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170. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz

Erteilt am 31.08.2021

1. Genehmigungsinhaber

Leibnitz-Institut DSMZ – Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH

2. Zell-Linien

Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:

  • H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
  • H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)

Die Genehmigung gilt jeweils auch für Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.

3. Angaben zum Forschungsvorhaben

Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) ist die Etablierung eines Gewebemodells zur Untersuchung der erblichen Form des Retinoblastoms, eines häufig bereits im frühen Kindesalter auftretenden Tumors. Hierfür soll das RB1-Gen in hES-Zellen zunächst auf einem Allel mit artifiziellen oder in Patienten anzutreffenden Mutationen versehen und entsprechend stabil modifizierte hES-Zell-Klone etabliert werden. Die derartig mutierten hES-Zellen, die nach gegenwärtigem Kenntnisstand bei Vorliegen eines nicht-mutierten RB1-Gens auf dem zweiten Allel keine Defizite bei der Differenzierung zu retinalen Zellen aufweisen, sollen dann in Richtung retinaler Organoide differenziert und zu verschiedenen Zeitpunkten der Differenzierung durch AAV-vermittelten Transfer der Komponenten des CRISPR/Cas-Systems mit einer (ggf. ebenfalls patientenspezifischen) weiteren Mutation auf dem zweiten Allel des RB1-Gens versehen werden. Die in beiden Allelen mutierten Zellen sollen dann weiter zu retinalen Organoiden differenziert und diese umfassend charakterisiert werden, beispielsweise hinsichtlich der Präsenz und Charakteristika spezifischer retinaler Zellpopulationen und der korrekten Organisation des retinalen Organoids, bezüglich der Expression retinaler Marker-Gene sowie in Hinblick auf das Transkriptom bestimmter retinaler Zellpopulationen. Ziel ist es, die Effekte verschiedener Mutationen auf die retinale Differenzierung bzw. auf die Desorganisation der sich entwickelnden retinalen Organoide sowie ein ggf. kritisches Zeitfenster für die zweite Mutation zu bestimmen. Zudem sollen jene Zelltypen zweifelsfrei identifiziert werden, die bei Vorliegen spezifischer Mutationen den Ausgangspunkt für die Tumorbildung darstellen.

4. Hochrangigkeit der Forschungsziele

Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) in erster Linie der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:

Das Retinoblastom ist eine fast ausschließlich im Kindesalter auftretende seltene Tumorerkrankung des Auges. Wenn die Erkrankung unbehandelt bleibt, verläuft sie fast immer tödlich. Ursächlich für das Retinoblastom ist die Inaktivierung beider Kopien des RB1-Gens. Bei der erblichen Form des Retinoblastoms wird ein inaktives RB1-Allel von einem Elternteil ererbt; Tumoren entstehen dann infolge des Erwerbs weiterer Mutationen im bislang nicht betroffenen Allel. Im genehmigten Forschungsvorhaben soll die biallelische Inaktivierung des RB1-Gens nunmehr in einem Organoid-Modell nachgebildet werden, um die entscheidenden Schritte der Tumorentstehung untersuchen zu können, wobei ein Vorgehen entwickelt werden soll, das der Situation in betroffenen Patienten möglichst nahekommt. Zunächst soll ein Panel an hES-Zellen etabliert werden, in denen jeweils verschiedene Mutationen des RB1-Gens in einem Allel vorliegen. Nach bisherigen Erkenntnissen zeigen derartig monoallelisch mutierte Zellen keine Veränderungen in der Differenzierung zu retinalen Zellen auf. Während der Differenzierung zu retinalen Organoiden soll dann zu verschiedenen Zeitpunkten eine zweite Mutation im RB1-Gen erzeugt werden. Hierfür sollen auf adenoassoziierten Viren (AAV) basierende Vektoren genutzt werden, die zum einen prioritär Photorezeptorzellen des Zapfentyps (die vermutlichen Ausgangszellen der malignen Transformation) infizieren und zum anderen die für die Mutagenese erforderlichen Komponenten des CRISPR/Cas-Systems in die Zellen übertragen. Die retinalen Organoide sollen dann weiter kultiviert, die Etablierung der zweiten Mutation bestätigt und durch umfangreiche Analysen der Struktur, Zusammensetzung und molekularen Charakteristika der retinalen Organoide mögliche Effekte der Mutationen auf die Eigenschaften der Organoide und ihre mögliche Desorganisation bestimmt sowie Hinweisen auf eine beginnende Tumorentwicklung nachgegangen werden.

