201. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
Erteilt am 04.02.2025
Stand: 04.02.2025
1. Genehmigungsinhaberin
Universität Ulm
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HES-2 (ES Cell International Pte. Ltd., Singapore)
- HES-3 (ES Cell International Pte. Ltd., Singapore)
- HUES2 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- HUES4 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- HUES8 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- MEL-1 (University of Queensland, Melbourne, Australien)
Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Gegenstand der beantragten Forschungsarbeiten unter Verwendung humaner embryonaler Stammzellen ist die Etablierung von Gewebemodellen für das duktale Adenokarzinom der menschlichen Bauchspeicheldrüse (PDAC), an dem zum einen das Zusammenspiel von dysplastischem Gewebe und Tumormikroumgebung (TME) im Anfangsstadium der Tumorentwicklung untersucht und zum anderen diagnostische Biomarker für frühe Stadien von Pankreastumoren sowie ggf. Zielstrukturen für pharmazeutische Substanzen identifiziert werden sollen. Hierzu sollen in einem ersten Teilprojekt zunächst für Pankreastumoren typische genetische Veränderungen (ggf. induzierbar und dosierbar) in hES-Zellen erzeugt und die genetisch veränderten Zellen in Pankreasvorläuferzellen und diese zu pankreatischen duktalen bzw. azinären Organoiden differenziert werden. Nach Aktivierung der Onkogene in diesen Organoiden sollen dann die Effekte der jeweiligen genetischen Veränderung auf die Entstehung dysplastischen Gewebes und dessen Entwicklung zu invasiven Tumoren umfassend untersucht werden, wobei auch der Ursprungszelltyp des jeweiligen Tumors identifiziert werden soll. Diese Analysen sollen auch nach Xenotransplantation der Organoide in immunsupprimierte Mäuse durchgeführt werden. In einem zweiten Teilprojekt sollen jene Mechanismen untersucht werden, die dem Umbau der Tumornische in Abhängigkeit vom Mutationsprofil der Tumorzelle zugrunde liegen. Hierfür sollen die Effekte des Sekretoms der transformierten pankreatischen Epithelzellen auf die Zellen der TME untersucht, die Mechanismen der Umgestaltung der Tumornische in Kokultursystemen und multizellulären Assembloiden analysiert und der Einfluss der genetischen Veränderung, des Ursprungszelltyps und der TME-Komponenten in einem Langzeitkultur-Modell für die Tumorinitiation und -progression bestimmt werden. Nach der Entschlüsselung der für die Umgestaltung der TME erheblichen Signalwege sollen in einem dritten Teilprojekt schließlich Substanzen, die die Aktivität dieser Signalwege modulieren können, im Hochdurchsatzverfahren identifiziert sowie in vitro und in vivo auf ihre Fähigkeit hin getestet werden, die Entstehung einer für die Tumorentwicklung günstigen Mikroumgebung zu verhindern. Schließlich sollen Moleküle und Signalwege, die an der Umgestaltung der TME-beteiligt sind, auf ihre Eignung als diagnostische Marker für frühe Stadien der Entwicklung pankreatischer Tumoren hin untersucht und verifiziert werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung, wobei die Ergebnisse auch für die Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Verfahren zur Anwendung bei Menschen bedeutsam sein können.
Zentrales Ziel der genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen ist die Aufklärung der molekularen und zellulären Mechanismen, die dem Nischen-Priming bei der Entstehung, Entwicklung und Ausbreitung des duktalen Adenokarzinoms der Bauchspeicheldrüse (PDAC) zugrundeliegen. Dabei sollen vor allem die Rolle wichtiger krebsassoziierter Mutationen entschlüsselt, der jeweilige Ausganszelltyp der Tumoren bestimmt und eine Charakterisierung früh auftretender entarteter Zellen vorgenommen werden. Ferner sollen die in die Tumormikroumgebung jeweils ausgesandten Signale und deren Einfluss auf die Zellen des Stroma untersucht und schließlich potentiell diagnostisch nutzbare Marker früher Krebsstadien sowie mögliche Targets für die Entwicklung neuer Therapeutika identifiziert werden.
