen, die in Komponenten des RNA-Exosoms auftreten und die mit pontozerebellärer Hypoplasie Typ1 (PCH1) assoziiert sind, zur Ausprägung des für diese Erkrankung charakteristischen Phänotyps führen. Die in diesem Zusammenhang geplanten Forschungsarbeiten werden aller Voraussicht nach wesentliche neue Erkenntnisse darüber erbringen, auf welcher molekularen Grundlage die die mit PCH1 assoziierten Mutationen den Phänotyp humaner Motoneuronen verändern und auf welchem Wege sie ggf. die Exosom-Funktion beeinträchtigen. Dies soll zu einem vertieften Verständnis der Rolle des RNA-Exosoms in der Genexpression und auf posttranskriptionaler und translationaler Ebene führen. Zudem könnten hier RNA- oder Proteinmarker identifiziert werden, die mit der Progression der Erkrankung in Zusammenhang stehen. Vor dem Hintergrund, dass das Ausmaß der Defizienz des RNA-Exosoms bei PCH1 für die Schwere der Krankheit ein erheblicher Faktor ist und um ein besseres Verständnis über die Genotyp-Phänotyp-Korrelation bei Vorliegen spezifischer PCH1-assoziierter Mutationen zu erlangen, sollen auch Dosis-Wirkungs-Effekte bei Präsenz dysfunktionaler RNA-Exosome untersucht werden. Hierfür sollen Untereinheiten des RNA-Exosoms jeweils partiell abgebaut und die Effekte der nur partiellen Verfügbarkeit bestimmter Exosom-Untereinheit auf die Eigenschaften der Motoneuronen, auf ihr Transkriptom und Proteom sowie auf die Synthese und den Abbau von RNA bestimmt werden. Auf diesem Weg soll eine Toleranz-Schwelle humaner Motoneuronen gegenüber der Depletion des RNA-Exosoms bestimmt werden, was vor dem Hintergrund, dass heterozygote Mutationen des RNA-Exosoms phänotypisch häufig unauffällig sind, einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Pathogenese von PCH1 leisten könnte.

5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen em­bryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen

Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind. 

Die Struktur und die komplexen Funktionen des RNA-Exosoms wurden in zahlreichen wissenschaftlichen Studien umfangreich untersucht und die Ergebnisse publiziert. Der RNA-Exosom-Komplex besteht aus mehreren (teils stark konservierten) Untereinheiten (EXOSC1 bis 9) sowie spezifischen Nukleasen (EXOSC10, DIS3 und DIS3L) und befindet sich sowohl im Zellkern als auch im Zytoplasma, wobei die Zusammensetzung und Aktivität des RNA-Exosoms in beiden Kompartimenten Unterschiede aufweist. Mehrere Studien weisen zudem auf zelltypspezifische Funktionen des RNA-Exosoms hin. In humanen ES-Zellen wird die Differenzierung durch die Aktivität des RNA-Exosoms unterdrückt, und eine Depletion der Exosom-Untereinheit EXOSC3 führte zu spontaner Differenzierung in Zellen aller drei Keimblätter. 

Mutationen in verschiedenen Komponenten des RNA-Exosoms wurden mit unterschiedlichen gewebespezifischen Krankheitsphänomenen (Exosomopathien) in Verbindung gebracht, wobei sich einige teilweise überschneiden. Mutationen in EXOSC3, EXOSC8 und EXOSC9 verursachen verschiedene Formen der pontozerebellären Hypoplasie (PCH): PCH Typ 1b mit EXOSC3-Mutationen ist durch Atrophie des Kleinhirns und der Brücke gekennzeichnet, PCH Typ 1c mit EXOSC8-Mutationen geht mit psychomotorischen Defiziten, Hypoplasie des Kleinhirns und des Corpus callosum, Hypomyelinisierung und spinaler Muskelatrophie einher. Mutationen im EXOSC9-Gen sind mit PCH Typ 1d assoziiert, das durch spinale motorische Neuropathie und eine Kleinhirnatrophie gekennzeichnet ist. Eine neuere Studie zeigte, dass Mutationen in EXOSC5 mit einer neuartigen Form der Exosomopathie assoziiert sind, die durch Entwicklungsverzögerungen, Kleinwuchs, Kleinhirnhypoplasie und motorische Schwäche gekennzeichnet ist. Die mechanistischen und molekularen Folgen von Mutationen in Genen der Exosom-Untereinheiten sind bislang aber nur unzureichend verstanden.

