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Poliomyelitis

RKI-Ratgeber

Präambel

Die Herausgabe dieser Reihe durch das Robert Koch-Institut (RKI) erfolgt auf der Grundlage des § 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Praktisch bedeutsame Angaben zu wichtigen Infektionskrankheiten sollen aktuell und konzentriert der Orientierung dienen. Die Beiträge werden in Zusammenarbeit mit den Nationalen Referenzzentren (NRZ), Konsiliarlaboren (KL) sowie weiteren Expertinnen erarbeitet. Die Erstpublikation und deutlich überarbeitete Folgeversionen werden im Epidemiologischen Bulletin und im Internet (www.rki.de/ratgeber) veröffentlicht. Eine Aktualisierung erfolgt nach den Erfordernissen, aktualisierte Fassungen ersetzen die älteren.

Erstveröffentlichung im Epidemiologischen Bulletin 27/2000; letzte Aktualisierung aller Abschnitte im Mai 2021.

Erreger

Polioviren sind kleine, sphärische, unbehüllte Einzelstrang-RNA-Viren, die dem Genus Enterovirus und der Familie der Picornaviridae zugehörig sind. Basierend auf serologischer Typisierung werden drei Typen von Polioviren unterschieden (Typ 1, 2, 3). Polioviren sind wie alle anderen Enteroviren als Voraussetzung für die Magen-Darm-Passage bei niedrigem pH-Wert (pH < 3) stabil und gegen eine Vielzahl proteolytischer Enzyme resistent. Wegen der fehlenden Lipidhülle ist das Virus resistent gegen lipidlösliche Mittel (Äther, Chloroform, Detergenzien).

Vorkommen

Poliowildviren waren vor Einführung der Impfung weltweit verbreitet. Da die Verbreitung so ausgeprägt war, dass der Kontakt mit dem Erreger meist schon im Kindesalter erfolgte, prägte sich der Begriff "Kinderlähmung".

Im Jahr 1988 initiierte die WHO auf der Basis des breiten Einsatzes der oralen Polio-Vakzine (OPV) die Globale-Polio-Eradikations-Initiative (GPEI), die die Eradikation der Poliomyelitis bis zum Jahr 2000 zum Ziel hatte. Obwohl sich das Erreichen des Zieles verzögert hat, wurden beachtliche Erfolge erreicht: Durch Impfkampagnen konnten bis heute 19 Millionen Menschen vor einer Lähmung und 1,5 Millionen Menschen vor dem Tod durch Polio bewahrt werden. Die Anzahl der Poliofälle weltweit konnte im Vergleich zu den 80er Jahren um 99,9% verringert werden. Mit der Erklärung der afrikanischen Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO AFRO) als offiziell frei von Polio-Wildviren (WPV) sind inzwischen fünf von sechs WHO-Regionen als poliofrei zertifiziert: WHO-Region Amerika 1994; Westpazifik 2000; Europa 2002; Südostasien 2014; Afrika 2020. Noch nicht als poliofrei gilt die WHO-Region ‚Naher Osten‘.

Die letzte in Deutschland erworbene Erkrankung an Poliomyelitis durch ein Wildvirus wurde 1990 erfasst. Die letzten beiden importierten Fälle (aus Ägypten bzw. Indien) wurden 1992 registriert. In Zusammenhang mit dem Polio-Lebendimpfstoff (OPV) kam es jedoch in Deutschland jährlich zu ein bis zwei Vakzine-assoziierten paralytischen Poliomyelitis-Erkrankungen (VAPP), die klinisch wie eine Poliomyelitis-Erkrankung durch Wildviren imponieren können. Daher wurde 1998 die Empfehlung des Einsatzes von OPV aufgehoben und stattdessen der generelle Einsatz von inaktivierter Polio-Vakzine (IPV) durch die Ständige Impfkommission (STIKO) empfohlen.