Durch das geplante experimentelle Vorgehen soll die vermutete Korrelation zwischen der Etablierung der zweiten Mutation in einem spezifischen Zelltyp (Vorläufer von Photorezeptoren des Zapfen-Typs) und der erwarteten Desorganisation des Organoids als Anzeichen für eine Entartung bestätigt werden, was den zellulären Ursprung des Retinoblastoms bestätigen könnte. Zudem bietet das geplante Vorgehen die Möglichkeit, die Entstehung der zweiten und für die Tumorentstehung entscheidenden Mutation zu verschiedenen definierten Zeitpunkten der retinalen Differenzierung zu induzieren und auf diesem Wege ein möglicherweise kritisches Zeitfenster zu bestimmen, in dem die Inaktivierung der zweiten RB1-Gen-Kopie mit hoher Effizienz zur Tumorentstehung führt. Die Frage nach einem kritischen Zeitfenster für die Etablierung der zweiten Mutation kann mit den bislang publizierten Zellmodellen, in denen beide Mutationen im RB1-Gen bereits in den undifferenzierten Zellen vorliegen, nicht geklärt werden. Ferner soll untersucht werden, ob dieses Fenster in den für die Tumorentstehung verantwortlichen (ggf. auch verschiedenen) Zelltypen während unterschiedlicher Phasen der retinalen Differenzierung geöffnet ist. Die Analysen der betroffenen Zellpopulationen zu diesen Zeitpunkten, beispielsweise ihres Transkriptoms, sollen Erkenntnisse über Gene, Moleküle und Signalwege erbringen, die an der Entstehung des Retinoblastoms beteiligt sind. Schließlich werden sich aller Voraussicht nach Erkenntnisse darüber ergeben, welche Effekte bestimmte Mutationen im RB1-Gen auf die Eigenschaften des durch sie verursachten Tumors haben, beispielsweise auf das Tumorwachstum oder den Grad der Malignität. Dies könnte für die Abschätzung des Tumor-Risikos bei Vorliegen spezifischer Mutationen Bedeutung haben und daher künftig von Nutzen für betroffene Patienten sein.

Zudem soll unter Zuhilfenahme des hier zu etablierenden Zellmodells für die Entwicklung des Retinoblastoms geklärt werden, warum die Retina eine besonders hohe Suszeptibilität für eine maligne Transformation hat: obwohl zahlreiche Tumoren mit einer Inaktivierung des RB1-Gens einhergehen, stellt sich die Frage, warum die Patienten mit Mutation in einem Allel des RB1-Gens primär ein Retinoblastom (und keine anderen Tumore) entwickeln. Dieser Frage soll durch eingehende Analyse der von einer zweiten Mutation betroffenen Zellen geklärt werden, beispielsweise durch Untersuchungen des Proliferationsverhaltens, des Transkriptoms auf Einzelzellebene und des Genoms. Hierdurch sollen Faktoren bestimmt werden, in denen sich diese Zellen von anderen retinalen Zellen unterscheiden und die – neben der RB1-Gen-Inaktivierung – zur Genese des Tumors beitragen könnten. Schließlich kann die Entwicklung und Nutzung des hier angestrebten, auf hES-Zellen basierenden Gewebemodells auch zur Etablierung eines humanen Testsystems führen, an dem künftig Pharmaka bezüglich ihrer Wirkung auf das Wachstum von Retinoblastomen unterschiedlicher genetischer Ursachen getestet werden könnten.

5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen

Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt ist.

