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1931 bis 1940: Das Robert Koch-Institut im Nationalsozialismus

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Akte mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, auf dessen Grundlage Menschen jüdischer Herkunft aus dem Dienst entfernt werden konnten. Quelle: © RKI Akte mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, auf dessen Grundlage Menschen jüdischer Herkunft aus dem Dienst entfernt werden konnten. Quelle: RKI


Ein schlichtes Büro im Hauptgebäude des Robert Koch-Instituts am Nordufer in Berlin-Wedding. Prof. Dr. Werner Silberstein blättert durch Unterlagen, die den Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere dokumentieren. Institutseintritt: 1. Januar 1926. Sein Gehalt: 350 Mark pro Monat. Kurz darauf streift er durch die historische Bibliothek. „Genauso sah sie aus, hier habe ich Stunden verbracht“, sagt er. „Wenn gerade mal Zeit war zwischen den Untersuchungen. Ich bin überzeugt, ich
würde noch bestimmte Bücher am selben Platz finden.“ Sieben Jahre lang hat der Bakteriologe im Preußischen Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ geforscht. Dann kam der 30. Januar 1933. Adolf Hitler errang die Macht. Und der Jude Werner Silberstein, damals 31 Jahre alt, musste gehen.

Es sind Szenen des Dokumentarfilms „Begegnung mit der alten Heimat – ein Wiedersehen mit Berlin“ von 1979, wiederentdeckt von der Historikerin Annette Hinz-Wessels von der Charité. Die Medizin im Nationalsozialismus ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte: Von 2006 bis 2008 war sie Teil einer vom Robert Koch-Institut initiierten historischen Arbeitsgruppe, die die Verstrickungen des Instituts zu NS-Zeiten aufgearbeitet hat; nach Abschluss des Forschungsprojekts hat sie ein Buch über das RKI im Nationalsozialismus geschrieben. Im fünften Salon zur Institutsgeschichte geht es ihr in erster Linie um die Mitarbeiter, die zu dieser Zeit im Robert Koch-Institut tätig waren – insbesondere um das Schicksal der jüdischen Wissenschaftler.
Die besonderen Stücke des Abends: Eine Akte mit dem berüchtigten Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, auf dessen Grundlage Menschen jüdischer Herkunft aus dem Dienst entfernt werden konnten. Und der Dokumentarfilm, der einem von ihnen eine Stimme gibt.

Stimmungen und Strömungen im RKI vor 1933

„Die frühen 1930er Jahre im RKI“, berichtet Annette Hinz-Wessels, „waren von zwei recht gegensätzlichen Strömungen geprägt.“ Einerseits hat Fred Neufeld, seit 1917 Direktor, ein liberales Klima geschaffen. Er arbeitet viel mit Amerikanern zusammen, öffnet das Institut für Wissenschaftlerinnen – und für jüdische Mitarbeiter. Letztere stellen Anfang der 1930er Jahre sogar die überwiegende Mehrheit des akademischen Mittelbaus. „Doch auf der Ebene der Abteilungsleiter dominierte der Typus des deutschnational eingestellten, ehemals kaiserlichen Kolonial- und Militärarztes. Einige von ihnen gehörten auch den entsprechenden Parteien in der Weimarer Republik an.“

Sieben Jahre lang hat Werner Silberstein im Preußischen Institut für Infektionskrankheiten „Robert Koch“ geforscht. Dann kam der 30. Januar 1933.

Zu dieser Zeit ist zwar keiner der RKI-Wissenschaftler Mitglied in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-Partei (NSDAP). Doch der stellvertretende Direktor Friedrich Karl Kleine unterzeichnet zusammen mit anderen Berliner Hochschullehrern einen Aufruf, bei den Reichstagswahlen 1933 die NSDAP und Adolf Hitler zu wählen. „Die Quellen erwecken den Eindruck, dass man mit Hitler durchaus wieder die Chance eines Aufstiegs der deutschen Wissenschaft sah“, sagt Hinz-Wessels.

Bereits kurz nach Hitlers Machtergreifung, im Frühjahr 1933, müssen mindestens zwölf Männer und Frauen die Arbeit im Institut wegen ihrer jüdischen Herkunft einstellen. Walter Levinthal ist darunter, der Entdecker des Psittakoseerregers und Paul-Ehrlich-Preisträger war schon vorher von Institutsmitarbeitern denunziert und von der SA sogar kurzzeitig verhaftet worden. Lucie Adelsberger, die das Fachgebiet der Allergologie im Institut neu etabliert hat. Und Werner Silberstein. „Es ist nicht bekannt, dass sich nichtjüdische Mitarbeiter für ihre jüdischen Kollegen eingesetzt hätten“, sagt Hinz-Wessels. Immerhin habe 1933 noch die Möglichkeit bestanden, ehemaligen Frontsoldaten wie Levinthal die Kündigung nicht sofort auszusprechen – derlei sei aber nicht geschehen. „Die Entlassenen haben lediglich positive Zeugnisse ausgestellt bekommen. Man wollte ihnen den Neueinstieg irgendwo anders damit offenbar leichter gestalten.“

Das Robert Koch-Institut im Nationalsozialismus

1935 wird das Institut organisatorisch im Reichsgesundheitsamt eingegliedert, als Spezialinstitut für medizinisch-bakteriologische Fragen. Im Laufe der 1930er Jahre wechseln auch die Abteilungsleiter: „Alle Wissenschaftler, die nach 1935 ins Institut gekommen sind, waren langjährige NSDAP-Mitglieder“, berichtet Annette Hinz-Wessels. Direktor wird Eugen Gildemeister. Der Bakteriologe ist damals international anerkannt. Ein Gutachter der Rockefeller-Stiftung bezeichnet ihn in einer Notiz bereits als „ersten richtigen Nazi-Professor“, lange bevor er in die NSDAP eintritt. Als das Institut 1942 zur eigenständigen Reichsanstalt „Robert Koch-Institut“ erklärt wird, bleibt Gildemeister Präsident.