WPV Typ 2 wurde 2015 und WPV Typ 3 im Jahr 2019 als ausgerottet erklärt, sodass aktuell nur noch WPV Typ 1 zirkuliert; die betroffenen Länder sind Afghanistan und Pakistan. Jedoch kommt es aktuell vor allem in Afrika zu Ausbrüchen durch zirkulierende Impfstoff-abgeleitete Polioviren (circulating vaccine-derived poliovirus, cVDPV, vor allem cVDPV2). Die Liste der Länder, in denen WPV1 und/oder cVDPV1-3 zirkulieren, wird wöchentlich von der WHO aktualisiert: https://polioeradication.org/polio-today/polio-now/this-week/.

Wegen der Möglichkeit eines Reimportes von Polioviren (WPV und cVDPV) müssen die Pfeiler der Polioeradikation – hohe Impfquoten und Überwachung – auch in poliofreien Regionen solange intensiv weitergeführt werden, bis die globale Polioeradikation erreicht ist. Die WHO hat angesichts der internationalen Ausbreitung der Poliomyelitis am 5. Mai 2014 eine "Public Health Emergency of International Concern (PHEIC)" gemäß den Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) erklärt, die bis dato immer wieder verlängert wurde. Einer Umfrage in 105 Ländern während der COVID-19-Pandemie zufolge, erfuhren fast alle Länder (90%) Störungen des Gesundheitswesens, insbesondere Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Nicht nur die routinemäßige Impfung der Bevölkerung, sondern auch die Surveillance ist durch die Pandemie empfindlich gestört, sodass eine sinkende Immunität in der Bevölkerung sowie ein erhöhtes Risiko für eine massive Untererfassung der Übertragungen und eine Verlängerung des PHEIC-Status erwartet werden muss.

In Deutschland ist unabhängig von der Reise ein altersentsprechender Impfschutz gegen Poliomyelitis gemäß aktuellen STIKO-Empfehlungen empfohlen. Vor einer Reise ist der Impfschutz zu überprüfen und ggf. aufzufrischen. Eine Auffrischimpfung mit einer Impfstoffdosis IPV ist bei manchen Ländern mit einer Nachweispflicht bei Ausreise verbunden, weitere Ausführungen siehe Empfehlungen der STIKO zu Reiseimpfungen.

Reservoir

Das einzige Reservoir für Polioviren ist der Mensch.

Infektionsweg

Das Poliovirus wird hauptsächlich fäkal-oral übertragen. Schon kurz nach Infektionsbeginn kommt es zu massiver Virusreproduktion in den Darmepithelien, so dass 106-109 infektiöse Viren pro Gramm Stuhl ausgeschieden werden können. Wegen der primären Virusvermehrung in den Rachenepithelien kann das Virus kurz nach Infektion auch aerogen übertragen werden. Schlechte hygienische Verhältnisse begünstigen die Ausbreitung von Poliovirus-Infektionen.

Inkubationszeit

Durchschnittlich 3-6 Tage für nicht-paralytische und 7-14 Tage im Falle einer paralytischen Verlaufsform, Spanne zwischen 3-35 Tagen.

Klinische Symptomatik

Die Mehrzahl der Infektionen (> 95%) verlaufen asymptomatisch unter Ausbildung von neutralisierenden Antikörpern (stille Feiung). Manifeste Krankheitsverläufe können verschiedener Art sein:

  • Abortive Poliomyelitis (ohne ZNS-Beteiligung): Nach einer Inkubationsperiode von etwa 6-9 Tagen kommt es bei 4-8% der Infizierten zu kurzzeitigen unspezifischen Symptomen wie Gastroenteritis, Fieber, Übelkeit, Halsschmerzen, Myalgien und Kopfschmerzen.

