Für die Einschätzung der Aktivität akuter Atemwegsinfektionen (oder akuter respiratorischer Erkrankungen, kurz ARE) sind mehrere Datenquellen erforderlich, die zusammen bewertet werden müssen. Die aktuellen Daten werden in den ARE-Wochenberichten des RKI veröffentlicht. Einige Datenquellen werden täglich aktualisiert (unter dem Menüpunkt Diagramme).
Meldedaten gemäß Infektionsschutzgesetz: Nachweise von Influenzaviren, SARS-CoV-2 und (seit Ende Juli 2023) RSV sind meldepflichtig gemäß Infektionsschutzgesetz, d.h. Labore müssen einen Nachweis jeweils an das zuständige Gesundheitsamt melden. Das Gesundheitsamt ermittelt weitere Informationen zum Patienten, der an einer dieser meldepflichtigen Atemwegsinfektionen erkrankt ist, und übermittelt die Daten dann an die jeweilige Landesgesundheitsbehörde. Von dort gehen die Daten an das Robert Koch-Institut. Nicht jede oder jeder, der Symptome einer akuten Atemwegsinfektion hat, geht in eine Arztpraxis und dort wird auch nicht jede/jeder ARE-Patientin getestet. Üblicherweise nehmen Ärztinnen und Ärzte nur bei einem Teil der Patienten mit akuten Atemwegserkrankungen Proben aus den Atemwegen ab und lassen sie in einem Labor testen, wobei davon auszugehen ist, dass seit der COVID-19-Pandemie vermehrt getestet wird. Für die Abschätzung der Krankheitslast sind die Daten aus dem Meldesystem deshalb nur bedingt geeignet, weil sie sehr von der Testhäufigkeit und den Empfehlungen zur Diagnostik auf den jeweiligen Erreger abhängen. Die Informationen in den Meldedaten gemäß Infektionsschutzgesetz sind essentiell für die Einleitung von Infektionsschutzmaßnahmen auf lokaler Ebene und enthalten wichtige Einzelfall-Informationen, zum Beispiel zum Krankheitsverlauf und Impfstatus für eine weitergehende Bewertung auf nationaler Ebene. Auch von Influenza- oder COVID-19-Ausbrüchen mit mehreren Erkrankten, zum Beispiel in Altersheimen oder in Krankenhäusern, erfahren die Gesundheitsämter durch die Meldungen und können dann bei der Eindämmung des Ausbruchs unterstützen.
Krankheitslast/ARE-Aktivität: Um die Krankheitslast auf Bevölkerungsebene zu bestimmen, übermitteln mehrere Hundert Haus- und Kinderarztpraxen dem Robert Koch-Institut wöchentlich die Zahl der Patienten mit akuten Atemwegserkrankungen – fachliche Bezeichnung: akute respiratorische Erkrankungen, ARE – und als Bezugsgröße die Zahl aller Patienten, die in der jeweiligen Woche die Praxis aufgesucht haben. Damit kann die Krankheitslast durch ARE bestimmt werden (ARE-Aktivität).
ARE-Konsultationsinzidenz: Die beste Messgröße für die ARE-Aktivität im ambulanten Bereich ist die ARE-Konsultationsinzidenz, also die aufgrund der Meldung der Sentinelpraxen auf die gesamte Bevölkerung hochgerechnete Zahl der Arztbesuche wegen ARE pro 100.000 Einwohner in der jeweiligen Altersgruppe pro Woche. Die Sentinel-Ärztinnen und -Ärzte berichten außerdem über die Zahl der Krankenhauseinweisungen und Arbeitsunfähigkeiten (oder Pflegebedürftigkeit) aufgrund einer ARE-Diagnose.
Onlineportal GrippeWeb/ARE-Inzidenz: Seit 2011 fragt das RKI über ein Onlineportal die Bevölkerung in ganz Deutschland direkt nach akuten Atemwegserkrankungen, einschließlich grippeähnlichen Symptomen mit Fieber (GrippeWeb, https://grippeweb.bund.de). Je mehr Teilnehmende sich registrieren und die wöchentliche Frage nach einer akuten Atemwegserkrankung beantworten, umso zuverlässiger kann der saisonale Verlauf von Atemwegserkrankungen im Allgemeinen und grippeähnlichen Erkrankungen im Besonderen verfolgt werden. Zudem helfen die Daten, den Anteil der Erkrankten abzuschätzen, die einen Arzt aufsuchen. Die Daten werden wöchentlich veröffentlicht. Die ARE-Inzidenz bei GrippeWeb misst die ARE-Aktivität sogar noch direkter als die ARE-Konsultationsinzidenz, weil sie unabhängig ist vom Konsultationsverhalten in den verschiedenen Altersgruppen.
Virologische Surveillance: Das Nationale Referenzzentrum für Influenzaviren im Robert Koch-Institut führt die virologische Sentinel-Surveillance im ambulanten Bereich durch. Etwa 150 Sentinelpraxen senden dem Referenzzentrum überwiegend Nasenabstriche von Patientinnen und Patienten mit typischen Atemwegssymptomen. Das NRZ untersucht die Proben mittels PCR auf eine breite Palette der häufigsten viralen Atemwegserreger. Es ermittelt die Anteile verschiedener Atemwegserreger (darunter Influenzaviren, SARS-CoV-2, RS-Viren, Rhinoviren und humane saisonale Coronaviren) in den Proben. Auch das Erbgut von Viren wird untersucht – so wird zum Beispiel überwacht, wie sich diese Viren genetisch verändern und wie gut Impfstoffe zu den zirkulierenden Viren passen.
SARI-Krankenhaussurveillance: Seit 2015 werden am RKI zur Bewertung der Grippewelle und anderer schwer verlaufender akuter Atemwegserkrankungen (seit 2020 auch SARS-CoV-2) zusätzlich Informationen aus inzwischen rund 70 Sentinelkrankenhäusern ausgewertet und in den ARE-Wochenberichten veröffentlicht (ICOSARI-Krankenhaussurveillance). Genutzt werden dabei Diagnosen von Patienten mit schweren akuten respiratorischen Infektionen (SARI) im allgemeinen und Diagnosen zu Grippe, COVID-19, und RSV-Infektionen der Atemwege im Besonderen. Die Daten aus den Sentinelkrankenhäusern bilden die Situation und aktuelle Entwicklung schwerer akuter Atemwegserkrankungen bundesweit sehr gut ab. Die Surveillanceergebnisse werden wöchentlich an das ECDC und an die WHO übermittelt. Wie im ambulanten Bereich baut das RKI parallel und in Ergänzung zur syndromischen Surveillance mit einem Teil der Sentinel-Krankenhäuser im Rahmen einer zusätzlichen Kooperation eine virologische SARI-Surveillance auf. Die wird vom NRZ für Influenzaviren durchgeführt.
Abwassersurveillance: Infektionserreger gelangen unter anderem über den Stuhl ins Abwasser und können dort nachgewiesen werden. Die systematische Überwachung von Abwasser auf Infektionserreger wird als abwasserbasierte Surveillance bezeichnet. Das RKI führt gemeinsam mit dem Umweltbundesamt das Vorhaben AMELAG (Abwassermonitoring für die epidemiologische Lagebewertung) durch, das neben der Überwachung der SARS-CoV-2-Viruslast im Abwasser auch die Ausweitung auf andere Erreger oder Krankheitsindikatoren anstrebt.
Stand: 19.09.2024