An den Forschungsschwerpunkten im RKI ändert sich zunächst wenig. In einzelnen Abteilungen lassen sich Einflüsse der Erb- und Rassenhygiene erkennen, der Leitwissenschaft der Nationalsozialisten: Einige RKI-Forscher bejahen etwa den Einfluss der „Rasse“ auf den Verlauf von Infektionen – als Beweis dient die angeblich höhere Tuberkuloseresistenz von Juden. Und man versucht experimentell, menschliche „Rassen“ anhand von Blutseren zu unterscheiden.

Ab 1939 bestimmt der Zweite Weltkrieg die Tätigkeitsfelder des Instituts. Man konzentriert sich auf die Bekämpfung von Malaria, Fleckfieber und Gelbfieber – Infektionskrankheiten, die die militärische Schlagkraft bedrohen.

Ab 1939 bestimmt der Zweite Weltkrieg die Tätigkeitsfelder des Instituts. Man konzentriert sich auf die Bekämpfung von Malaria, Fleckfieber und Gelbfieber – Infektionskrankheiten, die die militärische Schlagkraft bedrohen. Das RKI arbeitet eng mit weiteren zivilen, aber auch militärischen Stellen zusammen. Im Rahmen dieser Forschung finden Menschenversuche in Heilstätten und Konzentrationslagern statt, die RKI-Mitarbeiter zum Teil selbst organisieren und die hunderte Menschenleben fordern. Infektionsversuche mit Malaria, experimentelle Typhusbehandlungen, Impf-Experimente mit Gelbfieber, Ruhr, Paradontose und Fleckfieber. „Eugen Gildemeister testete Fleckfieber-
Impfstoffe im KZ Buchenwald, mit tödlichen Folgen“, sagt Hinz-Wessels. Zur Rechenschaft gezogen wird er dafür nie. Am 8. Mai 1945, dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkriegs, stirbt Gildemeister unter ungeklärten Umständen.

Wiedersehen mit Berlin

Viele der jüdischen Mitarbeiter, die 1933 ihre Arbeit im Robert Koch-Institut verlieren, emigrieren. Walter Levinthal etwa flieht nach London und forscht als Rockefeller-Stipendiat am National Institute for Medical Research.

Die Kinderärztin Lucie Adelsberger bleibt in Deutschland. 1938 schlägt sie sogar ein Stellenangebot der Harvard University aus – weil sie ihre kranke Mutter nicht zurücklassen will. 1943 wird Lucie Adelsberger nach Auschwitz deportiert. Sie überlebt erst Auschwitz, dann Ravensbrück, wird schließlich von der Roten Armee befreit.Nach dem Krieg geht sie in die USA, wo sie als Tuberkulose-Ärztin arbeitet. Nach Deutschland kehrt sie nie wieder zurück.

Der gebürtige Berliner Werner Silberstein emigriert 1933 nach Jerusalem. Im Laufe der Jahre arbeitet er als Bakteriologe in einem Krankenhaus und im Zweiten Weltkrieg zeitweise auch an der Universität Istanbul. Später wird er Direktor des Zentrallabors des staatlichen Gesundheitsamts in Israel, gründet und leitet Israels Public-Health- Laboratorien, wird Ehrenbürger der Stadt Jerusalem. Auch im Ruhestand bleibt er fachlicher Berater im israelischen Gesundheitsministerium.

Tage später steht Werner Silberstein vor dem Hauptgebäude des Robert Koch-Instituts am Nordufer in Berlin-Wedding. Es ist „unverändert, wie es war.“

1979 lädt ihn der Berliner Senat in seine alte Heimat ein. Kurz vorher besucht ihn das Filmteam in Jerusalem. Die Wohnungseinrichtung stammt zum Teil noch aus Berliner Zeiten. Er habe gemischte Gefühle so kurz vor dem Flug, sagt Silberstein in die Kamera. „Was werde ich in Berlin wiedersehen. Die Stätten meiner Jugend? Kaum.“Tage später steht Werner Silberstein vor dem Hauptgebäude des Robert Koch-Instituts am Nordufer in Berlin-Wedding. Es ist „unverändert, wie es war.“ Sieben Jahre hat er hier gearbeitet, Tag für Tag Experimente gemacht. Als er schon längst in Israel war, hat er noch nachträglich seine Professur erhalten: „Ich bin Professor a.D. des Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten ‚Robert Koch’.“ Nach 46 Jahren betritt Werner Silberstein das Robert Koch-Institut zum ersten Mal.

Stand: 16.10.2017

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