Der ursächliche Zusammenhang zwischen Mutationen im RB1-Gen und der Entstehung des Retinoblastoms ist seit Jahrzehnten bekannt. Protokolle für die Herstellung von retinalen Organoiden aus embryonalen Stammzellen des Menschen sind in der Literatur beschrieben. In einer von der für die Forschung verantwortlichen Wissenschaftlerin durchgeführten Studie wurde zudem ein auf hES-Zellen basierendes Modell für die Untersuchung der Entstehung von Retinoblastomen entwickelt. Dabei wurde das RB1-Gen auf einem oder beiden Allelen in hES-Zellen inaktiviert und die entsprechenden Zellen zu retinalen Organoiden differenziert. Dabei zeigte sich u. a., dass die Inaktivierung des RB1-Gens auf nur einem Allel keine Auswirkungen auf die Entwicklung der neuralen Retina, deren Morphologie und Genexpressionsmuster hatte. Hingegen bewirkte die biallelische Ausschaltung des RB1-Gens eine weitgehende Desorganisation der entsprechenden Organoide, eine nur geringe Präsenz der meisten retinalen Zelltypen sowie die Etablierung einer für Retinoblastome charakteristischen Genexpressionssignatur. Gleichzeitig wurde eine starke Hyperproliferation von Photorezeptoren des Zapfentyps beobachtet. Für den Gentransfer in humane retinale Organoide optimierte AAV-basierte Vektoren wurden bereits in der Literatur beschrieben, ebenso der AAV-vermittelte Transfer des CRISPR/Cas-System und die erfolgreiche Mutagenese der durch die Vektoren infizierten Zellen sowie die In-vivo-Genom-Editierung in der Retina unter Nutzung derartiger Vektoren. Die für die Analyse der Organoide zur Anwendung kommenden Vorgehensweisen wurden von der für die Forschung verantwortlichen Wissenschaftlerin in ihren bisherigen Arbeiten vielfach angewandt und/oder wurden in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben.

Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.

Im Gegensatz zum Menschen ist bei der Maus die (konditionelle) biallelische Inaktivierung des RB1-Gens für die Entwicklung eines Retinoblastoms nicht hinreichend, so dass Rückschlüsse über die Genese des Retinoblastoms beim Menschen aus Ergebnissen, die unter Verwendung von murinen Zellen gewonnen wurden, ohne weiteres nicht gezogen werden können. Zudem verläuft die retinale Differenzierung muriner und humaner ES-Zellen offenbar unterschiedlich: aus hES-Zellen gebildete neurale Retina enthält beispielsweise deutlich mehr Zellschichten als aus murinen ES-Zellen abgeleitete Retina. Insofern sind murine ebenso wie andere tierische Zellen auch aus diesem Grunde für die Klärung der aufgeworfenen Forschungsfragen ungeeignet. Da im genehmigten Forschungsvorhaben Veränderungen der Eigenschaften neuraler retinaler Zellen infolge einer Inaktivierung des RB1-Gens während des gesamten Prozesses der retinalen Differenzierung – (von der undifferenzierten Stammzelle bis hin zur terminal differenzierten Sinneszelle) – analysiert und der für die Inaktivierung des zweiten RB1-Allels kritische Zeitpunkt bestimmt werden sollen, erfordert die Erreichung der Forschungsziele die Nutzung pluripotenter Stammzellen. Alle anderen verfügbaren humanen Zelltypen haben die hier ggf. relevanten Stadien der retinalen Differenzierung bereits durchlaufen.

Das Forschungsziel kann voraussichtlich auch nicht durch ausschließliche Verwendung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) erreicht werden. Da der Effekt spezifischer Mutationen im RB1-Gen analysiert werden soll, müssen die Untersuchungen vor einem genetischen Hintergrund stattfinden, der nach Möglichkeit keinerlei Veränderungen gegenüber dem Wildtyp-Zustand aufweist. Dies ist für hES-Zellen gegeben. hiPS-Zellen weisen hingegen ggf. bereits Mutationen auf, die sich in den Zellen des Spenders der Ausgangszellen zur Herstellung der hiPS-Zellen akkumuliert haben. Zudem wurde in der Vergangenheit berichtet, dass – beispielsweise infolge des mit der Reprogrammierung verbundenen zellulären Stresses – verstärkt genetische Veränderungen in codierenden Genen auftreten können und dass hiPS-Zellen – anders als hES-Zellen – Variationen in der Kopienzahl bestimmter DNA-Abschnitte aufweisen (copy number variations, CNV). Zudem haben hiPS-Zellen ein offenbar nur geringes und darüber hinaus stark variierendes Potential, sich zu retinalen Organoiden mit korrekter Zellschichtung zu differenzieren, was durch die verschiedenen genetischen Hintergründe und Eigenschaften der zur Reprogrammierung genutzten Ausgangszellen, durch die Reprogrammierungsmethode oder durch die für die Reprogrammierung verwendeten Faktoren verursacht sein kann.


Stand: 31.08.2021

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