Hierfür soll – nach Etablierung zahlreicher mit tumorspezifischen genetischen Veränderungen versehenen hES-Zell-Linien – das onkogene Transformationspotential der betreffenden Mutationen bestimmt und die weitgehend ungelöste Frage beantwortet werden, welche molekularen Ereignisse der Tumorprogression in den frühesten Stadien der Tumorentwicklung ablaufen. Dabei soll u. a. geklärt werden, welchen zellulären Ursprung verschiedene Typen des PDAC haben, die ggf. mit unterschiedlichen genetischen Veränderungen einhergehen und welche Gendefekte in welchen Zelltypen zur Entwicklung welcher (Sub)Typen pankreatischer Tumore beitragen und deren Eigenschaften bestimmen. Durch detaillierte Analysen der Charakteristika der Tumoren zu verschiedenen Zeitpunkten ihrer Entwicklung soll Aufschluss darüber erlangt werden, welche molekularen Veränderungen in frühen Stadien der Tumorentwicklung auftreten und welche charakteristischen und ggf. diagnostisch nutzbaren Merkmale diese frühen Tumorstadien aufweisen. Ferner soll bestimmt werden, welche molekularen Prozesse dem Fortschreiten von dysplastischem Gewebe hin zu invasiven Tumoren zugrundeliegen. Vor dem Hintergrund, dass die mit der Entstehung und Entwicklung pankreatischer Tumore in Zusammenhang stehenden molekularen Prozesse und Kommunikationssignale bislang wenig verstanden sind, sind die genehmigten Forschungsarbeiten für ein tieferes Verständnis der molekularen Pathogenese pankreatischer Tumore von erheblichem Interesse.
Ein wesentlicher Schwerpunkt der geplanten Forschungsarbeiten ist die Klärung der Frage nach den Mechanismen des Umbaus der Tumornische in Abhängigkeit vom Mutationsprofil und Ausgangszelltyp der Tumorzelle. Dies soll in multizellulären Kokultur-Systemen systematisch untersucht werden, wobei die Effekte des Tumorzell-Sekretoms auf die verschiedenen Zellen der Tumornische bestimmt und die Prozesse des Umbaus der Tumornische detailliert analysiert werden sollen. Zum einen sollen hierfür die Effekte von Zellkulturüberständen, die durch Tumorzellen mit verschiedener Provenienz und mit verschiedenen genetischen Veränderungen konditioniert wurden, auf verschiedene Zellen der Tumornische untersucht werden, woraus Erkenntnisse über von Tumorzellen sekretierte Moleküle erwartet werden, die für das Wechselspiel des transformierten Epithels mit den Zellen der umgebenden Stroma verantwortlich sind. Zum anderen sollen in verschiedenen Kokultur-Systemen von pankreatischen Organoiden mit Zellen der Tumornische die bei der Tumorentwicklung auftretenden Veränderungen in den jeweiligen Nischen-Kompartimenten bezüglich ihrer molekularen Grundlagen, auch in Langzeitmodellen, untersucht werden. Im Ergebnis der Arbeiten werden aller Voraussicht nach neue und wichtige Erkenntnisse darüber vorliegen, auf welche Weise entartete pankreatische Epithelzellen in Abhängigkeit von ihrem Ursprung und ihrer Mutationsausstattung auf die Zellen des umliegenden Stromas einwirken, um eine das Tumorwachstum begünstigende Mikroumgebung zu etablieren, welche Zellen darin involviert sind und welche Moleküle und Signalwege an der Etablierung bzw. Umgestaltung der Tumornische beteiligt sind. Ggf. können durch die geplanten Forschungsarbeiten frühe diagnostische Marker für PDAC identifiziert werden, was – angesichts des derzeitigen Fehlens solcher früher Marker – ebenfalls einen sehr erheblichen Erkenntnisgewinn darstellen würde.
