179. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaberin
Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- Shef-6 (University of Sheffield, Sheffield, Großbritannien)
Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten soll unter Verwendung von hES-Zellen zur Klärung der Frage beigetragen werden, ob die Zellen der humanen Blastozyste die Fähigkeit zum Eintritt in eine Entwicklungspause haben, wie sie als Diapause aus der Embryonalentwicklung zahlreicher anderer Säugetier-Spezies bekannt ist, und auf welchem Wege eine derartige Ruhephase beim Menschen reguliert sein könnte. Hierfür sollen in einem ersten Schritt hES-Zellen in naive Zellen überführt, diese mit Inhibitoren des mTOR-Signalwegs behandelt und der potentielle Eintritt in eine Ruhephase durch Bestimmung von Zellzahlen, von Apoptose- und Proliferationsraten sowie der Zell- und Koloniemorphologie, ferner durch Analysen des Transkriptoms, Proteoms und Epigenoms, untersucht werden. In einem zweiten Schritt sollen hES-Zellen dann zur Etablierung humaner Blastozysten-Organoide, sog. Blastoide, genutzt werden und diese, ebenfalls durch gezielte Hemmung des mTOR-Weges, hinsichtlich ihrer Fähigkeit zum Eintritt in eine Ruhephase untersucht werden. Im Fall, dass die Induktion einer erwarteten Entwicklungspause die Integrität und zelluläre Komplexität der Blastoide nicht beeinträchtigt, sollen dann umfangreiche Analysen des Transkriptoms vor, während und nach der Entwicklungspause durchgeführt werden, um die an der Etablierung, der Erhaltung bzw. am Verlassen der Ruhephase beteiligten Signalwege zu identifizieren.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung:
Die Fähigkeit zur Diapause ist, wie Embryotransfer-Studien zwischen verschiedenen Säugetier-Spezies zeigten, phylogenetisch offenbar stark konserviert. Allerdings ist angesichts der teils deutlichen Unterschiede zwischen den regulatorischen Netzwerken, die die frühe Embryonalentwicklung verschiedener Säugetier-Spezies steuern, die Frage danach, ob die Regulation einer (potentiellen und ggf. konservierten) Diapause beim Menschen nach ähnlichen Mustern wie beispielsweise in der Maus verläuft, nicht ohne weiteres zu beantworten. Ausgehend davon, dass die Hemmung des mTOR-Signalweges sowohl in murinen Blastozysten eine Diapause auslöst als auch in murinen ES-Zellen zu einem Ruhe-Zustand führt, in dem die Pluripotenz der Zellen erhalten bleibt und der durch Reaktivierung des mTOR-Signalweges aufgehoben werden kann, soll nun die Möglichkeit eines durch mTOR-Hemmung ausgelösten Ruhe-Zustands auch im menschlichen System untersucht und die spezifischen Mechanismen der Regulation des erwarteten Ruhe-Zustands aufgeklärt werden.
Im ersten Projektteil sollen hES-Zellen in einen naiven Zustand überführt, mit einem mTOR-Inhibitor behandelt und das Vorliegen eines Ruhe-Zustands durch Analyse der Zellzahlen, der Apoptose-Rate, der Kolonie-Morphologie und des Proliferationsverhaltens sowie durch Überprüfung der Präsenz von für pluripotente hES-Zellen maßgeblichen molekularen Eigenschaften validiert werden, letzteres insbedondere durch Analysen des Transkriptoms, Proteoms und Epigenoms. Aus den Untersuchungen auf molekularer Ebene werden Hinweise auf die dem erwarteten Ruhe-Zustand der hES-Zellen zugrundeliegenden genetischen und epigenetischen Mechanismen erwartet. Ferner soll geklärt bzw. bestätigt werden, dass der Übergang in die Entwicklungspause tatsächlich auf die Hemmung mTOR-abhängiger Signalweges rückführbar ist. In mTOR-defizienten hES-Zellen soll dann durch Entzug von LIF eine Differenzierung ausgelöst und dadurch geklärt werden, ob in Abwesenheit von mTOR das Differenzierungsvermögen einschränkt ist, wie es bei mit mTOR-Inhibitoren behandelten Zellen bei der Maus beobachtet wurde. Diese Arbeiten werden aller Voraussicht nach wichtige Erkenntnisse darüber erbringen, ob humane pluripotente Stammzellen einen Ruhe-Zustand einnehmen können und ob dieser – ähnlich wie in der Maus – maßgeblich durch mTOR induziert werden kann. Entsprechende Untersuchungen sind auch unter Verwendung von hiPS-Zellen geplant, wodurch geklärt werden soll, und ob und inwieweit hES- und hiPS-Zellen über dieselbe Fähigkeit zum Übergang in einen einer Diapause äquivalenten Ruhe-Zustand verfügen.
