200. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz

Erteilt am 25.11.2024.

Stand:  25.11.2024

1. Genehmigungsinhaberin

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

2. Zell-Linien

Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:

  • ESI-017 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
  • H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
  • H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
  • HUES6 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
  • RUES2 (Rockefeller University, New York, USA)

Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.

3. Angaben zum Forschungsvorhaben

Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten ist die Untersuchung der Rolle von SOXC-Transkriptionsfaktoren, deren Wechselwirkungspartner und der mit SOXC in Zusammenhang stehenden Signalübertragungswege im Zusammenspiel zwischen Signalmolekülen und transkriptionellen und epigenetischen Netzwerken während früher Entwicklungsprozesse in menschlichen embryonalen Zellen.

Hierfür sollen u. a. zunächst zahlreiche genetisch veränderte hES-Zell-Linien etabliert werden, die eine (ggf. induzierbare) Hemmung oder Aktivierung von Signalwegen mit Relevanz für frühe embryonale Entwicklungsprozesse erlauben, ein Monitoring der Aktivierung spezifischer Signalwege ermöglichen sowie die Verfolgung der Entwicklung von hES-Zellen in Zellen der verschiedenen Keimblätter gestatten. Anschließend soll dann der Einfluss der Aktivität der Gene, die für SOXC-Proteine codieren, auf den Übergang zwischen naiver und geprägter („primed“) Pluripotenz humaner ES-Zellen untersucht werden, wobei hier auch die Beeinflussung der epigenetischen Eigenschaften der Zellen in verschiedenen Pluripotenz-Zuständen analysiert und Interaktionspartner und Zielgene der SOXC-Proteine identifiziert und charakterisiert werden sollen. Ferner soll bestimmt werden, ob und inwieweit Veränderungen in der Expression der SOXC-Proteine bzw. die Modulation der mit ihnen assoziierten Signalwege das Differenzierungsverhalten von ES-Zellen in die Vorläuferzellen der drei Keimblätter beeinflussen. Hierfür sollen (genetisch veränderte und Wildtyp-) hES-Zellen unter 3D oder 2D-Bedingungen zur Etablierung von Gastruloiden genutzt und bestimmt werden, ob und inwieweit die Hemmung bzw. Aktivierung der mit den SOXC-Proteinen assoziierten Signalwegen zu Veränderungen in der Zusammensetzung, Größe, Vitalität sowie in den molekularen Eigenschaften der Gastruloide führen.

4. Hochrangigkeit der Forschungsziele

Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) in erster Linie der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung.

Die genehmigten Forschungsarbeiten unter Nutzung humaner ES-Zellen sollen neue Erkenntnisse über zellbiologische und molekulare Vorgänge während sehr früher Phasen der menschlichen Embryonalentwicklung, der Implantation und der Gastrulation, erbringen. Dabei zielen die Arbeiten auf die Erlangung eines besseren Verständnisses von der Interaktion zwischen morphogenen Signalmolekülen und transkriptionellen und epigenetischen Netzwerken, wobei insbesondere die Rolle von SOXC-Proteinen und der von ihnen kontrollierten Signalwege beim Übergang zwischen verschiedenen Pluripotenz-Zuständen und während frühester Differenzierungsvorgänge näher untersucht werden soll.

