186. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaberin
Deutsches Krebsforschungszentrum, Heidelberg.
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- KhES-1 (Kyoto University, Kyoto, Japan)
- RUES2 (Rockefeller University, New York, USA)
Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten ist die Entwicklung von neuen Modellen für das Medulloblastom, den häufigsten bösartigen Tumor im Kindesalter. Im Rahmen von drei Teilprojekten sollen dabei für drei in ihrem zellbiologischen Ursprung unterschiedliche Tumor-Subtypen (sog. SHH-Subtyp, Gruppe 3- und Gruppe 4-Subtypen), für die es derzeit keine oder nur unzureichend aussagekräftige Zell- und Tiermodelle gibt, neue Modellsysteme etabliert werden, die auf aus hES-Zellen abgeleiteten neuronalen Vorläuferzellen und Kleinhirn-Organoiden basieren und an denen künftig Untersuchungen zur Biologie dieser Tumoren vorgenommen werden und die Entwicklung neuer Wirkstoffe zur Behandlung dieser Tumoren erfolgen können.
Zunächst sollen hES-Zellen in die (potentiellen) Ursprungszellen der genannten Tumor-Subtypen differenziert werden. Dies sind für die o.g. Tumor-Subtypen nach derzeitigem Kenntnisstand Vorläuferzellen der Körnerneuronen (granule neuron precursors, GNPs, SHH-Subtyp), Vorläuferzellen der rhombischen Lippe (rhombic lip progenitors, RLPs, Gruppe-3-Tumore) bzw. Vorläuferzellen der unipolaren Bürstenzellen (unipolar brush cells, UBCs, Gruppe-4-Tumore). Außerdem sollen Stammzellen des dorsalen Neuralepithels (NESC) und 3D-Kleinhirn-Organoide aus hES-Zellen differenziert werden. Für die In-vitro-Gewinnung der genannten Zelltypen/Organoide sollen zum einen publizierte Protokolle zur Anwendung kommen, zum anderen sollen neue Vorgehensweisen unter Verwendung lentiviraler Transkriptionsfaktor-Screens entwickelt werden. Um eine Tumorgenese in vitro zu induzieren, sollen in diesen Vorläuferzellen/Organoiden dann genetische Veränderungen vorgenommen werden, die mit den genannten Tumor-Subtypen assoziiert sind, wobei beispielsweise (mutmaßliche) Onkogene überexprimiert und/oder Tumorsuppressorgene ausgeschaltet werden sollen. Anschließend werden die Auswirkungen der genetischen Veränderungen auf die Entwicklung und die Eigenschaften der Zellen/Organoide auf zellbiologischer und molekularer Ebene detailliert bestimmt, wobei die Untersuchungen vornehmlich auf Anzeichen einer neoplastischen Transformation gerichtet sind. Die dabei entstehenden (humanen) Tumore sollen dann jeweils auf immundefiziente Mäuse übertragen und dadurch Xenograft-Modelle etabliert werden, in denen das Tumorwachstum in vivo analysiert und die Charakteristika der sich in vivo entwickelnden Tumorzellen umfassend untersucht werden sollen.
Um in Zukunft auch patientenspezifische induzierte pluripotente Stammzellen (hiPS-Zellen) als Ausgangsmaterial für die Herstellung von Medulloblastom-Vorläuferzellen verwenden zu können, ist ferner geplant, die Arbeiten auch unter Verwendung von hiPS-Zellen durchzuführen, wobei hES-Zellen als Referenzmaterial genutzt werden sollen.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung, wobei die Ergebnisse künftig auch zur Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Verfahren zur Anwendung bei Menschen beitragen können.