Da die potentielle Diapause der Blastozyste nicht nur die Zellen der inneren Zellmasse beträfe, deren In-vitro-Pendant hES-Zellen darstellen, sondern auch andere Zelltypen der Blastozyste in einen ruhenden Zustand eintreten würden und weil innerhalb der Blastozyste zahlreiche Interaktionen zwischen den Zellen bestehen, soll das Phänomen einer möglichen Diapause im Menschen auch an Blastoiden untersucht werden. Blastoide enthalten nicht nur pluripotente Zellen, sondern stellen komplexe zelluläre Strukturen unter Beteiligung der verschiedenen Zelltypen der Blastozyste dar. Im zweiten Projektteil soll daher untersucht werden, ob humane hES-Zell-abgeleitete Blastoide ebenfalls in der Lage sind, in eine Entwicklungspause einzutreten. Hierfür sollen Blastoide aus hES-Zellen erzeugt und mit mTOR-Inhibitoren behandelt werden, wodurch ein Übergang in eine Ruhephase induziert werden soll; dabei sollen die Effekte auf die Überlebensdauer und die Morphologie der Blastoide bestimmt, ferner die Erhaltung der Integrität und zellulären Komplexität der Organoide bestätigt werden. Anschließend sollen die Hemmung des mTOR-Signalweges aufgehoben und die Eigenschaften der Blastoide detailliert untersucht werden. Hierbei soll zum einen die Integrität der Blastoide nach Austritt aus der experimentell erzeugten Entwicklungspause bestätigt werden, zum anderen soll die weitere Entwicklung und Reifung der Blastoide nach Austritt aus der Entwicklungspause durch Analyse des Auftretens verschiedener Marker, beispielsweise für Proliferation und Reifung der Trophoblast-Zellen, verfolgt werden. Daraus werden Erkenntnisse darüber erwartet, ob und inwieweit eine Reaktivierung und Reifung der Blastoide nach Beendigung der Hemmung des mTOR-Signalweges möglich ist, ob also die Ruhephase in vollem Umfang reversibel ist und es sich bei dem beobachteten Phänomen tatsächlich um einen zur Diapause analogem Zustand handelt, der eine zeitverzögerte Rückkehr zu normalen Entwicklungsprogrammen erlaubt. Im weiteren sollen die Transkriptome unbehandelter, pausierender und reaktivierter Blastoide umfänglich untersucht werden, woraus ggf. Rückschlüsse auf Faktoren und Signalwege gezogen werden, die den Ruhe-Zustand menschlicher Blastoide regulieren. Es ist davon auszugehen, dass derartige an der Regulation einer potentiellen Diapause von Blastoiden beteiligten Faktoren und Netzwerke auch für die Regulation der Pluripotenz menschlicher Zellen sowie für die Integrität der menschlichen Blastozyste bedeutsam sind.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind.
