178. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaberin
Helmholtz Zentrum München GmbH
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Ziel des Forschungsvorhabens ist die detaillierte Untersuchung des Zusammenspiels von Genexpression, Epigenom und Chromatinstruktur beim Übergang humaner pluripotenter Stammzellen vom Stadium der Pluripotenz in die Differenzierung. Dabei soll vor allem die Funktion nukleärer membranloser Organellen (MLO) bei der Veränderung der räumlichen Organisation des Genoms sowie bei der Umgestaltung des Chromatins untersucht werden.
In einem ersten Teilprojekt sollen hierfür Veränderungen in der Transkriptionsdynamik, der Chromatinstruktur und des Epigenoms von hES-Zellen beim Übergang in die frühe Differenzierung detailliert erfasst und entsprechende Zellatlanten erstellt werden, wodurch potentielle Regulatoren der veränderten Genom- und Transkriptionsdynamik identifiziert werden sollen. In einem zweiten Projektteil sollen dann Veränderungen in der Morphologie von nukleären MLO während der frühen Differenzierung mit bildgebenden Verfahren erfasst werden und anschließend gezielt die Aktivitäten von Genen moduliert werden, deren Produkte an der Aufrechterhaltung der MLO-Homöostase beteiligt sind. Ziel ist es, den Effekt einer veränderten MLO-Morphologie auf die Differenzierung und auf das Transkriptionsgeschehen zu bestimmen. Kandidatengene, deren Produkte an diesen Prozessen beteiligt sind, sollen dann in weiteren Assays bezüglich ihrer Effekte auf die Differenzierung und auf die MLO-Morphologie hin untersucht werden, wobei u.a. die Folgen eines knock down oder einer Überexpression der entsprechenden Gene insbesondere auf die Transkriptionsdynamik, die Transkriptionskoordination und auf das Splicing bewertet werden sollen. In einem dritten Teilprojekt soll schließlich der Zusammenhang zwischen der MLO-Homöostase und der Chromatin-Organisation während der Differenzierung untersucht werden. Dabei soll auch bestimmt werden, welche Effekte ein knock down oder eine Überexpression der im zweiten Teilprojekt identifizierten und validierten Gene auf die Chromatin-Konformation hat und ob eine Modulation der jeweiligen Genaktivitäten zu veränderten Chromatin-Interaktionen führt. Hierfür soll insbesondere die Positionierung verschiedener nukleärer MLO bestimmt und der funktionelle Zusammenhang zwischen Chromatin-Organisation und Transkription beim Übergang von der Pluripotenz in die Differenzierung analysiert werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung:
Grundsätzliches Anliegen der genehmigten Forschungsarbeiten ist die Aufklärung des Zusammenhangs zwischen Veränderungen in den Transkriptionsprofilen und Veränderungen in der räumlichen Organisation des Genoms beim Übergang humaner pluripotenter Stammzellen vom Zustand der Pluripotenz in die Differenzierung.
Im ersten Teilprojekt sollen umfangreiche Analysen des Transkriptoms, des Epigenoms und der Chromatinstruktur in pluripotenten hES-Zellen und sich aus diesen differenzierenden Zellen auf Einzelzell-Ebene durchgeführt werden. Dabei soll keine statische Erfassung des Transkriptoms oder Epigenoms von hES-Zellen erfolgen, sondern vielmehr deren Dynamik abgebildet werden. Ziel ist die Erstellung von Atlanten, die die Veränderungen der transkriptionellen Aktivität, der epigenetischen Markierungen sowie der Chromatinstruktur während des Übergangs in die Differenzierung umfassend abbilden. In Bezug auf die Chromatinstruktur sollen insbesondere Veränderungen der Positionierung des Chromatins hinsichtlich spezifischer Kernstrukturen erfasst werden, beispielsweise bezüglich von nuclear speckles, Paraspeckles, Cajal-Körperchen, PLM-NS und des Nucleolus. Durch diese Arbeiten sollen transkriptionelle und epigenetische Veränderungen sowie Änderungen in der räumlichen Organisation des Genoms im Zellkern während früher Differenzierungsprozesse humaner pluripotenter Stammzellen mit größerer Zuverlässigkeit als bislang bestimmt werden, was zu neuen Erkenntnissen über frühe Entwicklungsvorgänge menschlicher Zellen führen wird. Zudem sollen auch neue Regulatoren der Genom- und Transkriptionsdynamik identifiziert und validiert werden. Ziel ist die Erlangung neuer und wesentlicher Erkenntnisse über Genprodukte, die an der Festlegung der Zellidentität während der frühen Differenzierung beteiligt sind, sowie über die intrazellulären Mechanismen, zu deren Regulation sie beitragen.