Hintergrund des Forschungsvorhabens ist die Tatsache, dass – obwohl es sich bei Medulloblastomen, die im sich entwickelnden Kleinhirn entstehen, um die häufigsten Hirntumore im Kindesalter handelt – das Verständnis von den molekularen Ursachen der Tumorentstehung unzureichend und die Behandlungsmöglichkeiten teils inadäquat und mit einem erheblichen Verlust an Lebensqualität verbunden sind. Problematisch ist die erhebliche Heterogenität der Tumoren, so dass die Klärung offener Fragen zu den Ursachen, zur molekularen Pathologie und zur Progression dieser Tumore die Bereitstellung von jeweils spezifischen Zell,- Gewebe- und/oder Tiermodellen für die Abbildung eines jeden Tumor-Subtyps erfordert. Auf Grundlage neuerer Erkenntnisse zur Entwicklung von Kleinhirn-Organoiden aus humanen pluripotenten Stammzellen sollen im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten nunmehr Modelle für die genannten Tumor-Subtypen entwickelt werden. Hierfür sollen die Zellen, die als Ausgangspunkt für die Entstehung des jeweiligen Tumor-Subtyps angesehen werden, in den erforderlichen Mengen bereitgestellt und mit genetischen Veränderungen versehen werden, die mit der Entwicklung des jeweiligen Tumorsubtyps assoziiert sind. Anschließend soll der Effekt der jeweiligen genetischen Veränderungen auf das Wachstum und die Eigenschaften der Zellen sowie auf die Entstehung von Tumorzellen im Rahmen von herkömmlichen zweidimensionalen Kulturen sowie im Kontext sich in vitro entwickelnder humaner Kleinhirn-Organoide untersucht werden. Schließlich sollen die so gewonnenen In-vitro-Modelle auf Mäuse übertragen werden, um ihre Nutzbarkeit unter In-vivo-Bedingungen klären zu können, was für weitere Untersuchungen zur Tumorbiologie und für die Arzneimittelentwicklung erforderlich ist.
Mit den genehmigten Forschungsarbeiten wird teilprojektübergreifend die Klärung mehrerer wissenschaftlicher Fragestellungen angestrebt, die voneinander unabhängig und jeweils bereits für sich genommen der Erreichung eines jeweils hochrangigen Forschungszieles dienen. Erstens sollen im Ergebnis der Arbeiten voraussichtlich erstmals spezifische Vorgehensweisen für die Gewinnung bestimmter humaner neuraler Vorläuferzellen vorliegen, die in vitro bislang nicht bzw. nicht in hinreichendem Maße zugänglich waren, nämlich Vorläuferzellen der Rhombischen Lippe (RLPs) und Vorläuferzellen von unipolaren Bürstenzellen (UBCs). Zweitens werden die beantragten Forschungsarbeiten voraussichtlich neue Einblicke in die Beteiligung bestimmter Signalwege bzw. der Produkte spezifischer Gene an der Entstehung und Progression verschiedener Typen des humanen Medulloblastoms geben können. Drittens sollen mit den Forschungsarbeiten bislang nicht verfügbare, humane Zell- und Gewebemodelle für distinkte Formen von Medulloblastomen bereitgestellt werden, die in vitro oder – nach Transplantation in Mäuse als Xenograft-Modell - in vivo – für weitere Untersuchungen zur Genese und Entwicklung dieser Tumoren und für die Wirkstoffentwicklung eingesetzt werden können.
Aus den Forschungsarbeiten zur Tumorentstehung und -progression wird in allen drei Projektteilen erwartet, dass zum einen Aufschluss über die Involvierung verschiedener Onkogene und Tumorsuppressorgene in die Entstehung des jeweiligen Tumor-Subtyps gewonnen und die Frage geklärt werden kann, auf welcher Ebene und zu welchem Zeitpunkt der Entwicklung die veränderte Genaktivität zu pathologischen Veränderungen in der Zellbiologie und damit zur Entstehung von Medulloblastomen führt. Zudem sollen die mit den veränderten Genaktivitäten jeweils assoziierten weiteren Signalwege/Downstream-Faktoren, die auf molekularer Ebene an der Tumorentwicklung beteiligt sind und somit Angriffspunkte für eine künftige Arzneimittelentwicklung darstellen könnten, identifiziert und charakterisiert werden. Zum anderen werden im Ergebnis der genehmigten Arbeiten voraussichtlich für alle der hier untersuchten Tumor-Subtypen Zell- und Tiermodelle verfügbar sein, die zahlreiche Aspekte primärer Tumoren nachbilden und so für die weitere Erforschung der Tumorbiologie und für die Entwicklung von Wirkstoffen eingesetzt werden können.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten hinreichend vorgeklärt sind.
