185. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaberin
Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie, Dortmund.
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- ESI-017 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HES3 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- MEL-1 (University of Queensland, Melbourne, Australien)
- RUES2 (Rockefeller University, New York, USA)
Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten sollen Vorgehensweisen für die Gewinnung von Zellen des Hypoblasten und des anterioren viszeralen Entoderm (AVE) entwickelt und optimiert sowie die diesen frühembryonalen Entwicklungsprozessen zugrundeliegenden molekularen und zellulären Mechanismen aufgeklärt werden, die beim Menschen bislang nur wenig verstanden sind. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Identifizierung von Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen frühembryonalen Zelltypen des Menschen.
Im ersten Teil des Forschungsvorhabens sollen hES-Zellen in den naiven Zustand versetzt, mit induzierbaren Genen für Komponenten an der Hypoblast-Entwicklung beteiligter Signalwege versehen und ein optimiertes Vorgehen für die Differenzierung dieser Zellen zu Zellen des Hypoblasten etabliert werden. Dabei sollen möglichst reine Hypoblast-Zell-Kulturen gewonnen und diese umfassend charakterisiert werden. Zudem sollen in Mischkulturen von Epiblast- und Hypoblast-Zellen Zell-Zell-Kommunikationswege untersucht und Kandidaten für Rezeptoren/Liganden identifiziert werden, die für frühe Entwicklungsprozesse im Hypoblast bzw. Epiblast relevant sind.
Im zweiten Teil des Vorhabens soll dann die Differenzierung von humanen Hypoblast-Zellen zu Zellen des anterioren viszeralen Entoderms (AVE) etabliert und die dabei ablaufenden molekularen und zellbiologischen Prozesse im Detail untersucht werden. Hierfür sollen zunächst Vorgehensweisen für die Aggregierung von Zellen des Epiblasten und des Hypoblasten etabliert, eine Methode für die effiziente Gewinnung von AVE-Zellen entwickelt, Zell-Zell-Kommunikationswege in den Zellaggregaten charakterisiert und daran beteiligte Faktoren/Komponenten identifiziert werden. Zudem sollen in diesem Vorhabensteil auch 2D-Modelle für die AVE-Differenzierung etabliert werden, um die Untersuchung der der AVE-Differenzierung beim Menschen zugrundeliegenden Mechanismen zu erleichtern.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung:
Extraembryonale Gewebe haben zentrale Funktionen bei der Einnistung des frühen Embryos in den Uterus, für sein Überleben sowie für die Musterbildung. Während diese Funktionen und die mit ihnen zusammenhängenden Prozesse bei der Entwicklung des Mausembryos bereits gut verstanden sind, besteht noch erheblicher Forschungsbedarf, um die entsprechenden Entwicklungsvorgänge im frühen menschlichen Embryo verstehen zu können. Das zentrale Ziel der genehmigten Forschungsarbeiten besteht nun darin, unter Nutzung hES-Zell-abgeleiteter Modelle die molekularen und zellbiologischen Mechanismen aufzuklären, die der Entwicklung des Hypoblasten aus den Zellen der inneren Zellmasse und der Entstehung der Zellen des AVE im humanen Embryo zugrunde liegen, wobei insbesondere Wechselwirkungen zwischen den Zellen des sich entwickelnden Embryos identifiziert und die daran beteiligten Moleküle und Signalwege charakterisiert werden sollen.
