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177. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz

Erteilt am 06.04.2022

1. Genehmigungsinhaberin

Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

2. Zell-Linien

Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:

  • H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
  • H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)

Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.

3. Angaben zum Forschungsvorhaben

Eine Reihe von Krankheiten bzw. Entwicklungsstörungen, die den Autismus-Spektrum-Erkrankungen (ASD) zuzuordnen sind, gehen mit dem Verlust der chromosomalen Region chr16p11.2 einher, auf der 29 Gene annotiert sind. Vor diesem Hintergrund soll ein auf humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) basierendes neuronales In-vitro-Modell zur Nachbildung dieser Erkrankungen etabliert werden, das dann zur Analyse der mit dieser genetischen Störung assoziierten Veränderungen in der neuronalen Differenzierung und den veränderten Eigenschaften der entsprechenden Neurone genutzt werden soll. Hierfür soll die chr16p11.2-Region in hES-Zellen heterozygot deletiert und die Zellen zusätzlich mit Reportergen-gekoppelten induzierbaren Genen für Transkriptionsfaktoren versehen werden, die eine selektive und effiziente Differenzierung in glutamaterge und GABAerge Neurone erlauben. Die Zellen sollen dann zu Neuronen unter 2D-Bedingungen bzw. zu neuronalen Organoiden differenziert und zu verschiedenen Zeitpunkten während und nach Abschluss der Differenzierung umfassend hinsichtlich ihrer Morphologie, ihres Transkriptoms, ihrer funktionalen Charakteristika sowie bezüglich der Anzahl, Eigenschaften und Funktionalität der Synapsen untersucht werden. Auf Grundlage der Transkriptom-Daten sollen dann jene Gene identifiziert werden, die maßgeblich zu einem veränderten Phänotyp beitragen. Diese Gene sollen dann einzeln oder in Kombination in für chr16p11.2 heterozygot deletierten, sich neuronal differenzierenden Zellen zur Expression gebracht und der Effekt auf die Morphologie, auf das Transkriptom und auf die Charakteristika der Synapsen bestimmt werden. Ferner soll auch eine Deletion einzelner Gene der chr16p11.2-Region in hES-Zellen vorgenommen und die dadurch ausgelösten Effekte auf die o. g. Eigenschaften insbesondere glutamaterger und GABAerger Neurone untersucht werden. Zudem sollen mögliche Mechanismen der durch Verlust dieser Gene bedingten Veränderungen in den Eigenschaften der Neurone durch pharmakologische Modulation bestimmter intrazellulärer Signalwege näher untersucht werden.

4. Hochrangigkeit der Forschungsziele

Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung, die auch dazu beitragen könnten, künftig Grundlagen für die Entwicklung neuer therapeutischer Verfahren zur Anwendung bei Menschen zu schaffen. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:

Genetische Veränderungen in der chromosomalen Region 16p11.2 sind mit verschiedenen neurologischen Erkrankungen und Entwicklungsstörungen assoziiert, darunter mit einer Reihe von Erkrankungen, die den Autismus-Spektrum-Erkrankungen (autism spectrum disorders, ASD) zuzuordnen sind. Auf der 16p11.2-Region, die ca. 640 kbp umfasst, sind 29 Gene annotiert, deren individueller Beitrag zur neuronalen Entwicklung bislang nicht hinreichend verstanden ist. Die Kenntnisse über die spezifische Rolle dieser Gene bei der Pathogenese der genannten Erkrankungen/Entwicklungsstörungen ist ebenfalls begrenzt. Untersuchungen unter Nutzung von Mausmodellen konnten hierzu bislang keine eindeutige Klärung schaffen; wesentliche Fragen danach, welche Signalwege infolge der Deletion gestört sind, welche spezifischen Prozesse der neuralen Entwicklung in welchem Stadium der Differenzierung beeinträchtigt werden und welche Möglichkeiten zur Wiederherstellung einer normalen neuralen Funktion bestehen, sind derzeit unbeantwortet und sollen im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten geklärt werden.

