181. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
Erteilt am 10.08.2022. Genehmigung erweitert am 28.05.2024 (siehe 2.)
1. Genehmigungsinhaberin
Medizinische Hochschule Hannover
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HES-2 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- HES-3 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- HES-4 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- HUES8 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- I3 (Technion – Israeli Institute of Technology, Haifa, Israel)
- I4 (Technion – Israeli Institute of Technology, Haifa, Israel)
- I6 (Technion – Israeli Institute of Technology, Haifa, Israel)
Im Rahmen der Erweiterung der Genehmigung vom 28.05.2024 wurde zur Durchführung der unten benannten Forschungsarbeiten die Verwendung humaner embryonaler Stammzellen der folgenden weiteren Linie genehmigt:
- RUES2 (Rockefeller University, New York, USA)
Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen ist die Entwicklung von effizienten und robusten Verfahren für die reproduzierbare Bereitstellung funktionaler, Insulin-produzierender Beta-Zellen in hoher Qualität und großen Mengen, wie sie für künftige regenerative Therapien des Diabetes mellitus Typ 1 benötigt werden. Dabei sollen in zunächst getrennten Schritten die Bedingungen für die Kultivierung und Vermehrung von hES-Zellen, deren Differenzierung zu pankreatischen Vorläuferzellen sowie für die weitere Entwicklung dieser Vorläuferzellen in reife pankreatische Beta-Zellen jeweils in Suspensionskulturen unter Nutzung spezifischer Bioreaktoren etabliert und in Hinblick auf kritische Parameter optimiert werden, wobei eine schrittweise Erhöhung der Kulturvolumina erfolgen soll. Ziel ist eine deutliche Erhöhung der Zellmenge pro Volumeneinheit gegenüber herkömmlichen Kultur- und Differenzierungsbedingungen und letztlich die Ausdehnung des Kulturverfahrens auf die Herstellung für therapeutische Zwecke erforderlicher Zellmengen.
Die Identität, Quantität und Qualität der Zwischenprodukte soll dabei jeweils anhand üblicher Parameter (Genexpressionsmuster, Zelloberflächenmarker etc.) überprüft werden und die Charakterisierung der terminal differenzierten pankreatischen Zellen unter Nutzung von Standardmethoden erfolgen. Schließlich soll der Gesamtprozess der Gewinnung großer Mengen an pankreatischen Beta-Zellen aus hES-Zellen unter 3D-Bedingungen und in großem Maßstab etabliert und auf die Bedingungen der Guten Herstellungspraxis (GMP) übertragen, d. h. unter Nutzung GMP-konformer Medien, Medienzusätze, Wachstumsfaktoren etc. etabliert und optimiert, werden. Zudem sollen auch verschiedene hiPS-Zell-Linien bezüglich ihrer Fähigkeit zur Entwicklung in pankreatische Beta-Zellen untersucht und dahingehend mit embryonalen Stammzellen verglichen werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) vorrangig der Schaffung von Grundlagen für die Entwicklung neuer therapeutischer Verfahren zur Anwendung bei Menschen.
