Im Epizentrum
Virologen des RKI diagnostizieren Ebolafieber-Infektionen im Ausbruchsgebiet – im Europäischen Mobilen Labor
Es ist heiß im Zelt. In Guéckédou herrschen im Juni Temperaturen von 30 Grad. Andreas Kurth ist von Kopf bis Fuß in Schutzkleidung gehüllt. In seiner Schutzbrille steht der Schweiß. Er muss den Kopf leicht nach hinten kippen, damit ihm der Schweiß nicht in die Augen läuft. Die Zwillinge sind gerade einmal ein halbes Jahr alt und völlig dehydriert. Sie liegen zusammen in einem Bett, zwei winzige, ausgemergelte Körper. Immer wieder versuchen die Pfleger, ihnen Wasser und Elektrolyte einzuflößen. Die Kinder werden sterben. "Sie hatten keine Chance", sagt er.
Das Behandlungszentrum von Ärzte ohne Grenzen in Guéckédou, Guinea. Links sitzen Patienten unter einem Schirm. Auf der rechten Seite trocknet die Kleidung der Ärzte und Pfleger.
Guéckédou, Guinea, ist im Juni 2014 das Epizentrum des Ebolafieber-Ausbruchs in Westafrika. Der Besuch bei den Patienten ist eine Ausnahme - Andreas Kurth muss ein Messgerät für Blutparameter installieren. Eigentlich sind er und sein Team hier, im Behandlungszentrum von Ärzte ohne Grenzen, für die Diagnostik verantwortlich. Im Europäischen Mobilen Labor, einer Art Hochsicherheitslabor in einem 20-Quadratmeter-Zelt, testen sie das Blut von Ebolafieber-Verdachtsfällen. Hier entscheidet sich, welche Patienten im Behandlungszentrum bleiben. Und wer wieder gehen darf.
Andreas Kurth ist Virologe. Er leitet das neue S4-Labor am Robert Koch-Institut, ein Labor der höchsten Sicherheitsstufe. Als sie ihn gefragt haben, ob er das Europäische Mobile Labor in Guinea unterstützen würde, hat er keine Sekunde gezögert. "Wir kennen den Erreger. Wir können mit den Proben umgehen. Wer soll die Arbeit machen, wenn nicht wir."
Ein europäisches Gemeinschaftsprojekt
Das Europäische Mobile Labor, englisch European Mobile Laboratory oder kurz EMLab, ist ein Speziallabor für hochpathogene Erreger, das in Windeseile in einem Ausbruchsgebiet aufgebaut und betrieben werden kann. Die mobilen Labore selbst - insgesamt gibt es drei - hat das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München konzipiert. Die Koordination der Einsätze liegt beim Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Das Projekt wird von der Europäischen Kommission finanziert. Partner aus ganz Europa sind daran beteiligt, darunter Public Health England, das Laboratoire P4 Inserm Jean Merieux in Frankreich und, seit 2014, auch das Robert Koch-Institut.
Das EMLab ist seit März 2014 in Guéckédou im Einsatz, kurz nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) dort die ersten Fälle von Ebolafieber offiziell bestätigt hat. Fünf Wissenschaftler arbeiten hier immer für vier Wochen. Danach werden sie vom nächsten Team abgelöst. Bei der Bekämpfung des Ausbruchs ist man auf eine zuverlässige Diagnostik vor Ort angewiesen: Infizierte müssen schnell von den anderen isoliert werden - nur so lässt sich verhindern, dass sich die Seuche immer weiter ausbreitet.
Die Patientenproben werden registriert. Anfang Juni bearbeitet das Team in Guéckédou bis zu 20 Proben am Tag.
Andreas Kurth tritt Ende Mai 2014 seinen Dienst in Guéckédou an, zusammen mit einem Marburger Kollegen, einer Schottin, einer Französin und einer Italienerin. Die Tage sind immer gleich. Um halb neun wird der Ventilator angestellt und das Labor geöffnet. Die frischen Blutproben kommen zuerst in die Glovebox, einer transparenten Kiste mit integrierten Handschuhen, in der die Virologen das infektiöse Material sicher bearbeiten können. Die Probe wird auf Malaria getestet und chemisch inaktiviert - also eventuell vorhandene Ebolaviren abgetötet. Außerhalb der Glovebox wird dann untersucht, ob im Blut des Patienten tatsächlich Ebolaviren zu finden sind.