Im ersten Projektteil sollen zunächst verschiedene Verfahren zur Etablierung pluripotenter hES-Zellen im Stadium der naiven Pluripotenz genutzt werden. Zellen im Stadium der naiven Pluripotenz sind erforderlich, um die hier interessierenden frühesten Schritte der Differenzierung menschlicher Zellen untersuchen zu können. Die in Deutschland verfügbaren, alten hES-Zell-Linien befinden sich in einem bereits fortgeschrittenen Pluripotenz-Stadium („primed“) und müssen daher in den Zustand naiver Pluripotenz überführt werden. Ziel der Arbeiten ist neben der Verfügbarmachung von Zellen im Stadium der naiven Pluripotenz auch die Bereitstellung von Zellen, in denen durch Induktion der Expression von Genen für bestimme Transkriptionsfaktoren die Differenzierung zu Zellen des Hypoblasten ausgelöst werden kann, was die Voraussetzung für die weiteren im Projekt vorgesehenen Untersuchungen ist. Anschließend sollen die hES-Zellen in Richtung humaner Hypoblast-Zellen differenziert, die dafür erforderlichen Kulturbedingungen optimiert und der Einfluss der Produkte spezifischer Transkriptionsfaktor-Gene auf die Differenzierung der Zellen bestimmt werden. Die differenzierten Zellen sollen anhand der Präsenz von Markerproteinen bzw. mit Blick auf die mRNA-Profile umfassend charakterisiert werden, wobei insbesondere deutlich zwischen Zellen diskriminiert werden soll, die sich in Richtung Hypoblast bzw. in Richtung definitives Entoderm entwickeln. Hierbei sollen auch Einzelzell-Sequenzierungen der differenzierten Zellen durchgeführt und die Ergebnisse mit entsprechend Datensätzen verglichen werden, die von verschiedenen Entwicklungsstadien des humanen Embryos erstellt wurden. Auf diesem Wege sollen Bedingungen identifiziert werden, die zu möglichst reinen Populationen humaner Hypoblast-Zellen führen, was mit Blick auf deren bislang teils wenig untersuchte molekulare Eigenschaften von erheblichem Interesse ist. Zudem sollen aber auch Protokolle entwickelt werden, mit denen gemischte Populationen von Hypoblast- und Epiblast-Zellen hergestellt werden können, in denen im weiteren Interaktionen und Kommunikationswege auch zwischen verschiedenen Zelltypen des frühen menschlichen Embryos analysiert werden können. Es wird erwartet, dass für die hier interessierenden frühembryonalen Zelltypen bislang nicht bekannte Wechselwirkungen von Rezeptoren/Liganden identifiziert werden könnten, die die Differenzierung dieser Zelltypen steuern. Für den Fall, dass entsprechende Kandidaten-Mechanismen aufgedeckt werden können, soll die Aktivität der daran beteiligten Moleküle/Signalwege pharmakologisch moduliert und ihre Relevanz für die hier interessierenden Differenzierungs- und Entwicklungsvorgänge validiert werden. Ggf. sollen die entsprechenden Gene auch durch CRISPR-Cas9-vermittelte Mutagenese funktional inaktiviert und auf diesem Wege deren Beteiligung an den untersuchten Differenzierungsprozessen bestätigt werden. Diese Untersuchungen werden aller Voraussicht nach neue Erkenntnisse über die Rolle bestimmter Kommunikationswege zwischen den Zellen des Hypoblasten und des Epiblasten während der Segregation von Zellen der inneren Zellmasse erbringen und damit Einblicke in die frühesten Differenzierungsvorgänge des menschlichen Embryos erlauben.
Schwerpunkt des zweiten Projektteils ist die Untersuchung von molekularen und zellbiologischen Vorgängen, die während der Differenzierung von Zellen des Hypoblasten zu Zellen des anterioren viszeralen Entoderms (AVE) ablaufen. Die Spezifizierung des AVE ist während der Embryonalentwicklung der entscheidende Schritt bei der Regionalisierung des frühen Embryos und leitet die Bildung der Kopf-Schwanz-Achse ein. Hierbei sollen zunächst aus hES-Zellen differenzierte Hypoblast-Zellen mit hES-Zellen aggregiert werden, die sich in verschiedenen Pluripotenzstadien befinden und als Epiblast-Kompartiment fungieren. Es wird erwartet, dass hierbei Aggregate verschiedener Größe entstehen, in denen ein Kern aus Epiblast-Zellen von einer Schicht aus Hypoblast-Zellen umgeben ist. Um die scheibenartige Struktur des frühen humanen Embryos nachzubilden, sollen zudem Zysten von jeweils einem Zelltyp erzeugt und diese anschließend kombiniert werden. In diesen Aggregaten soll dann die Bildung AVE-artiger Zellen untersucht und analysiert werden, in welchem Umfang diese Zellen für AVE-Zellen typische Marker aufweisen. Ziel der Arbeiten ist die Etablierung optimierter Bedingung für die Herstellung möglichst reiner und authentischer Populationen von Zellen des humanen AVE, die auf anderem Wege nicht verfügbar gemacht werden können und an denen molekulare Vorgänge bei der Musterbildung im humanen Embryo analysiert werden können. Dabei sollen wiederum Zell-Zell-Wechselwirkungen bestimmt und Kandidaten für entsprechende Rezeptoren/Liganden sowie die an den Interaktionen beteiligte Signalwege identifiziert und validiert werden. Die Untersuchungen werden voraussichtlich zu neuen Erkenntnissen darüber führen, welche Signale die Absonderung des AVE vom Hypoblast initiieren bzw. regulieren und welche Faktoren daran beteiligt sind, was für das Verständnis über die Mechanismen der Musterbildung im menschlichen Embryo von Relevanz ist und ggf. auch zu einem besseren Verständnis der Ursachen von Entwicklungsdefekten beitragen kann.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind.