Zur Biologie und Provenienz von humanen Medulloblastomen liegt eine umfangreiche Literatur vor. Die Klassifikation in vier Subtypen ist gut etabliert: obwohl die Subtyp-Klassifizierung des Medulloblastoms noch nicht abgeschlossen ist, ist es allgemein anerkannt, dass jeder Subtyp eine eigenständige Einheit bildet, die von einer Subtyp-spezifischen Art des Auftretens genetischer Veränderungen gekennzeichnet ist.
Zu den genetischen Veränderungen, die mit Medulloblastomen der SHH-Gruppe assoziiert sind, liegen umfangreiche Studien vor, auf denen die hier geplanten Arbeiten aufbauen. Als von der Entstehung von Medulloblastomen des SHH-Typs betroffener Ausgangszelltyp werden Vorläuferzellen der Körnerzellen (GNPs) angesehen, deren Proliferation einer strikten Kontrolle durch den SHH-Signalweg unterliegt. Zudem entwickeln konditionale knockout-Mäuse, in denen eine schrittweise Inaktivierung des Gens Ptc in GNPs erfolgen kann, Medulloblastome, was ebenfalls auf den Ursprung dieser Tumore aus den GNPs hindeutet. Obgleich die mit den Tumoren der Gruppen 3 und 4 assoziierten genetischen Veränderungen deutlich heterogener sind als in der SHH-Gruppe, konnten auch für diese Tumoren typische Mutationen und weitere genetische Veränderungen identifiziert werden, beispielsweise eine Aktivierung von MYCN, die Amplifikation von OTX2 oder eine Aktivierung von GFI1 bzw. PRDM6. Die beantragten Forschungsarbeiten basieren auf diesen Erkenntnissen. Als Ursprungszellen von Tumoren der Gruppen 3 und 4, die offenbar einer gemeinsamen Entwicklungslinie im Zentralnervensystem entstammen, wurden erst jüngst Vorläuferzellen der Rhombischen Lippe (RLPs) bzw. der unipolaren Bürstenzellen (UBCs) identifiziert.
Die Vorgehensweisen zur Gewinnung von Vorläufern der Körnerzellen, von neuroepithelialen Stammzellen und von Kleinhirn-Organoiden sind in der Literatur beschrieben. Das beabsichtigte Vorgehen zur Entwicklung von Protokollen für die Differenzierung von hES-Zellen in Zellen der Rhombischen Lippe bzw. von unipolaren Bürstenzellen soll durch ein mehrstufiges Screening auf geeignete Transkriptionsfaktoren erfolgen und basiert auf bereits in der Vergangenheit angewandten prinzipiellen Vorgehensweisen, wobei die für das gerichtete Differenzierungs-Screening zum Einsatz kommenden zellulären Faktoren beim Antragsteller bereits identifiziert wurden. Die für die Entwicklung gerichteter Differenzierungsprotokolle erforderlichen Reporterzellinien sind entweder bereits verfügbar oder sollen im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten hergestellt werden. Die Vorgehensweisen zur Entwicklung von In-vivo-Tumormodellen durch Übertragung humaner Zellen/Organoide in das Kleinhirn neonataler Mäuse sind vielfach erprobt und in der Literatur beschrieben.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Die Forschungsziele können nicht unter Verwendung von tierischen Zellen oder von Versuchstieren erreicht werden: zwar gibt es für alle Arten der hier untersuchten Medulloblastome bereits Mausmodelle, jedoch spiegeln diese nur einzelne Aspekte der Tumorbiologie wider und sind nur eingeschränkt in der Lage, alle wesentlichen Aspekte der Tumorentwicklung abzubilden. Zudem ist fraglich, ob und inwieweit humanspezifische Eigenschaften des Genoms für die Etablierung von Medulloblastomen bestimmter Subtypen erforderlich sind; ferner gibt es offenbar erhebliche, erst jüngst identifizierte Unterschiede zwischen Vorläuferzellen von unipolaren Bürstenzellen in Maus und Mensch, die als Ausgangspunkt von Tumoren der Gruppen 4 gelten.