Auf Grundlage der bis hierher gewonnenen Erkenntnisse sollen dann Substanzen identifiziert und verifiziert werden, die ggf. den Nischenumbau verhindern und auf diesem Wege das Tumorwachstum begrenzen. Hierfür sollen entsprechende Hochdurchsatzverfahren etabliert und angewandt, die identifizierten Substanzen/Moleküle umfassend in vitro analysiert und getestet sowie ggf. im Tiermodell verifiziert werden. Durch diese Arbeiten soll einerseits die Rolle bestimmter Signalwege bzw. Rezeptor-Liganden-Wechselwirkungen beim Umbau der Tumornische verifiziert werden, was das Verständnis über die Prozesse der Ausbreitung des Tumors weiter vertiefen kann. Zum anderen könnten die dabei gewonnenen Erkenntnisse ebenfalls zur Etablierung diagnostischer Marker für verschiedene PDAC beitragen, wobei ggf. auch Zielstrukturen für die Entwicklung neuer Pharmaka zur Behandlung von PDAC identifiziert werden könnten. Dies ist angesichts der weiterhin schlechten Prognose von PDAC und der derzeit vollkommen unzureichenden therapeutischen Optionen zur Behandlung betroffener Patienten von erheblicher Bedeutung.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind.
Für die zentrale Hypothese des Forschungsvorhabens, dass sowohl der frühen morphologischen Dysplasie als auch der späten metastatischen Ausbreitung des Tumors ein Nischen-Priming vorausgeht, gibt es in der wissenschaftlichen Literatur verschiedene Anhaltspunkte. So wurde beispielsweise gezeigt, dass Schwann-Zellen krebsassoziierte Fibroblasten (CAFs) in Richtung stärker maligner Subtypen treiben können. Auch pankreatische Stellat-Zellen tragen zur Tumorentwicklung bei: eine große Anzahl von Proteinen, die durch aktivierte Stellat-Zellen im Tumor sekretiert wurden, konnte mit krebsbezogenen Funktionen wie Apoptose, Zellwachstum, Proliferation und Metastasierung in Verbindung gebracht werden. Analysen des Proteoms von Stellat-Zellen und der mRNA der Tumorzellen zeigten eine starke Hemmung der Tumorzell-Apoptose, aber eine Förderung der Proliferation und Migration. Auch die Rolle krebsassoziierter Fibroblasten bei der Genese und Therapieresistenz des PDAC ist bereits umfassend untersucht worden, allerdings bislang nur in weniger authentischen als den hier vorgesehenen Tumormodellen.
Die Tatsache, dass PDAC mit einer Reihe von Mutationen assoziiert ist, die hier in hES-Zellen etabliert und deren Effekte auf die Genese des Tumors und dessen Effekte auf die Tumormikroumgebung überprüft werden sollen, ist in der wissenschaftlichen Literatur gut etabliert. Bei der Genehmigungsinhaberin wurden bereits verschiedene Mutationen in pluripotente Stammzellen eingebracht und die Fähigkeit der aus ihnen entwickelten pankreatischen Organoide zur Tumorbildung nach Transplantation in immundefiziente Mäuse untersucht. Dabei konnte u. a. gezeigt werden, dass die Induktion des KRAS-Gens in aus hES-Zellen abgeleiteten duktalen Organoiden mit einem biallelischen CDKN2A-knockout zur Bildung duktaler Adenokarzinome führte.