Im Mittelpunkt steht dabei zunächst die Klärung der Frage danach, auf welche Weise SOXC-Proteine und die von ihnen regulierten Signalwege sowie ihre Zielgene und Wechselwirkungspartner den Übergang von naiver zu geprägter Pluripotenz humaner ES-Zellen beeinflussen, die in der menschlichen Embryonalentwicklung etwa im Stadium der Implantation der Blastozyste erfolgt. Obwohl in der letzten Dekade zahlreiche Untersuchungen zur Frage erfolgten, welche molekularen Mechanismen diesem Übergang zugrunde liegen, und einige daran beteiligte Signalwege identifiziert und charakterisiert wurden, ist die Verknüpfung zwischen den betreffenden Signalmolekülen und den entscheidenden regulatorischen Transkriptionsfaktoren bislang nicht gut verstanden. Auf Grundlage der auf Vorarbeiten basierenden Hypothese, dass SOXC-Proteine an der Regulation des Übergangs von naiver zu geprägter Pluripotenz menschlicher Zellen beteiligt sind, zielen die Forschungsarbeiten vor allem auf die Untersuchung des Einflusses von SOXC-Proteinen auf das Transkriptom und das Epigenom von hES-Zellen in verschiedenen Pluripotenz-Zuständen, wobei jeweils Zielgene und Wechselwirkungspartner der SOXC-Genprodukte identifiziert und charakterisiert werden sollen. Durch die beabsichtigte Aufklärung des Zusammenhangs zwischen der Präsenz von SOXC-Proteinen, der Aktivität morphogener Signalwege und dem epigenetischen Zustand der hES-Zellen soll ein tieferes Verständnis der beim Übergang von naiver zu geprägter Pluripotenz ablaufenden molekularen Prozesse erlangt werden. Dabei soll auch die Frage geklärt werden, ob SOXC-Proteine möglicherweise mit Schlüsselfaktoren der Pluripotenz interagieren und deren (je nach Pluripotenz-Zustand unterschiedliche) Bindung an verschiedene regulatorische DNA-Sequenzen beeinflussen. Die angestrebten vertieften Erkenntnisse über das Zusammenspiel zwischen Signalmolekülen und Transkriptionsfaktoren während der Entwicklung der Zellen des menschlichen Epiblasten könnten auch zur Optimierung der bisher weitgehend ineffizienten Protokolle zur Rückführung von herkömmlichen (d. h. im geprägten Pluripotenz-Zustand vorliegenden) hES-Zellen in den Zustand der naiven Pluripotenz beitragen. Dies ist bedeutsam, da möglichst ursprüngliche naive hES-Zellen für die Beantwortung vieler wichtiger Fragestellungen zur frühen menschlichen Embryonalentwicklung benötigt werden.

Ferner soll geklärt werden, welchen Einfluss SOXC-Proteine und ihre Interaktionspartner bzw. die Produkte ihrer Zielgene auf die frühe Differenzierung bereits geprägter hES-Zellen haben. Bislang ist nicht bzw. nur unzureichend geklärt, durch welche Faktoren und extrazellulären Signale der Übergang aus der Pluripotenz in verschiedene spezifische Differenzierungsrichtungen im Umfeld der Gastrulation des menschlichen Embryos reguliert wird; insgesamt sind die Kenntnisse über diejenigen genregulatorischen Netzwerke, die die Differenzierung in dieser Phase der embryonalen Entwicklung des Menschen einleiten, und über ihr Zusammenspiel mit morphogenen Signalwegen bislang lückenhaft. Auf Grundlage von in der Vergangenheit erhobenen Daten soll nun der präzise Mechanismus untersucht werden, auf welchem Wege SOXC-Proteine das frühe Differenzierungsvermögen geprägter hES-Zellen beeinflussen bzw. regulieren, welche Zielgene der SOXC-Proteine daran beteiligt sind und über welche weiteren Faktoren/Interaktionspartner bzw. über welche zellulären Signalwege die SOXC-Proteine auf frühe Differenzierungsentscheidungen Einfluss nehmen. Auch hier soll erneut das Zusammenspiel zwischen der Modulation spezifischer Signalwege, dem Transkriptom und dem Epigenom untersucht werden, wobei aus hES-Zellen abgeleitete Gastruloide, die die Entwicklungsvorgänge in den Zellen des frühen menschlichen Embryos gut nachbilden können, als Modellsystem genutzt und in Präsenz oder Abwesenheit der jeweils interessierenden Kandidaten-Genprodukte umfassend charakterisiert werden sollen. Die erwarteten Forschungsergebnisse können insgesamt wesentlich dazu beitragen, die molekularen Grundlagen für frühe Differenzierungsentscheidungen in embryonalen Stammzellen aufzuklären und damit einen wichtigen Erkenntnisgewinn in Bezug auf die frühe Embryonalentwicklung des Menschen erbringen.

5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen em­bryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen

Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind.

Verschiedene Datensätze aus Sequenzierungsstudien zeigen, dass Gene, die für SOXC-Proteine codieren, bereits in den ersten Stadien der Embryonalentwicklung von Maus und Mensch exprimiert werden. Sowohl Einzelzellsequenzierungen von Mausembryonen nach der Implantation als auch die Sequenzierung einzelner Zellen eines menschlichen Embryos während der Gastrulation bestätigten die Präsenz von Transkripten der SOXC-Gen-Familie in nahezu allen Zelltypen, besonders aber in den Zellen des Epiblasten und in den sich aus ihm differenzierenden Keimblättern. Von besonderem Interesse dabei ist, dass beim Übergang aus der naiven Pluripotenz in einen geprägten Zustand die Präsenz von SOX11-Transkripten stark ansteigt, was auf eine ggf. erhebliche Rolle der SOXC-Proteine in den frühen Stadien der Embryonalentwicklung hinweist.