Infiziert das Poliovirus Zellen des ZNS, kommt es entweder zu einer nichtparalytischen (2-4%) oder zu einer paralytischen (0,1-1%) Poliomyelitis:

  • Nichtparalytische Poliomyelitis (aseptische Meningitis): Etwa 3-7 Tage nach der abortiven Poliomyelitis kommt es zu Fieber, Nackensteifigkeit, Rückenschmerzen und Muskelspasmen. Im Liquor finden sich eine lymphozytäre Pleozytose, normale Glukosespiegel und normale oder etwas erhöhte Proteinspiegel.
  • Paralytische Poliomyelitis: Neben schweren Rücken-, Nacken- und Muskelschmerzen entwickeln die Patienten und Patientinnen bei dieser Verlaufsform rein motorische Paresen. Häufig bessern sich die Symptome der aseptischen Meningitis zunächst, aber nach etwa 2-3 Tagen kommt es zu einem Fieberanstieg und dem Auftreten von Paresen. Dieser biphasische und rasche Verlauf der Erkrankung ist bei Kindern häufiger als bei Erwachsenen. Die motorische Schwäche tritt üblicherweise asymmetrisch auf und kann Bein- (am häufigsten), Arm-, Bauch-, Thorax- oder Augenmuskeln betreffen. Typischerweise bilden sich die Lähmungen teilweise, aber nicht vollständig zurück. Die bulbäre Form tritt seltener auf und hat wegen der Schädigung von zerebralen bzw. vegetativen Nervenzentren eine schlechte Prognose.
  • Postpolio-Syndrom: Jahre oder Jahrzehnte nach der Erkrankung kann es zu einer Zunahme der Paresen mit Muskelatrophie kommen. Man nimmt an, dass es infolge einer chronischen Überlastung und nachfolgenden Degeneration der ursprünglich nicht durch die Krankheit geschädigten Motoneurone zu dieser chronisch progredient verlaufenden Muskelschwäche kommt (die Axone der nicht geschädigten Motoneurone haben Verzweigungen zur Versorgung der denervierten Muskelzellen gebildet und müssen nach schweren Erkrankungen fünf- bis zehnmal so viele Muskelzellen versorgen wie bei Gesunden). Für eine persistierende Poliovirus-Infektion gibt es beim Postpolio-Syndrom keine gesicherten Hinweise.

Dauer der Ansteckungsfähigkeit

Eine Ansteckungsfähigkeit besteht solange das Virus ausgeschieden wird. Das Poliovirus ist in Rachensekreten frühestens 36 Stunden nach einer Infektion nachweisbar und kann dort bis zu einer Woche persistieren. Die Virusausscheidung im Stuhl beginnt nach 2-3 Tagen und kann bis zu 6 Wochen anhalten. In sehr wenigen Einzelfällen, z.B. bei Immundefizienz kann die Virusausscheidung auch Monate und Jahre dauern.

Diagnostik

1. Differenzialdiagnostik

Der häufigste Grund für eine akute schlaffe Lähmung (Acute Flaccid Paralysis, AFP) stellt seit der erfolgreichen Zurückdrängung der Poliomyelitis das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) dar. Im Vergleich zu Poliomyelitis tritt die Paralyse beim GBS aber üblicherweise symmetrisch auf und kann sich mitunter über einen Zeitraum von bis zu 10 Tagen entwickeln. Fieber, Kopfschmerz, Übelkeit und Erbrechen fehlen hier häufig.

Bei nicht-paralytischen Verlaufsformen sollten differentialdiagnostisch andere Ursachen einer Meningitis bzw. Enzephalitis in Erwägung gezogen werden.

2. Labordiagnostik

Bei einem klinischen Verdacht auf eine Polio-Erkrankung muss eine diagnostische Sicherung am Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren erfolgen.

Zum virologischen und molekularen Nachweis von Polioviren eignen sich am besten Stuhlproben. Rachenabstriche und Liquor können ggf. auch herangezogen werden. Aus dem Stuhl gelingt der Erregernachweis in den ersten 14 Tagen der Erkrankung zu ca. 80%.