Auch durch Nutzung anderer humaner Zellen als pluripotenter Stammzellen lassen sich die Forschungsziele voraussichtlich nicht erreichen. Bei Medulloblastomen des Kindesalters, für die hier Modelle entwickelt werden sollen, handelt es sich um Tumoren, die ihren Ursprung in der frühen Entwicklung des Kleinhirns und damit in humanen Zelltypen haben, die sich aus anderen als pluripotenten Stammzellen in vitro nicht gewinnen lassen: Vorläuferzellen von Körnerzellen sowie (ventrikuläre) Vorläuferzellen der Rhombischen Lippe bzw. von unipolaren Bürstenzellen können aus adulten Zellen nicht hergestellt werden. Eine Isolierung dieser Zellen aus den Gehirnen abgetriebener menschlicher Föten ist zwar denkbar, jedoch können die hier interessierenden Zellen in Kultur voraussichtlich nicht oder nicht reproduzierbar zu für die Projektdurchführung erforderlichen Mengen vermehrt werden. Die Frage nach der Zugänglichkeit solcher fötaler Zellen für genetische Veränderungen, die für die Projektdurchführung zwingen erforderlich sind, ist ebenfalls offen. Zudem gibt es derzeit keine Anhaltspunkte dafür, dass andere humane Zellen als pluripotente Stammzellen erfolgreich für die hier erforderliche Herstellung von Kleinhirn-Organoiden genutzt und damit zur Erreichung der Forschungsziele eingesetzt werden könnten.
Die Forschungsziele können nach derzeitigem Kenntnisstand aus verschiedenen Gründen auch nicht durch Nutzung von hiPS-Zellen erreicht werden. Zum einen ist die Entstehung von Medulloblastomen erheblich mit der Umgestaltung des Epigenoms durch die jeweiligen Tumortreiber verbunden. Ein möglichst ursprüngliches Epigenom, wie es in hES-Zellen, nicht jedoch in hiPS-Zellen vorliegt, ist daher für die Etablierung von Tumormodellen von erheblicher Relevanz. Zudem sollen im Rahmen der beantragten Forschungsarbeiten die Effekte verschiedener Mutationen auf die Entstehung und/oder Entwicklung verschiedener Formen von Medulloblastomen untersucht bzw. verifiziert werden. Hierfür sind Zellen erforderlich, die ein möglichst ursprüngliches Genom haben. hiPS-Zellen weisen jedoch ggf. Mutationen aus ihren somatischen Ursprungszellen oder aber im Reprogrammierungsprozess erworbene Mutationen auf. Zudem sind die Vorgehensweisen für die Herstellung von Körnerzellen und die Erzeugung von Kleinhirn-Organoiden unter Nutzung von bislang nur an hES-Zellen beschrieben worden. Es ist derzeit nicht sicher, ob sich diese Vorgehensweisen ohne weiteres auf hiPS-Zellen übertragen lassen; eigene Versuche der für die Forschung verantwortlichen Wissenschaftlerin, Kleinhirn-Organoide aus hiPS-Zellen zu erzeugen, waren bislang nicht erfolgreich. Ob und inwieweit sich auch hiPS-Zellen für die Modellierung von (patientenspezifischen) Medulloblastomen eignen, soll erst im Rahmen der Forschungsarbeiten geklärt werden, wobei hES-Zellen auch hierfür als Referenzmaterial benötigt werden.
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