Ferner weisen die Ergebnisse mehrerer Studien auf eine wichtige Funktion von SOXC- Proteinen auch während der Genese verschiedener Organe im sich entwickelnden Embryo hin. Dabei nehmen Mitglieder der SOXC-Protein-Familie in verschiedenen sich entwickelnden Organsystemen Einfluss auf die Proliferation, auf das Überleben und auf die Differenzierung zu linienspezifischen Vorläuferzellen. So ist beispielsweise ein knockout des Gens für SOX11 in Mäusen lethal und mit Fehlbildungen an Herz, Lunge, Augen, Magen, Pankreas, Milz und Skelett verbunden, und ein knockout von Mitgliedern der SOXC-Gen-Familie führt zu einem massiv erhöhten Zelltod sowie zu fehlerhafter Differenzierung in neurale und mesenchymale Vorläuferzellen. Ferner fördern SOXC-Proteine die Differenzierung von neuralen Vorläuferzellen und kontrollieren beispielsweise die Morphogenese der Dendriten.

Die zum Einsatz kommenden experimentellen Vorgehensweisen, beispielsweise zur genetischen Veränderung von hES-Zellen, zur Induktion des Übergangs zwischen Pluripotenz-Zuständen und zur Herstellung und Charakterisierung von Gastruloiden aus hES-Zellen, sind in der Literatur vielfach beschrieben worden und bei der Antragstellerin bereits teilweise etabliert.

Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.

Obgleich viele grundlegende Prinzipien der Embryonalentwicklung über alle Wirbeltierspezies hinweg evolutionär konserviert sind, bestehen auch zahlreiche Unterschiede zwischen den einzelnen Spezies, die bereits in den frühen Entwicklungsstadien vor und kurz nach der Implantation auftreten. Folglich kann die menschliche Embryonalentwicklung durch Tiermodelle nur unzureichend abgebildet werden, so dass die Erreichung der Forschungsziele die Verwendung menschlicher Zellen erfordert. Auch durch die Verwendung anderer humaner als pluripotenter Zellen können die Forschungsziele nicht erreicht werden. Im Rahmen der beantragten Forschungsarbeiten sollen früheste Prozesse der Entwicklung von Zellen des menschlichen Embryos, vom Austritt aus dem Stadium der naiven Pluripotenz bis zu zellbiologischen Vorgängen während der Gastrulation, untersucht werden. Diese Entwicklungsstadien haben andere als pluripotente Stammzellen jedoch bereits durchschritten, so dass eine Nutzung adulter oder fötaler Stammzellen ebenso wie die Verwendung somatischer, perinataler oder immortalisierter menschlicher Zellen hier nicht zielführend ist.

Die Forschungsziele können nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand voraussichtlich auch nicht durch die Nutzung humaner induzierter pluripotenter Stammzellen (hiPS-Zellen) erreicht werden. Zwar ist die Erzeugung von Gastruloiden auch aus induzierten pluripotenten Stammzellen beschrieben worden. Allerdings ist das Epigenom von hES-Zellen definierter und stabiler als jenes von iPS-Zellen. Ein Vergleich der epigenetischen Signatur humaner pluripotenter Stammzell-Linien ergab nur geringfügige Unterschiede zwischen verschiedenen hES-Zell-Linien, aber einen signifikanten Unterschied zu hiPS-Zellen. Zudem bestehen zwischen verschiedenen hiPS-Zell-Linien teils erhebliche Unterschiede in ihrer epigenetischen Signatur, dabei weisen hiPS-Zellen teilweise ein als epigenetisches Gedächtnis bezeichnetes DNA-Methylierungsmuster auf, das in Teilen dem Methylierungsmuster der somatischen Ursprungszellen entspricht und das sich u. a. in genregulatorischen Sequenzen befindet. Zusätzlich finden sich in hiPS-Zellen DNA-Regionen mit für hiPS-Zellen spezifischen Methylierungsmustern, die weder jenen von hES-Zellen noch denen der somatischen Ursprungszellen entsprechen. Die Regulation epigenetischer Markierungen in embryonalen Stammzellen ist jedoch ein essentieller Mechanismus des Übergangs zwischen verschiedenen Pluripotenz-Zuständen sowie von der Pluripotenz in die Differenzierung. Da aber gerade diese Form der Regulation der Genexpression zentraler Gegenstand der hier beantragten Forschungsarbeiten ist, könnten inkorrekte Methylierungsmuster in hiPS-Zellen ggf. zu falschen oder nicht interpretierbaren Ergebnissen führen. Die Erreichung der Forschungsziele erfordert daher die Nutzung humaner ES-Zellen.