Diabetes mellitus stellt mit weltweit ca. 425 Millionen betroffenen Menschen, von denen zwischen 5 und 10% and Typ-1-Diabetes (T1D) leiden, ein schwerwiegendes medizinisches und gesundheitspolitisches Problem dar. Obgleich bei der Mehrzahl der T1D-Patienten eine adäquate Behandlung der Erkrankung durch Insulingaben möglich ist, ist eine Heilung des T1D derzeit nicht möglich. In Fällen, in denen eine Substitution durch Insulingabe nicht erfolgreich ist oder in denen sich bereits komplexe Sekundärfolgen eingestellt haben, ist die Pankreas-Transplantation bzw. die Transplantation von Inselzellen die einzige Therapieoption. Allerdings ist diese Option durch die nur begrenzte Verfügbarkeit gespendeter Organe/Gewebe stark limitiert. Die Transplantation von in vitro aus humanen pluripotenten Stammzellen hergestellten Insulin-produzierenden Beta-Zellen ist daher eine vielversprechende Möglichkeit für die künftige Behandlung der betroffenen Patienten. Angesichts erheblicher Fortschritte bei der Differenzierung humaner pluripotenter Stammzellen in Insulin-produzierende Beta-Zellen rückt die Durchführung klinischer Studien zur zelltherapeutischen Behandlung des T1D auch in Deutschland in greifbare Nähe. Die genehmigten Forschungsarbeiten sollen daher vor allem der Übertragung bislang entwickelter pankreatischer Differenzierungsprotokolle auf die quantitativen und qualitativen Erfordernisse potentieller klinischer Studien dienen und dazu beitragen, Verfahren zu entwickeln, mit denen pankreatische Beta-Zellen des Menschen in der für klinische Zwecke erforderlichen Menge und Qualität bereitgestellt werden können.
Hier besteht allerdings noch erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf. Angesichts der Tatsache, dass nach ca. 500 bis 1000 Millionen Zellen allein für die Behandlung eines Patienten erforderlich sein dürften, ist die Entwicklung von Vorgehensweisen für die Bereitstellung großer Zellmengen in für klinische Zwecke erforderlicher Qualität von entscheidender Bedeutung für die Umsetzung der therapeutischen Perspektive. Daher sollen nun die unter 2D-Bedingungen entwickelten pankreatischen Differenzierungsprotokolle daher schrittweise auf 3D-Bedingungen übertragen, die Vorgehensweisen durch Anpassung verschiedener, unter 3D-Bedingungen gut justierbarer Parameter optimiert und dabei Erfahrungen genutzt werden, die bei der 3D-Kultiviereung und Differenzierung anderer als pankreatischer Zellen aus pluripotenten Stammzellen des Menschen gewonnen wurden. Mit Blick auf die hohe Zahl benötigter pankreatischer Zellen ist es naheliegend, dass die Gewinnung derart großer Zellmengen nicht allein durch die gerichtete Differenzierung entsprechend großer Mengen an hES-Zellen, sondern auch durch eine starke Vermehrung pankreatischer Vorläuferzell-Populationen erfolgen sollte. Dieses Ziel wird mit der im Forschungsvorhaben angestrebten Etablierung effizienter Verfahren zur Anreicherung pankreatische Vorläuferzellen zu großen Zellmengen verfolgt. Dazu sollen zunächst vom im Labormaßstab aus hES-Zellen unter 2D-Bedingungen gewonnene pankreatische Vorläuferzellen schrittweise an Suspensionskulturen angepasst und die Vorläuferzellen dann im großen Maßstab zu hohen Zellzahlen expandiert werden. Die Nutzung spezifischer Bioreaktoren ermöglicht die präzise Kontrolle und Variation von für die Zellproliferation erheblichen Parametern wie beispielsweise der Rührgeschwindigkeit, der Zellaggregation, des pH-Wertes oder der Laktat- Glukose- und Sauerstoff-Konzentrationen. Zudem sollen auch die Differenzierung von humanen pluripotenten Stammzellen in pankreatische Vorläuferzellen sowie die Gewinnung reifer Beta-Zellen aus pankreatischen Vorläuferzellen vom Labormaßstab schrittweise auf Suspensionskulturen in größerem Maßstab übertragen und damit letztlich der gesamte Differenzierungsprozess in einem Maßstab etabliert werden, der die Gewinnung von für therapeutische Zwecke erforderlichen Zellmengen ermöglicht. Erheblich ist – neben der schrittweisen Etablierung der für diese frühen Differenzierungsschritte erforderlichen Bedingungen – auch die Klärung der Frage, ob die Eigenschaften der dabei gewonnenen pankreatischen Vorläufer- und reifen pankreatischen Zellen mit denen jener Zellen identisch sind, die in herkömmlichen Differenzierungsverfahren gewonnen wurden.