Die Entwicklung von Maus-Blastozysten kann durch eine Behandlung mit einem mTOR-Inhibitor reversibel unterbrochen werden. Dabei zeigte sich, dass mTOR ein Master-Regulator der Steuerung des zeitlichen Ablaufs der Entwicklung von Maus-Embryonen im Präimplantationsstadium ist. Die infolge der mTOR-Inhibition im Ruhe-Zustand verharrenden Embryonen wiesen keine genomischen Aberrationen, DNA-Schäden oder Apoptose auf und konnten sich nach Austritt aus der Ruhephase zu fortpflanzungsfähigen Mäusen entwickeln, die bezüglich ihrer Physiologie und ihres Verhaltens keinerlei Anomalien oder Besonderheiten aufwiesen. Auch die Entwicklung von murinen ES-Zellen konnte durch Hemmung des mTOR-Signalweges reversibel unterbrochen werden. Hierbei wurden molekulare Regulatoren der Entwicklungspause muriner ES-Zellen identifiziert bzw. validiert, und es wurde nachgewiesen, dass murine ES-Zellen hinsichtlich der Diapause tatsächlich ein relevantes Zellmodell für die murine Blastozyste darstellen: die Expressionsprofile der in der Entwicklungspause befindlichen ES-Zellen entsprachen jenen von in der Diapause verharrenden murinen Blastozysten. Nach Austritt aus der Entwicklungspause zeigten die ES-Zellen ein vollumfängliches Entwicklungspotential wie beispielsweise die Fähigkeit, im Embryo-Aggregationstests in hohem Maße zur Chimären-Bildung beizutragen.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Eine Erreichung der Forschungsziele ist unter Nutzung tierischer Zellen nicht möglich: die für die Aufrechterhaltung der zellulären Pluripotenz erheblichen Signalwege unterscheiden sich zwischen verschiedenen Spezies teils erheblich. Zudem besteht ein Forschungsziel in der Klärung der Frage, welche der Diapause zugrundeliegenden Mechanismen zwischen verschiedenen Säugerspezies, insbesondere zwischen Maus und Mensch, konserviert sind und welche sich unterscheiden, was unter alleiniger Nutzung tierischer Zellen nicht geklärt werden kann. Die Forschungsziele können auch nicht unter Verwendung anderer als pluripotenter Stammzellen des Menschen erreicht werden. Die Diapause, deren potentielle molekulare Grundlage für den Menschen hier untersucht werden soll, betrifft die Blastozyste und die in ihr vorkommenden Zellen. Im Zuge der Diapause treten die Zellen der Blastozyste in eine Entwicklungspause, wobei ihr Entwicklungspotential erhalten bleibt. Andere für die Forschung verfügbare Zellen des Menschen (adulte und fötale Stammzellen, somatische Zellen etc.) haben das hier interessierende Entwicklungsstadium aber bereits durchschritten. Sie können aus diesem Grund auch nicht für die Etablierung menschlicher Blastoide, dem derzeit besten verfügbare In-vitro-Pendant zur humanen Blastozyste, genutzt werden. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist die Erreichung der Forschungsziele auch nicht unter alleiniger Verwendung von hiPS-Zellen möglich. Der Übergang in die Diapause wäre mit maßgeblichen Umgestaltungen des Epigenoms verbunden. Die Frage, ob und inwieweit hiPS-Zellen über ein ursprüngliches, für pluripotente Stammzellen charakteristisches Epigenom verfügen, ist weiterhin strittig. Für die geplanten Untersuchungen sind aber Zellen erforderlich, die der In-vivo-Situation in der humanen Blastozyste so nahe wie möglich sind; dies sind aber hES-Zellen. Ferner wurde im Antrag darauf hingewiesen, dass aus hiPS-Zellen abgeleitete Blastoide, obwohl sie mit ähnlicher Effizienz erzeugt werden können wie aus hES-Zellen abgeleitete Blastoide, eine deutlich geringere Qualität aufweisen: die innere Zellmasse ist deutlich kleiner als in aus hES-Zellen gewonnenen Blastoiden und die Qualität des Epiblasten und des Entoderms waren gering, so dass auch aus diesem Grunde die Verwendung von hES-Zellen erforderlich ist.
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