Neuartiges H1N1-Schweinegrippevirus bei Schweinen in China
Schweine sind empfänglich für Influenzaviren verschiedener Spezies und sind Wirte zahlreicher Schweineinfluenzaviren. Da Influenzaviren bei Schweinen häufig vorkommen und ganzjährig zirkulieren, können sich diese Viren in Schweinen bei Mehrfachinfektionen vermischen. Auf diese Weise können neue Viren mit pandemischen Potential entstehen.
Eine Forschergruppe aus China hat am 29.06.2020 einen Bericht über die Surveillance von Influenzaviren bei Schweinen im Zeitraum von 2011 bis 2018 im Fachjournal PNAS veröffentlicht. Demnach kommt seit 2016 in Schweinepopulationen in China ein reassortiertes, eurasisches vogelähnliches (EA) H1N1-Virus vor, das viele Gene des pandemischen Virus von 2009 (pdm/09), aber auch Gene der aus Nordamerika stammenden, dreifach reassortierten Schweineinfluenzaviren (TR) trägt. Dieser Virus-Genotyp wird von den Autoren als G4 bezeichnet.
Nach Aussagen der Wissenschaftler binden diese G4-Viren ähnlich wie das pdm/09-Virus an Rezeptoren vom menschlichen Typ, können sich in Epithelzellen der menschlichen Atemwege erfolgreich replizieren und zeigen eine effiziente Infektiosität und Aerosolübertragung bei Frettchen. Den Wissenschaftlern zufolge deutet eine geringe antigene Kreuzreaktivität von menschlichen Influenza-Impfstoffstämmen mit dem G4-reassortierten EA H1N1-Virus darauf hin, dass es in der Bevölkerung keinen Immunschutz gegen G4-Viren gebe.
Ferner konnte in der Studie gezeigt werden, dass 10,4 % (35/338) der untersuchten Schweinehalter mit dem G4-EA-H1N1-Virus serologisch reagierten, in der Altersgruppe von 18 bis 35 Jahren sogar 20,5 % (9/44). Die Forscher schließen aus diesen Ergebnissen auf eine Infektion mit G4-EA-H1N1-Virus beim Menschen und diskutieren ein pandemisches Potential dieses Virus.
Vereinzelte Übertragungen von Schweine-Influenzaviren auf den Menschen kommen generell vor. Die G4-Viren wurden jedoch noch nicht direkt beim Menschen nachgewiesen und somit der direkte Beweis für eine Übertragung nicht erbracht. Die Gefahr einer Pandemie könnte auch erst dann postuliert werden, wenn Mensch-zu-Mensch-Übertragungen (Infektionsketten) ersichtlich würden. Der WHO-Experte Mike Ryan betonte auf einer Pressekonferenz am 1. Juli 2020, dass der G4-Genotyp weiter beobachtet werden müsse.