Im weiteren soll der gesamte Differenzierungsprozess schrittweise an GMP-Bedingungen angepasst werden, d. h. es sollen u. a. herkömmliche Zellkulturmedien, Medienzusätze, Wachstumsfaktoren etc. gegen entsprechende GMP-zertifizierte Produkte ausgetauscht und der Differenzierungsprozess, die Ausbeute an Zellen in den entsprechenden Differenzierungsschritten sowie die Eigenschaften der gewonnenen Zellen jeweils analysiert werden. Auch hier steht wiederum die Fähigkeit der Zellen im Fokus, sich zu funktionalen Zellen zu entwickeln. Die Verfügbarkeit von unter GMP-Bedingungen hergestellten pankreatischen Zellen ist Voraussetzung für die Durchführung von klinischen Studien zur Entwicklung von Zellersatztherapien zur Behandlung des T1D. Weiterhin sollen die Vorgehensweisen, nachdem sie erfolgreich an hES-Zellen etabliert wurden, auch auf humane induzierte pluripotente Stammzellen (hiPS-Zellen) angewandt werden. Ziel ist zum einen die Klärung der Frage, ob und in wieweit hES- und hiPS-Zellen in ihrer Fähigkeit, unter den entwickelten Kultur- und Differenzierungsbedingungen zu funktionalen Beta-Zellen zu differenzieren, identische oder voneinander abweichende Eigenschaften haben. Dies wäre für autologe Therapieansätze bedeutsam, in denen hES-Zellen durch patienteneigene hiPS-Zellen als Ausgangsmaterial für die Gewinnung des Zellproduktes ersetzt werden sollen. Zum anderen ist nicht ausgeschlossen, dass sich spezifische hiPS-Zell-Linien besser als die gewählten hES-Zellen zu pankreatischen Beta-Zellen entwickeln lassen, was ihren Einsatz als Ausgangsmaterial auch für Zellprodukte favorisieren würde, die für allogene Therapieansätze genutzt werden sollen.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind.
Die Eignung von aus hES-Zellen abgeleiteten pankreatischen Beta-Zellen zur erfolgreichen Behandlung eines experimentellen Diabetes mellitus wurde in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Studien im Tiermodell belegt. In den USA wurden und werden bereits klinische Studien an T1D-Patienten durchgeführt, in denen aus hES-Zellen gewonnene Beta-Zellen verkapselt transplantiert und die Sicherheit und Wirksamkeit des Zellproduktes getestet wird.
Verfahren zur Differenzierung von Beta-Zellen aus pluripotenten Stammzellen des Menschen sind in großem Umfang erprobt und in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlicht worden. Vorgehensweisen für die Langzeit-Proliferation pankreatischer Vorläuferzellen wurden bereits in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlich. Die genehmigten Forschungsarbeiten zielen auf die Übertragung der im Labormaßstab etablierten Differenzierungsprotokolle auf Suspensionskulturen in großem Maßstab und auf die dafür erforderliche Anpassung und Optimierung der Differenzierungsbedingungen. Verfahren für die Etablierung von dreidimensionalen Clustern pankreatischer Vorläuferzellen, für die Identifizierung wesentlicher Faktoren für die In-vitro-Genese pankreatischer Vorläufer in 3D-Kultur sowie für deren Weiterentwicklung zu funktionalen Beta-Zellen wurden bereits publiziert. Die Tatsache, dass die Reifung von Beta-Zellen im Rahmen dreidimensionaler Cluster begünstigt ist, ist ebenfalls in der Literatur beschrieben worden. Ferner ist durch Studien, die unter Verantwortung des für die Forschung verantwortlichen Wissenschaftlers durchgeführt und publiziert wurden, gezeigt worden, dass die Kultivierung, Expansion und gerichtete Differenzierung von pluripotenten Stammzellen in den hier zur Anwendung vorgesehenen Rührkesselbioreaktor-Systemen möglich sind. Die für die Durchführung der Forschungsarbeiten erforderlichen Techniken und Verfahren, insbesondere zur 3D-Kultivierung pluripotenter und daraus abgeleiteter Zellen sowie zur Analyse der physiologischen und molekularen Eigenschaften pankreatischer (Vorläufer)Zellen sind bei der Genehmigungsinhaberin bzw. im Labor der Kooperationspartner etabliert.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Das Ziel der genehmigten Forschungsarbeiten ist die Entwicklung von Verfahren für die Bereitstellung ausreichender Mengen von therapeutisch funktionellen pankreatischen Beta-Zellen in GMP-Qualität für die Therapie des T1D beim Menschen. Die Nutzung von Beta-Zellen aus anderen Spezies als dem Menschen kommt für Transplantationszwecke nicht in Frage. Hierfür sind humane Zellen erforderlich, folglich müssen die Forschungsarbeiten bereits aus diesem Grunde an menschlichen Zellen durchgeführt werden.