Durch Virusanzucht wird in einigen Fällen die diagnostische Sensitivität erhöht. Die Typisierung und intratypische Differenzierung zwischen Wildtyp-und Impfstämmen erfolgt durch molekulare Methoden (PCR, Sequenzierung).

Therapie

Da eine spezifische Therapie mit antiviralen Substanzen nicht verfügbar ist, erfolgt die Behandlung symptomatisch. Im Anschluss an die akute Behandlung sind je nach Verlaufsform meist längere physiotherapeutische und orthopädische Nachbehandlungen erforderlich.

Infektionsschutz und Hygienemaßnahmen

1. Präventive Maßnahmen

Routine-Impfung
Als Polio-Impfstoff für die Routine-Impfung wird in Deutschland gemäß STIKO nur noch IPV empfohlen, ein intramuskulär zu verabreichender Impfstoff, der sicher vor einer Polio-Erkrankung schützt und keine VAPP verursachen kann. Auch Personen mit Immundefizienz können deshalb risikolos mit IPV geimpft werden. Der Polio-Lebendimpfstoff OPV wird wegen des Risikos einer VAPP nicht mehr empfohlen, selbst wenn dieses Risiko sehr gering ist.

Die Grundimmunisierung beginnt entsprechend dem STIKO-Impfkalender im Alter von 2 Monaten und umfasst bei der Verwendung von Kombinationsimpfstoffen mit Pertussiskomponente (aP) 3 Impfstoffdosen im Alter von 2, 4, und 11 Monaten. Zwischen der letzten und vorletzten Impfstoffdosis im Rahmen der Grundimmunisierung sollte der Mindestabstand von 6 Monaten nicht unterschritten werden. Im Alter von 9-16 Jahren wird eine Auffrischimpfung mit einem IPV-haltigen Impfstoff empfohlen.

Indikationen der Polio-Impfung bei Erwachsenen

Erwachsene, die im Säuglings- und Kleinkindalter eine vollständige Grundimmunisierung sowie im Jugendalter oder später mindestens eine Auffrischimpfung erhalten haben oder die als Erwachsene nach den Angaben des Herstellers grundimmunisiert wurden und eine Auffrischimpfung erhalten haben, gelten als vollständig immunisiert. Ungeimpfte Personen erhalten 3 Impfstoffdosen IPV als Grundimmunisierung und eine Auffrischimpfung (Impfabstände s. Fachinformation bzw. STIKO-Empfehlungen Epidemiologisches Bulletin 34/2020). Für die Impfungen der Grundimmunisierung bzw. eine fehlende einmalige Auffrischimpfung wird IPV eingesetzt. Dies gilt auch, falls die Grundimmunisierung mit OPV erfolgt war (bzw. begonnen worden war). Darüber hinaus wird eine routinemäßige Auffrischung für Erwachsene nicht empfohlen.

Für folgende Personengruppen ist neben den oben aufgeführten Impfempfehlungen eine Auffrischimpfung empfohlen:

Reisende in ein Land der WHO-Kategorie 1 mit aktueller WPV1-, cVDPV1-oder cVDPV3-Zirkulation oder in ein Land der WHO-Kategorie 2 mit aktueller cVDPV2-Zirkulation (s. www.who.int/ihr/ihr_ec_2014/en oder Empfehlungen der STIKO zu Reiseimpfungen). Darüber hinaus gibt es auch Länder, in denen bei Einreise aus bestimmten Polio-endemischen Ländern eine Nachweispflicht für eine Poliomyelitisimpfung besteht bzw. die Impfung empfohlen wird, s. hierzu www.who.int/health-topics/yellow-fever oder Empfehlungen der STIKO zu Reiseimpfungen.

Die jeweils aktuellen Impfempfehlungen der STIKO, z.B. für beruflich indizierte Impfempfehlungen, finden sich auf www.stiko.de > Empfehlungen der STIKO.

