199. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz

Erteilt am 25.11.2024.

Stand:  25.11.2024

1. Genehmigungsinhaber

Max-Planck-Institut für Immunologie und Epigenetik, Freiburg im Breisgau

2. Zell-Linien

Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:

  • H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
  • H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
  • Shef-6 (Universität Sheffield, Sheffield, Großbritannien)

Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.

3. Angaben zum Forschungsvorhaben

Die genehmigten Forschungsarbeiten sollen zur Klärung der Frage danach beitragen, auf welche Weise das Zusammenspiel der Regulation des Epigenoms und der Kontrolle des Zellstoffwechsels die Entwicklung neuraler Zellen im Menschen beeinflussen, welche Genprodukte dabei ein zentrale Rolle spielen und ob und inwieweit mit Störungen der Neurogenese assoziierte genetische Veränderungen die Wechselwirkung zwischen epigenetischer und metabolischer Regulation beeinträchtigen.

Hierfür sollen zunächst umfangreiche genetische Veränderungen an hES-Zellen vorgenommen werden, um Zelllinien zu erhalten, die einerseits ein CRISPR/dCas9-basiertes Screening ermöglichen, andererseits den oxidativen Status der Zelle anzeigen und eine Selektion hinsichtlich des neuralen Zelltyps (neurale Vorläuferzellen, Neuronen, Astrozyten, Oligodendrozyten) erlauben. In einem mehrstufigen Screening-Verfahren sollen dann Gene identifiziert werden, die einerseits für die Entwicklung verschiedenen neuralen Linien bzw. für die Aufrechterhaltung von deren Identität bedeutsam sind und die andererseits eine wesentliche Rolle im Zellmetabolismus bzw. bei der Regulation epigenetischer Prozesse spielen. Anschließend soll der Einfluss von Kandidatengenen, die mit dem mitochondrialen Stoffwechsel assoziiert sind, auf die neurale/neuronale Differenzierung innerhalb kortikaler Organoide untersucht werden. Hierfür sollen die fraglichen Gene in hES-Zellen zunächst mit einem Degron versehen und die Zellen dann in Richtung neuronaler Organoide differenziert werden. Nach Aktivierung der Degrons zu verschiedenen Zeitpunkten der Differenzierung (und dem damit einhergehenden Abbau der entsprechend markierten Proteine) sollen die Effekte der jeweiligen Genprodukte auf die Entwicklung und Eigenschaften der Organoide auf verschiedenen Ebenen (Morphologie, Transkriptom, Epigenom, Metabolom) bestimmt werden. Ferner sollen mögliche Veränderungen in der räumlichen Verteilung der Genexpression im Organoid untersucht werden, was ggf. Rückschlüsse auf durch den Genverlustes bedingte, veränderte interzelluläre Kommunikation zulassen kann.

4. Hochrangigkeit der Forschungsziele

Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung.

Die genehmigten Forschungsarbeiten unter Nutzung humaner ES-Zellen sind auf die Erreichung eines verbesserten Verständnisses des Zusammenhangs zwischen metabolischen Veränderungen und genetischen sowie epigenetischen Prozessen bei der Entwicklung humaner neuraler Zellen gerichtet.

Nach Etablierung der auch für die Klärung anderer wissenschaftlicher Fragenstellungen ggf. bedeutsamen Reportersysteme auf Basis von hES-Zellen soll in diesen während bzw. nach der Differenzierung in die verschiedenen neuralen Linien jeweils ein Gen ausgeschaltet und der Effekt auf die Eigenschaften der jeweiligen Zellen in Abhängigkeit von deren Redoxstatus umfassend analysiert werden. Im Ergebnis sind Informationen zu zahlreichen Genen zu erwarten, die mit Spezifizierung neuraler Vorläuferzellen in Neurone, Astrozyten und Oligodendrozyten bzw. mit der Aufrechterhaltung von deren Identität assoziiert sind, was wesentliche Erkenntnisse über die Rolle der jeweiligen Genprodukte während der Differenzierung humaner Zellen erbringen soll. In sich anschließenden Analysen sollen durch Einzelzell-Sequenzierung Informationen darüber erlangt werden, wie sich die jeweilige genetische Veränderung auf das Genexpressionsprofil der betreffenden Zelle auswirkt, während mittels ATAC-Sequenzierung bestimmt werden soll, welche epigenetischen Veränderungen auftreten, insbesondere hinsichtlich der Zugänglichkeit des Chromatins für die Transkriptionsmaschinerie. Diese Forschungsarbeiten sollen zu neuen und voraussichtlich wichtigen Erkenntnissen über den Zusammenhang von Transkriptom, Epigenom und Energiestoffwechsel in Abhängigkeit von der Aktivität von zuvor als für die neurale Entwicklung bedeutsam erkannten Genen führen. Dabei soll jeweils auch der Einfluss des metabolischen Zustands der betreffenden Zellen untersucht werden, woraus Erkenntnisse darüber entstehen sollen, wie metabolische Unterschiede die Entwicklung neuraler Zellen beeinflussen und ggf. zu pathologischen Manifestationen beitragen können. Insgesamt lassen sich hieraus aller Voraussicht nach neue Kenntnisse über molekulare Vorgänge bei der Differenzierung menschlicher Zellen in Zellen der verschiedenen neuralen Linien ableiten.