Hinweise darauf, dass adulte pankreatische Stammzellen des Menschen in Kultur zu für Transplantationszwecke ausreichenden Zellmengen vermehrt und zu Beta-Zellen differenziert werden könnten, liegen bislang nicht vor. Eine potentiell denkbare Nutzung von Stammzellen aus abgetriebenen Föten ist aufgrund von deren geringer Verfügbarkeit und unzureichender Reproduzierbarkeit ausgeschlossen: für die Zellersatztherapie des Diabetes mellitus werden große Zellzahlen in reproduzierbarer Qualität benötigt. Fragen nach den Eigenschaften und dem In-vitro-Differenzierungspotential fötaler pankreatischer Zellen des Menschen sind zudem nicht hinreichend geklärt. Primäre humane pankreatische Beta-Zellen sind nicht in der für die Projektdurchführung benötigten Menge verfügbar und können nach derzeitigem Kenntnisstand in vitro nicht zu den für die Projektdurchführung erforderlichen Zellmengen vermehrt werden. Zudem sollen die genehmigten Forschungsarbeiten unter anderem gerade wegen des großen Mangels an Spenderorganen für die Therapie des T1D durchgeführt werden.
Die Erreichung der Forschungsziele ist nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht unter alleiniger Verwendung von hiPS-Zellen möglich. Zwar wurden auch hiPS-Zellen bereits zur Herstellung pankreatischer Beta-Zellen eingesetzt, jedoch haben hiPS-Zellen ein stark variierendes und deutlich geringeres pankreatisches Differenzierungspotential als humane ES-Zellen. Es ist beispielsweise nicht ausreichend geklärt, welche Konsequenzen die in manchen Studien beobachteten und infolge des Reprogrammierungsprozesses auftretenden epigenetischen Veränderungen und das für hiPS-Zellen postulierte epigenetische Gedächtnis für deren pankreatisches Differenzierungspotential haben. Die Frage danach, in welchem Umfang der Reprogrammierungsprozess auch zu genetischen Veränderungen führt, ist weiterhin strittig. Genetische Veränderungen im Transplantat müssten aber vor Transplantation ausgeschlossen werden, da sie grundsätzlich ein Sicherheitsrisiko für den Patienten darstellen. Es ist daher folgerichtig, als Ausgangspunkt für Transplantate vorrangig Zellen zu nutzen, die in der genannten Hinsicht weniger risikobehaftet sind: dies sind nach gegenwärtigem Kenntnisstand hES-Zellen. Zudem soll im Forschungsvorhaben auch ausdrücklich die Frage nach der Vergleichbarkeit des pankreatischen Differenzierungspotentials von hES- und hiPS-Zellen bei Kultur/Differenzierung in großen Maßstäben geklärt werden, wozu die Nutzung von hES-Zellen zwingend erforderlich ist.
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