2. Maßnahmen bei Einzelerkrankungen

Besteht der klinische oder labordiagnostische Verdacht auf eine Poliomyelitis, so muss vorsorglich eine sofortige Krankenhauseinweisung unter Isolierbedingungen (Einzelzimmer bzw. räumlich getrennt von anderen Patienten/Patientinnen und mit eigener Toilette) und bei striktem Hygienemanagement erfolgen, bis labordiagnostisch eine Poliovirus-Infektion am Nationalen Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren ausgeschlossen werden kann. Bereits im Verdachtsfall muss unverzüglich eine Meldung an das zuständige Gesundheitsamt erfolgen (siehe Gesetzliche Grundlage).

Konsequente Hygienemaßnahmen tragen zur Verhütung von Infektionen bei. Dazu gehören insbesondere die Vermeidung von fäkal-oralen Schmierinfektionen durch Händewaschen und -desinfektion, auch bei Kontaktpersonen.

In Gemeinschaftseinrichtungen (gemäß § 33 IfSG, u.a. Kindergärten, Schulen, Heime)

Gemäß § 34 Abs. 1 IfSG dürfen Personen, die an Poliomyelitis erkrankt oder dessen verdächtig sind, in Gemeinschaftseinrichtungen keine Tätigkeiten ausüben, bei denen sie Kontakt zu den dort Betreuten haben.

In Gemeinschaftseinrichtungen Betreute, die an Poliomyelitis erkrankt oder dessen verdächtig sind, dürfen die dem Betrieb der Gemeinschaftseinrichtung dienenden Räume nicht betreten, Einrichtungen der Gemeinschaftseinrichtung nicht benutzen und an Veranstaltungen der Gemeinschaftseinrichtung nicht teilnehmen.

Die Einschränkung der Tätigkeit bzw. des Besuchs der Gemeinschaftseinrichtung dauert fort, bis nach ärztlichem Urteil eine Weiterverbreitung der Krankheit nicht mehr zu befürchten ist. Das ärztliche Urteil kann das Urteil der behandelnden Ärztin/des behandelnden Arztes oder einer Ärztin/eines Arztes des zuständigen Gesundheitsamtes sein. Das ärztliche Urteil kann mündlich erfolgen. § 34 IfSG fordert keine schriftliche Bescheinigung über das ärztliche Urteil, dennoch kann diese zur Absicherung aller Beteiligten zweckmäßig sein.

Gemäß § 34 Abs. 3 IfSG gelten die oben aufgeführten Regelungen aus Abs. 1 auch für Personen, die mit den an diesen Krankheiten erkrankten Personen bzw. mit Personen, bei denen der Verdacht auf diese Krankheit besteht, in einer Wohngemeinschaft zusammenleben. Dies gilt nur, wenn die Erkrankung bzw. der Krankheitsverdacht von einer Ärztin/einem Arzt festgestellt worden ist.

Die zuständige Behörde kann im Einvernehmen mit dem Gesundheitsamt für die in § 33 genannten Einrichtungen Ausnahmen von den genannten Verboten zulassen, wenn Maßnahmen durchgeführt werden oder wurden, mit denen eine Übertragung verhütet werden kann. Eine Wiederzulassung von Erkrankten bzw. Ausscheidern sollte nur nach Vorliegen von 2 negativen virologischen Kontrolluntersuchungen im Abstand von 7 Tagen erfolgen. Jede Kontrolluntersuchung besteht aus 2 Stuhlproben, die im Abstand von 24-48 Stunden abzunehmen sind. Für weitere Informationen siehe die Empfehlungen des RKI für die Wiederzulassung zu Gemeinschaftseinrichtungen gemäß § 34 IfSG.

3. Umgang mit Kontaktpersonen

Bei Kontaktpersonen sollte unabhängig vom Impfstatus so früh wie möglich eine Impfung mit IPV-Impfstoff erfolgen. Ein Sekundärfall ist Anlass für Riegelungsimpfungen mit IPV.