Im Anschluss sollen die Auswirkungen der zuvor identifizierten genetischen und metabolischen Pertubationen in stärker komplexen In-vitro-Modellen, hES-Zell-abgeleiteten kortikalen Organoiden, untersucht werden. Nach Etablierung eines intrazellulären Systems zum induzierbaren Abbau von zuvor als wesentlich erkannten Genprodukten in hES-Zellen sollen diese zu kortikalen Organoiden differenziert werden, und durch Induktion des Abbaus des jeweils interessierenden Genproduktes zu verschiedenen Zeitpunkten der Entwicklung der Organoide (von hES-Zellen bis hin zu ausgereiften Organoiden) sollen die Effekte der betreffenden Pertubation bestimmt werden. Hierfür sollen insbesondere das Organoidwachstum, die Organoidgröße, die Morphologie, das Transkriptom, die zelluläre Zusammensetzung der Organoide sowie epigenetische Eigenschaften wie die Chromatin-Zugänglichkeit analysiert werden, ferner das Transkriptom/Epigenom einzelner Zellen sowie das Metabolom und von bestimmten Metaboliten abhängige Signal- und Stoffwechselwege. Es wird ein umfassendes Bild von den Effekten der Pertubation jeweils eines spezifischen Gens in einem komplexen und funktionellen In-vitro-Modell für die Gehirnentwicklung des Menschen erwartet, aus dem sich ggf. auch neue Erkenntnisse über die Pathogenese von Erkrankungen ableiten lassen, die mit dem betreffenden Gen assoziiert sind. Zudem sollen durch Anwendung von sog. spatial genomics zu verschiedenen Zeitpunkten der Organoid-Entwicklung räumlich und zeitlich aufgelöste Genexpressionskarten erstellt werden, um ggf. Veränderungen in den zellulären Wechselwirkungen in der Mikroumgebung zu identifizieren, was ebenfalls Rückschlüsse auf molekulare Prozesse während der Gehirnentwicklung beim Menschen erlauben kann.

5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen em­bryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen

Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind.