Protokolle für die Differenzierung pluripotenter Stammzellen in tripotente pankreatische Vorläuferzellen, die die Fähigkeit aufwiesen, sich in vitro auch in duktale und azinäre Organoide zu entwickeln, wurden bei der Genehmigungsinhaberin bereits in der Vergangenheit entwickelt. Die für die Durchführung des Forschungsvorhabens erforderlichen weiteren Methoden und Vorgehensweisen, beispielsweise für die genetische Modifikation der hES-Zellen, für die Herstellung und Langzeitkultivierung der pankreatischen Organoide oder für die geplanten umfangreichen Analysen der Zellen der Tumornische auf den Ebenen des Transkriptoms, Epigenoms, Proteoms und Sekretoms wurden in der Literatur beschrieben und sind zu großen Teilen bereits bei der Genehmigungsinhaberin etabliert.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Pankreatische Organoide können zwar grundsätzlich auch aus pluripotenten Stammzellen der Maus gewonnen werden; allerdings bestehen Unterschiede in den molekularen Grundlagen der pankreatischen Zelldifferenzierung und in der Struktur des Pankreas. Zudem ist nicht abschließend geklärt, ob die beim Menschen mit PDAC assoziierten und hier in Blick genommenen genetischen Veränderungen in der Maus in gleicher Weise zur Entstehung pankreatischer Tumore führt, wie dies im Menschen der Fall ist. In der Maus gewonnene Ergebnisse können folglich nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen werden. Für die Erreichung der Forschungsziele ist die Nutzung humaner Zellen erforderlich.
Die Forschungsziele können nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht unter Verwendung anderer als pluripotenter Stammzellen des Menschen erreicht werden. Hinweise darauf, dass adulte pankreatische Stammzellen des Menschen in Kultur genommen, zu für die hier verfolgten Projektziele ausreichenden Zellmengen vermehrt und zu pankreatischen Organoiden differenziert werden könnten, liegen bislang nicht vor. Adulte Stammzellen des Menschen anderer Provenienz (z. B. mesenchymale oder hämatopoetische Stammzellen) lassen sich nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu den hier erforderlichen pankreatischen Organoiden differenzieren. Eine Nutzung von (pankreatischen) Zellen aus abgetriebenen menschlichen Föten ist zwar denkbar, aufgrund von deren geringer Verfügbarkeit und Reproduzierbarkeit jedoch faktisch ausgeschlossen. Zudem ist von diesen Zellen nicht hinreichend bekannt, ob und in welchem Maße sie den für die Projektdurchführung essentiellen umfangreichen genetischen Veränderungen zugänglich sind. Die Erreichung der Forschungsziele ist daher derzeit nur unter Nutzung pluripotenter Stammzellen des Menschen möglich.
Die Erreichung der Forschungsziele ist nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht unter Verwendung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) möglich. Zwar wurden auch hiPS-Zellen bereits zur Herstellung pankreatischer Organoide eingesetzt, jedoch haben hiPS-Zellen, wie in mehreren Studien gezeigt wurde, ein stark variierendes und teils deutlich geringeres pankreatisches Differenzierungspotential als die hier zur Verwendung vorgesehenen humanen ES-Zellen. Es ist ferner nicht hinreichend geklärt, welche Konsequenzen die in zahlreichen Studien beobachteten, infolge des Reprogrammierungsprozesses auftretenden genetischen Veränderungen und das für hiPS-Zellen postulierte epigenetische Gedächtnis für das Potential von hiPS-Zellen haben, sich zu pankreatischen Organoiden zu entwickeln. Auch die Frage danach, in welchem Umfang der Reprogrammierungsprozess zu genetischen Veränderungen führt, ist weiterhin offen. Eine unlängst publizierte Studie hat erneut starke Anhaltspunkte dafür geliefert, dass ein Großteil der hiPS-Zellen in den zur Reprogrammierung genutzten Zellen präsente somatische oder erworbene Mutationen aufweist. Zudem sollen die Forschungsarbeiten teils unter Verwendung von bereits etablierten genetisch veränderten Zellen beantwortet werden, die aus hES-Zellen abgeleitet wurden und für die Äquivalente auf der Basis von hiPS-Zellen derzeit nicht verfügbar sind.