Hierfür soll in hES-Zellen eine heterozygote Deletion der 16p11.2-Region vorgenommen, die Zellen dann zu glutamatergen und GABAergen Neuronen bzw. zu neuronalen Organoiden differenziert und diese umfassend auf morphologischer, molekularer und funktionaler Ebene charakterisiert werden. Hierdurch sollen neue und wichtige Erkenntnisse darüber gewonnen, ob und inwieweit hES-Zellen, die die benannte Deletion aufweisen, sich zu reifen glutamatergen und GABAergen Neuronen bzw. zu neuronalen Organoiden zu entwickeln vermögen und welche Unterschiede in der Morphologie, der Utrastruktur und den funktionalen Eigenschaften im Vergleich mit genetisch unveränderten Zellen bestehen. Zudem sollen differentiell exprimierte Gene sowohl innerhalb als auch außerhalb der deletierten Region identifiziert werden, deren veränderte Expression bzw. Dysregulation zu verschiedenen Zeitpunkten der Entwicklung der Zellen/Organoide möglicherweise zur Ausprägung eines für 16p11.2-Deletionen typischen Phänotyps beiträgt. Ferner ist die Identifizierung kritischer Zeitfenster in der Entwicklung, in denen die durch die Deletion der 16p11.2-Region bedingten Entwicklungsstörungen einsetzen, ein zentrales Ziel des Forschungsvorhabens. Die geplanten Arbeiten können zu einem besseren Verständnis darüber beitragen, wie die genannte Deletion die neuronale Differenzierung humaner Zellen verändert und welche Änderungen zu welchem Zeitpunkt der Differenzierung auftreten, woraus auch Rückschlüsse auf die Bedeutung einzelner Gene für die Gehirnentwicklung im Menschen und ihre Rolle bei der Pathogenese der mit 16p11.2-Deletionen verbundenen Erkrankungen bzw. Entwicklungsstörungen gezogen werden könnten.

Ferner sollen die Transkriptomanalysen zur Identifizierung sog. Treibergene führen, deren verminderte Expression für bestimmte Aspekte des veränderten Phänotyps ausschlaggebend sein könnte. Die in diesem Zusammenhang geplanten Forschungsarbeiten zur Wiederherstellung der Expression einzelner Gene im Kontext einer 16p11.2-Deletion sowie zur Deletion einzelner Gene dieser Region werden aller Voraussicht nach einerseits zu neuen Erkenntnissen über die spezifischen Effekte der veränderten Präsenz einzelner (ggf. kritischer) Genprodukte bei der Ausprägung des durch die 16p11.2-Deletion bewirkten, ggf. komplexen Phänotyps und über die Funktion der entsprechenden Gene während der Gehirnentwicklung des Menschen führen. Zudem soll das Verständnis über die Rolle bestimmter Signalkaskaden, die in Verbindung mit den jeweiligen potentiellen Treibergenen stehen, vertieft werden. Andererseits sollen durch diese Arbeiten auch target-Strukturen identifiziert werden, über deren pharmakologische Modulation ggf. Einfluss auf den zellulären Phänotyp genommen werden könnte, woraus sich mittelfristig Ansätze für die Entwicklung neuer therapeutischer Verfahren ergeben könnten.

5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen


Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass die Forschungsfragen in allen wesentlichen Punkten weitestmöglich vorgeklärt sind.

Für die Untersuchung der Konsequenzen einer 16p11.2-Deletion wurden bereits verschiedene Mausmodelle etabliert, in denen die korrespondierende chromosomale Region deletiert wurde und an denen bestimmte Aspekte der menschlichen Erkrankungen nachgebildet werden konnten. Allerdings wurden teils ambivalente und von der Situation im Menschen verschiedene Beobachtungen gemacht, beispielsweise hinsichtlich des Volumens bestimmter Hirnregionen und der Proliferation neuraler Vorläuferzellen infolge der Deletion bzw. Duplikation der zu 16p11.2 homologen Region. Auch in menschlichen In-vitro-Systemen wurden bereits Untersuchungen zu den Konsequenzen eines Verlustes der 16p11.2-Region durchgeführt, insbesondere unter Verwendung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen). Dabei wurde beispielsweise gezeigt, dass aus 16p11.2-defizienten hiPS-Zellen differenzierte kortikale Neuronen einen vergrößerten Zellkörper, längere Dendriten und stärkere dendritische Verzweigungen aufwiesen. Zudem zeigten die Neurone eine verminderte elektrische Erregbarkeit. Hingegen wurden, anders als im Mausmodell, keine Effekte auf die Proliferation neuraler Vorläuferzellen nachgewiesen. Allerdings wurde in den entsprechenden Vorläuferzellen eine veränderte Expression zahlreicher Gene beobachtet, die einerseits mit neuraler Entwicklung, andererseits aber auch mit ASD assoziiert sind. hES-Zellen der Linie H1, in denen die 16p11.2-Region in hES-Zellen heterozygot deletiert worden war, zeigten eine verstärkte Tendenz zu neuraler Differenzierung und während der Differenzierung eine höhere Dichte neuronaler Zellen mit längeren Dendriten und verstärkter Dendriten-Verzweigung, eine verstärkte Expression von für neurale Vorläuferzellen spezifischen Genen sowie eine erhöhte Anzahl neuronaler Vorläuferzellen. Weiterhin wurden die Effekte einer 16p11.2-Deletion auch an neuronalen Organoiden untersucht, die aus hiPS-Zellen von Patienten mit stark ausgeprägtem Phänotyp abgeleitet worden waren. Die Organoide zeigten Aspekte von Makrozephalie, wobei ein ausgeprägter Dosis-Effekt auf Proliferation, neuronale Reifung und Synapsenzahl beobachtet wurde. Ferner bestätigten Analysen des Transkriptoms und Proteoms die Dysregulation zahlreicher Signalwege, die zu veränderter Migration von Neuronen, Veränderungen im Aktin-Zytoskelett, zu veränderter Aktivität von Ionenkanälen, veränderter Synapsenfunktion und einem dysregulierten Wnt-Signalweg führten. Die an der Forschung beteiligten Wissenschaftler haben auch selbst umfangreiche Arbeiten zur Funktion von Genen, die in der 16p11.2-Region liegen, durchgeführt, wobei zunächst das humane Neuroblastom-Modell SH-SY5Y zum Einsatz kam. Dabei wurde gezeigt, dass neun der in der 16p11.2-Region annotierten Gene im Zuge der neuralen Differenzierung eine stark veränderte Regulation aufwiesen, wobei das QPRT-Gen die stärkste differentielle Regulation zeigte. Weitere Untersuchungen, in denen die Expression des QPRT-Gens vermindert oder ausgeschaltet wurde, bestätigten die Relevanz von QPRT für die neuronale Differenzierung.

Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.

Die genehmigten Forschungsarbeiten zielen auf die Aufklärung der Funktion von in der 16p11.2-Region annotierten Genen bei der neuralen Differenzierung. Dabei sollen auch die Mechanismen aufgeklärt werden, die im Falle einer verminderten Expression dieser Gene infolge einer heterozygoten Deletion der 16p11.2-Region zur Entstehung von neuropsychiatrischen Erkrankungen und zu neuronalen Entwicklungsstörungen führen. Obwohl verschiedene Mausmodelle für den Verlust der zur 16p11.2-Region homologen Region etabliert und bestimmte Aspekte der menschlichen Erkrankung nachgebildet werden konnten, sind die dabei gewonnenen Resultate teils uneinheitlich und können aufgrund der speziesspezifischen Unterschiede in Größe, Struktur und Komplexität des Neokortex nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen werden. Zudem können viele Aspekte von neuronalen Erkrankungen und Entwicklungsstörungen des Menschen im Tiermodell nur unvollständig reproduziert werden; dies betrifft insbesondere Veränderungen im Verhalten und in den intellektuellen Fähigkeiten. Zur Erreichung der Forschungsziele sind daher menschliche Zellen erforderlich. Die Forschungsziele können ferner nur unter Nutzung humaner pluripotenter Stammzellen erreicht werden. Im Forschungsvorhaben sollen Prozesse untersucht werden, die teils in frühen Stadien der menschlichen neuronalen Entwicklung ablaufen: die Identifizierung kritischer Zeitfenster, in denen die durch die Deletion der 16p11.2-Region bedingten Entwicklungsstörungen einsetzen, ist ein wesentliches Ziel des Forschungsvorhabens. Fragen nach einer veränderten Proliferation neuronaler Vorläuferzellen, ihrem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Zellzyklus und einer vorzeitigen Depletion des Pools an neuronalen Vorläuferzellen können aber nicht unter Nutzung von Zellen beantwortet werden, die das Vorläuferzellstadium bereits durchschritten haben. Nicht-pluripotente Zellen (beispielsweise adulte und fötale Stammzellen, primäre neuronale Zellen) haben die hier interessierenden Entwicklungsstadien jedoch bereits durchlaufen; die Erreichung der Forschungsziele kann folglich nicht unter Nutzung derartiger Zellen erfolgen.

Nach derzeitigem Kenntnisstand können die Forschungsziele auch nicht unter Verwendung von hiPS-Zellen erreicht werden. Das Ziel des Forschungsvorhabens besteht in der Klärung der Frage, auf welchem Wege der heterozygote Verlust der 16p11.2-Region die neuronale Differenzierung beeinträchtigt und welche Rolle die in dieser Region annotierten Gene bei einer normalen neuronalen Entwicklung spielen. Hierfür sind Zellen mit einem definierten genetischen Hintergrund erforderlich, die – im Vergleich zur In-vivo-Situation – nach Möglichkeit wenige genetische und epigenetische Veränderungen aufweisen. hiPS-Zellen können jedoch ggf. Mutationen aufweisen, die entweder bereits in ihren somatischen Ursprungszellen präsent waren oder aber im Zuge der Reprogrammierung erworben wurden. Dies könnte die Aussagekraft der hier angestrebten Ergebnisse, insbesondere hinsichtlich der molekularen Ursachen pathologischer Prozesse, ggf. einschränken. Zudem sind reprogrammierungsbedingte epigenetische Anomalien sowie Identitätsrückstände der somatischen Zellen, aus denen die hiPS-Zellen gewonnen wurden, nicht auszuschließen, was zu veränderten Entwicklungsphänotypen führen könnte.

Stand: 06.04.2022

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