Andreas Kurth analysiert Blutproben von Ebolafieber-Verdachtsfällen.
Die Abläufe sind ähnlich wie in einem Hochsicherheitslabor der Stufe 3 am Robert Koch-Institut. Und trotzdem ist die Arbeit im Ausbruch völlig anders. Das liegt nicht nur an den einfachen Bedingungen im Zelt, die jeden Bearbeitungs- und Desinfektionsschritt in die Länge ziehen. Wenn Andreas Kurth in Guéckédou aus dem Zeltfenster schaut, über den roten Absperrzaun, kann er die Patienten sehen. Er sieht Menschen, die sich übergeben. Er sieht, wie eine Frau tot zusammenbricht. Er sieht Kinder, die elternlos durchs Camp irren. "Zu jeder Probe", sagt er, "gibt es ein Gesicht."
Die erste Juniwoche ist so etwas wie der Turning Point in Guéckédou. Die Epidemie nimmt Fahrt auf, die Fallzahlen schießen plötzlich in die Höhe. Andreas Kurths Team bearbeitet pro Tag um die 20 Blutproben von Patienten mit Verdacht auf Ebolafieber. Fast alle sind positiv.
Ein Training bei der Bundeswehr und Verhaltensregeln für den Einsatz
Inzwischen wütet das Ebolavirus seit mehr als einem Jahr in Guinea, Sierra Leone und Liberia. Nach Angaben der WHO sind bis März 2015 mehr als 24.000 Menschen an Ebolafieber erkrankt und rund 10.000 daran gestorben. Es ist der schwerste Ausbruch in der Geschichte. Das European Mobile Laboratory Project hat längst alle drei seiner mobilen Labore in Westafrika im Einsatz. Bislang haben zehn RKI-Mitarbeiter das EMLab vor Ort unterstützt, manche sogar zweimal. "Im Schnitt stellen wir jeden Monat einen Kollegen", sagt Andreas Nitsche. Er leitet den Fachbereich Hochpathogene Viren am Robert Koch-Institut und organisiert die Einsätze.
Wer im EMLab arbeiten will, sagt Andreas Nitsche, sollte die Diagnostik von Viren beherrschen und möglichst schon Erfahrungen in afrikanischen Ländern gesammelt haben. Die Anwärter bekommen ein fünftägiges Training bei der Bundeswehr in München, Online-Sicherheitstrainings für UN-Mitarbeiter, eine ganze Palette an Untersuchungen, Impfungen und Verhaltensregeln für den Einsatz: Menschenansammlungen meiden. Sich nicht außerhalb des Hotels oder Labors aufhalten. Die Teilnehmer, sagt Andreas Nitsche, kommen aus ganz verschiedenen Fachgebieten. Sogar eine Grippeforscherin ist darunter. "Es sind viele junge Wissenschaftler, die bereit sind, diese große Verantwortung auf sich zu nehmen", sagt Andreas Nitsche. Er ist stolz auf seine Kollegen.
Umgehen mit der Angst
Denn der Einsatz im EMLab verlangt den Mitarbeitern viel ab. Viele Stunden stehen sie im Labor, und das vier Wochen lang, durchgehend. Es ist eng, es ist heiß. Manche Teams prozessieren bis zu 70 Proben am Tag. "Dazu kommen die gruppendynamischen Prozesse", sagt Andreas Kurth. Die fünf Teammitglieder werden aus ganz Europa zusammengewürfelt, was nicht immer einfach ist. In den nächsten vier Wochen verbringen sie dann fast jede Minute zusammen. "Irgendwann fängt es an zu knirschen." Andreas Kurth hat sich mit zwei Teamkolleginnen wenig verständigen können, weil sie nicht gut Englisch sprachen. Und im Team seiner RKI-Kollegin Constanze Yue gab es von Anfang an auch Spannungen.