Im zweiten Teilprojekt sollen die Rolle von MLO bei der Transkriptionsregulation während der Differenzierung humaner pluripotenter Stammzellen bestimmt sowie Faktoren identifiziert werden, die Veränderungen in der MLO-Morphologie beim Übergang in die Differenzierung bewirken. Dabei soll der Zusammenhang zwischen einer veränderten MLO-Morphologie und Veränderungen in den Transkriptionsprogrammen der Zellen detailliert und auf Einzelzellebene untersucht werden. Nach Bestimmung des morphologischen Zustands der MLO in hES-Zellen sollen die Veränderungen dokumentiert werden, die in der Struktur/Morphologie der MLO während der Differenzierung auftreten. Diese Arbeiten können bereits neue Erkenntnisse über die Präsenz und Morphologie subnukleärer Strukturen in hES-Zellen sowie über Veränderungen der Kernstruktur während der frühen Differenzierung erbringen. Um den Beitrag spezifischer Genprodukte zu Veränderungen in der MLO-Homöostase während früher Differenzierungsprozesse zu bestimmen, soll dann die Expression von Genen, deren Produkte die Homöostase der nukleären MLO (potentiell) regulieren, mit CRISPRi- bzw. CRISPRa-Systemen bzw. durch den Einsatz von siRNA in undifferenzierten bzw. sich in Differenzierung befindlichen hES-Zellen moduliert und die Effekte der veränderten Genexpression auf die Morphologie der MLO und auf den Differenzierungszustand der Zellen bestimmt werden. Dies soll zur Identifizierung weiterer Kandidatengene führen, deren Produkte zu einem bezüglich der MLO-Morphologie veränderten Phänotyp während der Differenzierung beitragen und deren Ausschaltung/Hemmung zu Veränderungen im MLO-Phänotyp führt. Durch die Identifizierung von Genen, deren Produkte sowohl die MLO-Homöostase als auch die Differenzierung beeinflussen, kann voraussichtlich der Zusammenhang zwischen Differenzierungsprozessen und Regulation der räumlichen Organisation des Genoms aufgeklärt werden. Auf dieser Grundlage kann dann die konkrete Funktion der entsprechenden Genprodukte in der MLO-Homöostase bzw. in der Differenzierung aufgeklärt werden. Hierfür soll der Einfluss einer Modulation der Aktivität von Kandidatengenen auf die Transkription bestimmt und eine mögliche Korrelation zwischen Veränderungen in der MLO-Morphologie und einer veränderten Transkription ermittelt werden. Dies kann zur Klärung der Frage führen, ob veränderte Transkriptionsprofile während der Differenzierung vor, nach oder zeitgleich mit der veränderten MLO-Morphologie auftreten, woraus sich voraussichtlich Rückschlüsse über die molekularen Grundlagen des Zusammenspiels zwischen Transkription und Veränderungen der räumlichen Genom-Organisation ziehen lassen.
Im Rahmen eines dritten Teilprojektes soll dann der Zusammenhang zwischen der Homöostase von nukleären MLO und der Chromatin-Organisation während der Differenzierung von hES-Zellen untersucht und die Frage danach geklärt werden, ob und wie sich das Netzwerk von Chromatin-Interaktionen, das bei aktiven Genen sehr dynamisch ist, unter dem Einfluss von MLO verändert. Dabei sollen die Interaktionen innerhalb des Chromatins sowie die Interaktionen des Chromatins mit nukleären MLO im Detail untersucht werden. Hierfür ist geplant, die Kandidatengene, deren Produkte die Homöostase der nukleären MLO in hES-Zellen und während der Differenzierung regulieren, mittels CRISPRi- und/oder CRISPRa-Assays auszuschalten bzw. zu aktivieren. Nach Differenzierung sollen dann die Auswirkungen der veränderten Genaktivitäten auf die Chromatinstruktur pluripotenter hES-Zellen und sich aus ihnen differenzierender Zellen bestimmt und die Veränderungen in der Transkriptionsdynamik bzw. im Transkriptom analysiert werden. Ziel ist die Identifizierung von Genen, deren Produkte neben der Chromatinstruktur auch die Transkription, die MLO-Homöostase oder aber die Transkription und die MLO-Homöostase modulieren, wodurch geklärt werden soll, ob und auf welche Weise die veränderte Aktivität von Kandidatengenen, die einen messbaren Einfluss auf die Transkription und/oder die MLO-Homöostase haben, auch komplexe Chromatin-Interaktionen beeinflussen kann. Diese und weitere Untersuchungen sollen zu neuen und wichtigen Erkenntnissen über die Rolle der MLO-Homöostase bei der Steuerung der Chromatin-Organisation während der frühen Differenzierung von hES-Zellen führen.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind.