Der Energiestoffwechsel und die neurale Entwicklung stehen in engem Zusammenhang. Eine Reihe neuerer Studien hat gezeigt, dass der mitochondriale Stoffwechsel eine entscheidende Rolle bei der Neurogenese spielt. Eine erst kürzlich publizierte Studie belegte zudem, dass eine erhöhte metabolische Aktivität der Mitochondrien die Reifung menschlicher kortikaler Zellen erheblich beschleunigte, während die Hemmung der Mitochondrienaktivität in der Maus zu einer deutlichen Verzögerung der neuronalen Reifung führte, wobei insbesondere die Effizienz der oxidativen Phosphorylierung und die Stoffwechselrate den zeitlichen Ablauf der Neurogenese bestimmten. Der Energiestoffwechsel kann zudem die Stammzellerneuerung und deren Differenzierung direkt beeinflussen, beispielsweise durch die Bereitstellung von Metaboliten, die als Kofaktoren für DNA- und Histonmodifikationen dienen, die für den Aufbau der zellulären epigenetischen Landschaft essentiell sind. Darüber hinaus gibt es Belege dafür, dass die Energienutzung des Gehirns bei vielen neuralen Erkrankungen und Entwicklungsstörungen beeinträchtigt ist und dass Stoffwechsel- und mitochondriale Funktionsstörungen bei der Ätiologie von Erkrankungen wie beispielsweise Autismus-Spektrum-Störungen eine Rolle spielen. Neben dem Stoffwechsel reguliert das dynamische Agieren der Mitochondrien nachweislich die Erneuerung und Differenzierung von neuralen Stammzellen auch in embryonalen Mausmodellen. Wie kürzlich gezeigt wurde, beeinträchtigt die Erhöhung der mitochondrialen Teilung (Fission) durch Deletion von Genen wie Opa1 oder Mfn1/2 den mitochondrialen Stoffwechsel und erzeugt große Mengen an reaktiven Sauerstoffspezies (ROS). ROS fungieren als sekundäre Botenstoffe, die über eine Nrf2-vermittelte Signalübertragung die Selbsterneuerung der Zellen hemmen und ihre spontane neuronale Differenzierung fördern. Die für die Durchführung des Forschungsvorhabens erforderlichen experimentellen Vorgehensweisen sind in der Literatur hinreichend beschrieben und beim Genehmigungsinhaber bereits zum Teil etabliert. Dies betrifft insbesondere Methoden zur genetischen Modifikation der hES-Zellen, die erforderlichen CRISPR/Cas-basierten Systeme und Reporterkonstrukte, die Vorgehensweisen zur neuralen Differenzierung bzw. zur Gewinnung kortikaler Organoide sowie die Methoden zur Einzelzell-basierten Analyse von Transkriptom und Chromatin.

Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.

Obwohl bestimmte Aspekte der Entwicklung neuraler Zellen sowie der Gehirnentwicklung bei Säugetieren gut konserviert sind, bestehen erhebliche genetische und funktionale Unterschiede zwischen humanen und murinen Hirnzellen, was die Nutzung menschlicher Zellen für die Erreichung der Forschungsziele erforderlich macht. Da die Klärung der Forschungsfrage die Untersuchung auch früher Entwicklungsstadien humaner neuraler Zellen erfordert, können die Forschungsziele auch nicht unter Nutzung anderer als pluripotenter Stammzellen des Menschen erreicht werden, da andere verfügbare humane Zellen die hier interessierenden Entwicklungsstadien bereits durchlaufen haben. Neurale Stammzellen aus abgetriebenen menschlichen Föten, an denen ein Teil der Fragestellungen ggf. geklärt werden könnte, stehen nicht reproduzierbar in für die Durchführung des Forschungsvorhabens ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung. Dies trifft auch auf adulte neurale Stammzellen des Menschen zu, die zudem in vitro in nur geringen Mengen vermehrt werden können und nach ihrer Inkulturnahme häufig stark veränderte Teilungs- und Differenzierungseigenschaften aufweisen. Zudem sind diese Zellen den für die Projektdurchführung zwingend erforderlichen genetischen Veränderungen nicht in gleicher Weise zugänglich wie pluripotente Stammzellen.

Die Forschungsziele lassen sich nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht unter Verwendung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) erreichen. Die hier geplanten Untersuchungen sind u. a. auf die Identifizierung (ggf. geringfügiger) epigenetischer und chromosomaler Veränderung infolge der Hemmung einer Genaktivität oder des Abbaus eines Genproduktes gerichtet. Obwohl auch hiPS-Zellen pluripotent sind, unterscheiden sie sich bezüglich ihres Epigenoms teils erheblich von hES-Zellen sowie auch untereinander. Dies ist u. a. dadurch begründet, dass hiPS-Zellen durch Reprogrammierung aus somatischen Zellen gewonnen werden, was eine epigenetische Umgestaltung voraussetzt. Dabei können hiPS-Zellen infolge einer unvollständigen Reprogrammierung teils das "epigenetische Gedächtnis" der somatischen Ursprungszelle beibehalten, während hES-Zellen ein stärker ursprüngliches Epigenom aufweisen. Darüber hinaus können hiPS-Zellen im Reprogrammierungsprozess oder infolge des genetischen Zustands der Ursprungszelle auch Mutationen akkumulieren, die zu Chromosomeninstabilität führen, wodurch die Robustheit von Versuchsanordnungen, die Epigenetik als Messgröße verwenden, ggf. erheblich reduziert werden könnte. Um die Auswirkungen einer metabolischen Dysregulation auf die Epigenetik während der Entwicklung neuraler Stammzellen genau und zuverlässig erfassen zu können, ist folglich die Nutzung von hES-Zellen erforderlich.