Die oben genannten Vorschriften für Gemeinschaftseinrichtungen gelten auch für Personen, in deren Wohngemeinschaft nach ärztlichem Urteil eine Erkrankung oder ein Verdacht auf Poliomyelitis aufgetreten ist. Bei Kontaktpersonen mit vollständigem Impfstatus ist ein Ausschluss von Gemeinschaftseinrichtungen nach postexpositioneller Schutzimpfung in der Regel nicht erforderlich. Wenn es sich um eine Auffrischimpfung handelt, ist der Schutz gegen eine Erkrankung umgehend vorhanden.

Bei ungeimpften oder nicht vollständig grundimmunisierten Kontaktpersonen ist eine Wiederzulassung zur Gemeinschaftseinrichtung frühestens 1 Woche nach letzter Exposition und zwei negativen Stuhluntersuchungen im Abstand von 24-48 Stunden möglich. Eine Impfserie sollte unabhängig davon begonnen oder vervollständigt werden.

Mit IPV ist die Virusausscheidung über den Darm deutlich reduziert. Sicherheitshalber sollte eine einmalige Stuhluntersuchung zur Abschätzung des Ausscheiderstatus bei engen Kontaktpersonen (Mitglieder einer Haushalts- oder Toilettengemeinschaft) unabhängig vom Impfstatus durchgeführt werden.

Bei Kontaktpersonen, die als Poliovirus-Ausscheider klassifiziert wurden, ist wie bei Erkrankten (s.o.) zu verfahren.

4. Maßnahmen bei Ausbrüchen

Zur Verhinderung der Ausbreitung von Infektionen sollten Riegelungsimpfungen mit IPV und ggf. weitere seuchenhygienische und diagnostische Maßnahmen durch die zuständigen Gesundheitsbehörden angeordnet werden. Dazu gehören konsequente Hygienemaßnahmen zur Vermeidung von fäkal-oralen Übertragungen durch Händewaschen und -desinfektion. Bei größeren Ausbrüchen kann auch der Einsatz von OPV durch die zuständigen Gesundheitsbehörden in Erwägung gezogen werden.

Gesetzliche Grundlage

Meldepflicht gemäß IfSG

Dem Gesundheitsamt wird gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 IfSG der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod an Poliomyelitis (als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn traumatisch bedingt) sowie gemäß § 7 Abs. 1 IfSG der direkte oder indirekte Nachweis von Poliovirus, soweit er auf eine akute Infektion hinweist, namentlich gemeldet.

Darüber hinaus können allgemeine nicht erreger- oder krankheitsspezifische Meldepflichten bestehen (siehe www.rki.de/falldefinitionen > Kapitel "Struktur der Falldefinitionen" > "Gesetzliche Grundlage").

Die Meldungen müssen dem Gesundheitsamt spätestens 24 Stunden nach erlangter Kenntnis vorliegen.

In § 8 IfSG werden die zur Meldung verpflichteten Personen benannt. In § 9 IfSG ist festgelegt, welche Angaben die namentliche Meldung an das Gesundheitsamt enthalten darf.

Benachrichtigungspflicht gemäß IfSG
Die Leitung einer Gemeinschaftseinrichtung hat gemäß § 34 Abs. 6 IfSG das zuständige Gesundheitsamt unverzüglich zu benachrichtigen, wenn in ihrer Einrichtung betreute oder betreuende Personen

  • an Poliomyelitis erkrankt oder dessen verdächtig sind oder
  • in deren Wohngemeinschaft nach ärztlichem Urteil eine Erkrankung an oder ein Verdacht auf Poliomyelitis aufgetreten ist.

Eine Benachrichtigungspflicht besteht nicht, wenn der Leitung ein Nachweis darüber vorliegt, dass die Meldung des Sachverhalts gemäߧ 6 IfSG bereits erfolgt ist.