Protokolle für die Differenzierung muriner und humaner embryonaler Stammzellen in Zellen des primitiven Entoderm bzw. in Zellen des Hypoblasten sind aus der Literatur hinreichend bekannt. Zahlreiche molekulare Mechanismen der Differenzierung in Zellen des primitiven Entoderm und des AVE sind bereits durch Studien im Maussystem umfassend vorgeklärt, wobei die entscheidende Rolle verschiedener Transkriptionsfaktoren, die auch im genehmigten Forschungsvorhaben untersucht werden sollen, umfassend geklärt wurde. Zudem liegen auch kürzlich publizierte Studien des für die Forschung verantwortlichen Wissenschaftlers an embryonalen Stammzellen der Maus vor, in denen gezeigt wurde, dass die Differenzierung von robusten Anteilen von Epiblasten-ähnlichen und dem primitiven Entoderm ähnlichen Zellen auf Populationsebene durch Zell-Zell-Kommunikation über FGF4-Signale reguliert wird. Andere Studien an Mausembryonen belegen zudem, dass die Differenzierung des AVE aus primitivem Entoderm, die durch Zell-Zell-Kommunikationen mit dem Epiblasten gesteuert wird, durch eine Vielzahl extrazellulärer Signale reguliert wird, die hier mit Blick auf das menschliche System untersucht werden sollen. So sind beispielsweise Nodal-Signale erforderlich: Nodal-defiziente Mäuse bilden kein AVE aus, und auch ein Funktionsverlust von Ko-Faktoren des Nodal-Signalweges beeinträchtigt die Bildung und die Funktionen des AVE. Auch Mutationen in Genen des Wnt-Signalweges führen zu einer unvollständigen AVE-Differenzierung.
Zur Differenzierung des humanen Hypoblasten liegen ebenfalls Arbeiten in der Literatur vor, die sich jedoch im wesentlichen auf die Beschreibung von Genexpressionsmustern verschiedener Stadien der Embryonalentwicklung beschränken. Neuere bioinformatische Analysen von Einzelzell-Sequenzierungen deuten darauf hin, dass der Hypoblast und der Epiblast im humanen Embryo aus einer Zellpopulation hervorgehen, die der inneren Zellmasse im Mausembryo entspricht und durch die Expression vergleichbarer Markergene gekennzeichnet ist. Die im Vorhaben zum Einsatz kommenden Methoden für die Differenzierung von hES-Zellen in die genannten Zelltypen sind in der wissenschaftlichen Literatur ebenso veröffentlicht wie die Vorgehensweisen für die Aggregierung von frühembryonalen menschlichen Zellen. Die Techniken für die auf molekularer, genetischer sowie biochemischer Ebene vorgesehenen Analysen sind ebenfalls etabliert.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Ziel der genehmigten Forschungsarbeiten ist die Gewinnung eines besseren Verständnisses der zentralen Zell-Zell-Kommunikationswege zwischen Epiblast und Hypoblast, die die Entstehung und Differenzierung dieser beiden Zelltypen steuern, sowie der molekularen und zellulären Mechanismen der Musterbildung bzw. Systembrechung im humanen Embryo. Hypoblast-Zellen, die aus pluripotenten Stammzellen anderer Spezies differenziert wurden, insbesondere aus embryonalen Stammzellen der Maus, können für das Erreichen der Forschungsziele nicht eingesetzt werden. Es bestehen im Vergleich zum Menschen erhebliche und gut dokumentierte Unterschiede in der Struktur und in der Entwicklungsgeschwindigkeit des frühen Embryos. Die Erreichung der Forschungsziele erfordert die Verwendung menschlicher Zellen. Die Forschungsziele können ferner auch nur unter Nutzung humaner pluripotenter Stammzellen erreicht werden, da im Forschungsvorhaben ausschließlich Prozesse untersucht werden sollen, die in einem sehr frühen Stadium der menschlichen Entwicklung ablaufen. Alle nicht-pluripotenten humanen Zellen haben das hier relevante Entwicklungsstadium aber bereits durchschritten.
Nach derzeitigem Kenntnisstand können die Forschungsziele auch nicht unter Verwendung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) erreicht werden. Die geplante Untersuchung biologischer Prozessen, die der frühen menschlichen Entwicklung zugrunde liegen, erfordert ein möglichst authentisches Ausgangsmaterial. Im Forschungsvorhaben müssen für die Forschung in Deutschland verfügbare hES-Zellen zunächst in einen naiven Zustand der Pluripotenz überführt werden, was mit einer ausgeprägten Veränderung epigenetischer Muster einhergeht. Da Unterschiede in den epigenetischen Eigenschaften von hES- und hiPS-Zellen gut bekannt und umfassend dokumentiert sind, ist davon auszugehen, dass hiPS-Zellen nach dem für Induktion naiver Pluripotenz erforderlichen Resetting andere und ggf. weniger authentische epigenetische Muster aufweisen als hES-Zellen, was ggf. durch die epigenetischen Eigenschaften des zur Gewinnung der hiPS-Zellen genutzten Ursprungsgewebes bedingt ist.
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