Constanze Yue arbeitet im Fachbereich Hochpathogene Viren für das Deutsche Partnerschaftsprogramm für Biologische Sicherheit und Gesundheitssicherstellung des Auswärtigen Amtes, das unter anderem am RKI angesiedelt ist. Sie unterstützt afrikanische Partnerländer wie Marokko oder Tunesien dabei, ihre diagnostischen Fähigkeiten auszubauen. Als im Juni 2014 die Anfrage vom EMLab in Guéckédou kommt, sagen ihre Freundinnen: "Geh nicht." Constanze Yue fährt trotzdem. "Ich hatte keine Zeit, mich damit großartig auseinanderzusetzen. Ich habe es einfach gemacht."
Es war eine drastische Erfahrung, sagt sie heute. Die einzelnen Teammitglieder kommen nicht gut miteinander zurecht. Ein Kollege ist mit der Ausbruchssituation völlig überfordert. "Er hat sich geweigert, die Proben anzufassen. Sein Gesicht bleich, wie versteinert. Es ging ihm sehr schlecht", sagt Yue. Abbrechen will er den Einsatz nicht. Doch seine Angst ist so groß, dass Constanze Yue fortan alleine die infektiösen Proben in der Glovebox bearbeitet. Der Kollege hantiert nur mit Material, das bereits inaktiviert ist.
Bei Constanze Yue wird am Eingang zum Behandlungszentrum in Foya, Liberia, Fieber gemessen.
Auch Constanze Yue macht die unterschwellige Bedrohung durch das Ebolavirus zu schaffen. Nachrichten von MSF-Ärzten oder Mitarbeitern der WHO, die sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen infiziert haben, verbreitet sich jedes Mal wie Lauffeuer unter den Helfern. Wenn sie abends allein in ihrem Hotelzimmer sitzt, telefoniert sie mit ihrer Kollegin vom RKI, zu Hause in Berlin. "Sie hat mir Mut gemacht."
Abgeschreckt haben sie die Erfahrungen in Guéckédou nicht. Im November absolviert Constanze Yue noch einen zweiten Einsatz im EMLab - diesmal in Foya, Liberia, zusammen mit ihrer Kollegin vom RKI. "Meine Bedingung war, dass einer im Team sein muss, den ich kenne", sagt sie.
Ein Mitarbeiter pro Monat für das EMLab
Wenn ein Mitarbeiter am EMLab teilnimmt, fällt er - die Vorbereitungszeit und eine Woche Erholung im Anschluss mit eingerechnet - für sechs Wochen im Robert Koch-Institut aus. Das bedeutet auch, dass Aufgaben liegen bleiben oder von den Kollegen in Berlin übernommen werden müssen. "Die Leitung hat von Anfang an signalisiert: Wer in den Ausbruch gehen will, darf gehen. Wir kompensieren das hier", sagt Andreas Nitsche. Das RKI will dem European Mobile Laboratory Project weiterhin im Schnitt einen Helfer pro Monat stellen. Solange, bis der Ausbruch vorbei ist. Anwärter, sagt RKI-Koordinator Nitsche, gebe es genug: "Die meisten, die schon unten waren, wollen gleich noch einmal hin."
Andreas Kurth und Constanze Yue nehmen viel von ihren Einsätzen mit. Das Gefühl, etwas wirklich Sinnvolles getan zu haben. Die Gewissheit, auch unter vergleichsweise einfachen Bedingungen sicher mit hochpathogenen Erregern umgehen zu können. Den großen Respekt vor den Helfern von Ärzte ohne Grenzen, die bis zur Selbstaufgabe die Kranken betreuen - "und vor der Widerstandskraft der Patienten", sagt Andreas Kurth.
Es gibt sie nämlich, diese Momente des Glücks. Die Schwangere, die das Ebolavirus doch noch besiegt. Der 15-jährige Junge, der - deutlich geschwächt von Infektion - jeden Tag Fitnessübungen macht und vor dem Behandlungszelt hin- und herjoggt. Der Moment, wenn sie in den Blutproben eines Ebolapatienten keine Spur mehr vom Virus entdecken. Wenn auch der zweite, der Bestätigungstest, am nächsten Tag negativ ist. Wenn der Patient nach Hause geht.
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