Übermittlung

Das Gesundheitsamt übermittelt gemäß § 11 Abs. 1 IfSG an die zuständige Landesbehörde nur Erkrankungs- oder Todesfälle und Erregernachweise, die der Falldefinition gemäß § 11 Abs. 2 IfSG entsprechen.

Die vom RKI erstellten Falldefinitionen sind auf den Internetseiten des RKI unter www.rki.de/falldefinitionen veröffentlicht.

Zusätzlich ist gemäß § 12 Abs. 1 IfSG das Auftreten von Poliomyelitis durch Wildtyp-Poliovirus vom Gesundheitsamt unverzüglich an die zuständige Landesbehörde und von dieser unverzüglich dem RKI zu übermitteln. Der Begriff "Auftreten" schließt neben der Infektion/Erkrankung und dem Tod auch Verdachtsfälle ohne labordiagnostischen Nachweis ein.

Beratung und Spezialdiagnostik

Das Robert Koch-Institut führt keine individuelle medizinische Beratung zu Klinik, Therapie oder Impfungen durch. Bitte wenden Sie sich diesbezüglich an Ärztinnen, Ärzte oder Kliniken in Ihrer Nähe, bei denen möglichst eine Spezialisierung für Infektionskrankheiten besteht.

Bezüglich Fragen zu Infektionsschutz und -prävention, kontaktieren Sie bitte Ihr zuständiges Gesundheitsamt (https://tools.rki.de/plztool/).

Ausführliche Informationen zu Impfungen mit vielen weiteren Links, z.B. zu Impfempfehlung, Begründung, FAQ finden Sie unter: Impfungen A-Z.

Beratung zur Epidemiologie

Robert Koch-Institut
Abteilung für Infektionsepidemiologie
Fachgebiet 33 - Impfprävention
Seestraße 10, 13353 Berlin
Ansprechpartner: Dr. Kerstin Kling
Tel.: 030 18754 4414
E-Mail: Kontaktformular

Beratung zur Spezialdiagnostik und Enterovirus-Surveillance

Nationales Referenzzentrum für Poliomyelitis und Enteroviren

Robert Koch-Institut
Abteilung für Infektionskrankheiten
Fachgebiet 15 - Virale Gastroenteritis- und Hepatitiserreger und Enteroviren
Seestr. 10, 13353 Berlin
Ansprechpartner: Dr. Sabine Diedrich
Tel.: 030 18754 2378
Fax: 030 18754 2617
E-Mail: Kontaktformular
Homepage: www.rki.de/DE/Content/Infekt/NRZ/Polio/Polio_node.html

Weitere Informationen

Polio-Seite des Robert Koch-Instituts (RKI): www.rki.de/polio
Schutzimpfung gegen Poliomyelitis: Häufig gestellte Fragen und Antworten
Nationale Kommission für die Polioeradikation in Deutschland am RKI
Leitfaden für Gesundheitsämter zum Vorgehen bei Fällen von Poliomyelitis in der Bundesrepublik Deutschland
Informationen zum Stand der weltweiten Polioeradikation: www.polioeradication.org

Ausgewählte Informationsquellen

  1. Heymann DL (ed.): Control of Communicable Diseases Manual. American Public Health Association, 2020, 477-484
  2. Diedrich S. Weltpoliotag 2020: Afrikanische Region als poliofrei zertifiziert. Epidemiologisches Bulletin. 2020(43):15-16. DOI: 10.25646/7166

Redaktion der Reihe "RKI-Ratgeber"

Hinweise zur Reihe "RKI-Ratgeber" richten Sie bitte an das Robert Koch-Institut, Abteilung für Infektionsepidemiologie (Kontaktformular) oder an die Redaktion des Epidemiologischen Bulletins (Kontaktformular).

Stand: 21.05.2021

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