Zur Vorklärung einzelner Aspekte der zentralen wissenschaftlichen Fragestellungen des Vorhabens liegen bereits mehrere publizierte Arbeiten vor. Mittels Einzelzell-RNA-Sequenzierung von hES-Zellen der Linie H9 wurde beispielsweise bereits die Transkriptionsdynamik während des Übergangs von der Pluripotenz in frühe Differenzierungsprozesse untersucht. Hierbei wurden Schlüsselfaktoren und -signalwege verifiziert, die die Differenzierung in Richtung spezifischer Linien regulieren. Der Zusammenhang zwischen der Kompartimentierung des Zellkerns in funktionelle Kondensate und der Regulation der Transkription wurde ebenfalls bereits in der Vergangenheit untersucht. Neuere Arbeiten haben beispielsweise gezeigt, dass nuclear speckles mit aktiven Genen interagieren, und es wird angenommen, dass sie eine zentrale Rolle bei der Synthese von Prä-mRNA spielen könnten. Durch Untersuchungen an humanen Lymphoblasten konnte gezeigt werden, dass aktive Gene und Enhancer mit nuclear speckles interagieren. Zudem ist unter Verwendung humaner somatischer Zellen gezeigt worden, dass sich gendichte und stark transkribierte Pol-II-Regionen um nuclear speckles organisieren, während sich transkriptionell inaktive Regionen, die Zentromer-proximal gelegen sind, sich um den Nukleolus arrangieren. Ferner ist bekannt, dass sich bei hES-Zellen die Morphologie von MLO während des Austritts aus der Pluripotenz in die Differenzierung ändert. Während des Übergangs von der Pluripotenz zur Differenzierung zeigten hES-Zellen morphologisch ein spezifisches Stadium, in dem hES-Zellen einzelne oder wenige MLO in Rosetten- oder linearer Konformation aufweisen, deren Morphologie sich während der Differenzierung in für somatische Zellen charakteristische Formen ändert. Ferner hat der für die Forschung verantwortliche Wissenschaftler selbst umfangreiche Arbeiten zur Funktion und Regulierung von MLO in menschlichen Zellen durchgeführt. Dabei konnte gezeigt werden, dass die Morphologie und die Homöostase bestimmter MLO, die auch im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten einer detaillierten Analyse unterzogen werden sollen, die DNA-Syntheserate während des Zellzyklus steuern.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Die Aufrechterhaltung der Pluripotenz und die Auslösung früher Differenzierungsereignisse wird in humanen ES-Zellen auf anderem Wege reguliert als in den pluripotenten Stammzellen anderer Spezies, insbesondere der Maus. Die Forschungsziele können folglich nicht unter Verwendung von tierischen Zellen, insbesondere nicht unter Verwendung von murinen embryonalen Stammzellen, sondern nur unter Nutzung humaner Zellen erreicht werden. Die Erreichung der Forschungsziele verlangt zudem die Nutzung humaner pluripotenter Stammzellen. Die hier interessierenden Fragestellungen beziehen sich größtenteils auf früheste Ereignisse in der Differenzierung menschlicher Zellen, nämlich auf den Übergang vom Stadium der Pluripotenz in frühe Vorläuferzellen der neuroektodermalen und mesentodermalen Linien. Andere für die Forschung verfügbare Zellen des Menschen als pluripotente Stammzellen, beispielsweise somatische oder fötale Stammzellen sowie primäre humane Zellen, haben die hier interessierenden frühen Stadien der Entwicklung bereits durchlaufen und können folglich nicht zur Klärung der Forschungsfragen eingesetzt werden. Nach derzeitigem Kenntnisstand können die Forschungsziele auch nicht unter Verwendung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) erreicht werden, sondern erfordern die Verwendung von hES-Zellen. Dies ist dadurch begründet, dass epigenetische Markierungen der somatischen Ursprungszellen während des Reprogrammierungsprozesses nicht vollständig gelöscht und teils an die hiPS-Zellen weitergegeben werden. Dies wirkt sich auf verschiedene Charakteristika des Chromatins (wie beispielsweise DNA-Methylierung, Histon-Modifikationen) und der Chromatin-Konformation (wie beispielsweise Zugänglichkeit des Chromatins) aus. Zudem kann dieses sog. somatische Gedächtnis der hiPS-Zellen auch die Transkriptionsdynamik während der Differenzierung in Richtung desjenigen somatischen Zelltyps kanalisieren, aus dem die hiPS-Zelle ursprünglich abgeleitet wurde. Da aber die Untersuchung der Transkriptions- und Chromatindynamik zentrale Fragestellungen des Forschungsvorhabens sind, können die Forschungsziele bereits aus den genannten Gründen nicht unter Verwendung von hiPS-Zellen erreicht werden. Zudem zeigt ein Vergleich der Ergebnisse von Studien, die mit Blick auf die Morphologie von MLO in hES- und hiPS-Zellen durchgeführt wurden, dass diesbezügliche Unterschiede zwischen beiden Zellarten bestehen.
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