Kritischer Beitrag der Glykan-Bindung bei der Aufnahme von Botulinum Neurotoxin A in Neuronen erstmals gezeigt
Die Botulinum Neurotoxine (BoNTs) gelten als die giftigsten Substanzen überhaupt. Bereits kleinste Mengen sind in der Lage, zielgenau die Übertragung von Nervenimpulsen auf die Muskulatur zu unterbinden. Hierdurch werden charakteristische Lähmungserscheinungen hervorgerufen, die bei natürlichen Vergiftungen zum Tod durch Atemlähmung führen können. Aufgrund ihrer hochspezifischen Wirkung werden BoNTs jedoch auch sehr erfolgreich für die Behandlung von mehr als 20 neurologischen und nicht-neurologischen Erkrankungen und zur Faltenbehandlung in der ästhetischen Therapie eingesetzt. Doch warum genau sind Botulinum Neurotoxine eigentlich so hochwirksam?
Der Antwort auf diese Frage ein Stück näher gekommen sind Wissenschaftler der University of California Irvine, der Harvard Medical School, des Beckman Research Institute, der Cornell University, der Medizinischen Hochschule Hannover und des Robert Koch-Instituts in einer aktuellen Veröffentlichung in der Fachzeitschrift "Nature Structural & Molecular Biology" [1].
Um ihre Wirkung voll entfalten zu können, müssen die Toxine zuerst in die Nervenzellen gelangen. Bisher war lediglich bekannt, dass für die Bindung des wichtigen Serotypen BoNT/A an Neuronen das synaptische Vesikelprotein 2 (SV2) und bestimmte Lipidmoleküle, Ganglioside, verantwortlich sind [2-5]. Dass jedoch die zusätzliche Bindung an ein Zuckermolekül, das sich am Protein befindet, hierbei eine entscheidende Rolle spielt, konnte erst jetzt bewiesen werden.
Schematische Darstellung der Interaktion von Botulinum-Neurotoxin A (BoNT/A) mit dem synaptischen Vesikelprotein 2C (SV2C). Erst die zusätzliche Interaktion mit Zuckermolekülen, die mittels N-Glykosylierung am SV2C-Rezeptor verankert sind, vermittelt die hoch-affine Bindung des Toxins an seinen zellulären Rezeptor.
Die Kombination biochemischer Methoden mit physikalischen Verfahren (markierungsfreie Interaktionsmessungen) zeigte, dass erst die zusätzliche Bindung an das Zuckermolekül (posttranslationale Glykosylierung des SV2Cs) die Interaktion so stabilisiert, dass eine effiziente Aufnahme des Toxins in Nervenzellen überhaupt möglich wird. Die genaue Bindungsstelle an das Zuckermolekül konnte durch Kristallisationsexperimente aufgeklärt werden. Die Bindungsstelle befindet sich genau an der Stelle, an der auch ein therapeutisch wirksamer monoklonaler Antikörper bindet (solche Antikörper werden als Mittel gegen Toxine eingesetzt). Vor allen Dingen stellt die gleichzeitige Bindung an Zucker und Protein innerhalb eines Moleküls aber einen neuartigen Mechanismus dar, der es Pathogenen erlaubt, hoch-spezifische und gleichzeitig konservierte Bindungsstellen an zellulären Rezeptoren für den Eintritt in die Wirtszelle zu nutzen.
Die gewonnen Erkenntnisse zeigen daher eine interessante Strategie auf, Interaktionen zwischen Pathogen und Zelle künstlich nachzustellen sowie breit neutralisierende Antikörper für therapeutische Zwecke zu entwickeln.
Die Kristallstrukturen von BoNT/A, SV2C und des Komplexes aus glykosyliertem Rezeptor und der Rezeptorbindungsdomäne von BoNT/A sind in der RCSB Protein Data Bank unter folgenden IDs abrufbar: 3BTA, 4JRA und 5JLV (Link siehe unten).
Das RKI-Fachgebiet Biologische Toxine (ZBS3) ist eine nationale Referenzstelle für Toxine, die von ausgewählten Bakterien und Pflanzen produziert werden und die schwerwiegende Intoxikationen beim Menschen hervorrufen können. Die Arbeitsschwerpunkte sind:
- Diagnostik von Toxinen mikrobiellen und pflanzlichen Ursprungs, die für bioterroristische Anschläge genutzt werden können mit zellbiologischen, genetischen und serologischen Techniken sowie mit chromatografischen Methoden und Massenspektroskopie,
- Konsiliarlabor für Clostridium botulinum, in diesem Zusammenhang epidemiologische Untersuchungen beim Auftreten von Botulismus,
- Untersuchungen zur Variabilität und Funktionalität von Botulinum Neurotoxinen,
- Aufbau von Qualitätssicherungsmaßnahmen im Bereich biologischer Toxine (Ringversuche, Referenzmaterialien, SOPs),
- Entwicklung von Strategien zum Nachweis neuer und veränderter Toxine und Agenzien,
- Forschung auf dem Gebiet der Pathogenese der verursachten Erkrankungen,
- Entwicklung von Strategien zur Prävention, Dekontamination und Bekämpfung,
- Mitwirkung an der Erstellung von Standardtherapien.
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