Die im Projekt vorgesehenen experimentellen Vorgehensweisen, angefangen bei der Differenzierung humaner ES-Zellen in spinale Motoneuronen, über die umfangreichen genetischen Veränderungen zur Etablierung von Reporter- und Degron-Systemen bis hin zu den Techniken für die Analyse des Transkriptoms, des Proteoms oder der Translationseffizienz sind bereits etabliert und wurden in der wissenschaftlichen Literatur umfassend beschrieben.

Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.

Obwohl das RNA-Exosom grundsätzlich phylogenetisch stark konserviert ist, bestehen Unterschiede zwischen verschiedenen Spezies, die teilweise die Untereinheiten des Exosom-Komplexes, teilweise dessen Adapter und zelluläre Wechselwirkungspartner betreffen. Auch die für den Erfolg des Forschungsvorhabens essentielle Differenzierung humaner ES-Zellen zu Motoneuronen weist spezies-spezifische Besonderheiten auf, so dass die Forschungsziele nach derzeitigem Kenntnisstand nur unter Nutzung humaner (nicht aber tierischer) Zellen erreicht werden können.

Ein wesentliches Projektziel besteht in der Analyse der Wechselwirkungen des RNA-Exosoms mit zellulären Faktoren in verschiedenen Phasen der Differenzierung, angefangen bei humanen pluripotenten Zellen bis hin zu reifen, funktionell aktiven Motoneuronen. Andere menschliche Zellen als pluripotente Stammzellen haben diese hier interessierenden zellulären Entwicklungsstadien aber bereits teilweise durchschritten und können aus diesem Grunde für die geplanten Forschungsarbeiten nicht verwendet werden. Zudem ist derzeit unklar, in welchem Stadium der neuralen Entwicklung die mit PCH1 assoziierten Mutationen in Genen für Exosom-Untereinheiten die neurale Entwicklung bereits beeinträchtigen, so dass diese bereits in den frühesten verfügbaren Zellstadien etabliert und auch hier der gesamte Differenzierungsprozess untersucht werden soll, was die Nutzung pluripotenter Stammzellen als Ausgangsmaterial für die Forschungsarbeiten erforderlich macht.

Auch die Nutzung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) hat nach derzeitigem Kenntnisstand gegenüber der Nutzung von hES-Zellen entscheidende Nachteile, so dass sie nicht für die Erreichung der Forschungsziele genutzt werden können. Zum einen gibt es Hinweise darauf, dass iPS-Zellen variierende, von der genutzten Zell-Linie abhängige Exosom-Protein-Level aufweisen, was vermutlich mit dem unterschiedlichen Alter der Spenders der für die Herstellung der hiPS-Zellen genutzten somatischen Zellen zusammenhängt: die Expression der Exosom-Gene wird u. a. durch den Faktor ZSCAN10 reguliert, der jedoch in iPS-Zellen mit altersbeding veränderter epigenetischer Signatur, die im Reprogrammierungsprozess nicht vollständig verjüngt wird, nur in geringem Maße produziert wird. Zudem haben iPS-Zellen vielfach ein epigenetisches Gedächtnis, das durch eine teils nur unvollständige Entfernung epigenetischer Markierungen während des Reprogrammierungsprozesses bedingt wird. Dabei beeinflusst die somatische Prägung auf Chromatin-Ebene die Transkriptionsdynamik. Da der durch das Exosom vermittelte RNA-Abbau aber eng mit der Transkription verkoppelt ist, würden Veränderungen in der Transkriptionsdynamik in hiPS-Zellen infolge ihrer somatischen Prägung die hier angestrebten Schlussfolgerungen über RNA-Abbau-Mechanismen ggf. erheblich beeinträchtigen.