159. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaber
Herr Dr. Claudio Acuna Goycolea, Universitätsklinikum Heidelberg
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HES-1 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- HUES7 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
Die Genehmigung gilt jeweils auch für Sub-Linien (z.B. für klonale Sub-Linien oder genetisch modifizierte Derivate) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) soll ein besseres Verständnis von Wechselwirkungen zwischen Tumorzellen und Nervenzellen erarbeitet und insbesondere untersucht werden, welche Rolle Synapsen, die zwischen Neuronen und Tumorzellen gebildet werden, bei der Progression von Gliomen und Hirnmetastasen spielen. Im Mittelpunkt steht dabei die Etablierung und umfassende Analyse von Ko-Kultursystemen, die aus Tumorzellen aus Patienten und aus von hES-Zellen abgeleiteten neuralen Zellen bestehen. Dafür sollen verschiedene Ko-Kulturmodelle etabliert werden, in denen bestimmte Typen humaner neuraler Zellen gemeinsam mit Gliom-Zell-Linien oder mit aus Hirnmetastasen abgeleiteten Zell-Linien kultiviert werden. Die Effekte der Ko-Kultur auf das Wachstum der Tumorzellen und auf deren Eigenschaften sollen bestimmt und die zwischen den verschiedenen Zelltypen entstehenden Synapsen auf morphologischer, molekularbiologischer und funktionaler Ebene umfassend charakterisiert werden. Dabei sollen auch vergleichende Transkriptomanalysen durchgeführt werden. Gene, die in Neuronen oder Tumorzellen in der Ko-Kultur differentiell exprimiert werden („Kandidatengene“), sollen dann ausgeschaltet bzw. überexprimiert und die Effekte auf Tumorwachstum und Genexpression ermittelt werden. Schließlich soll untersucht werden, ob und inwieweit mit den zu etablierenden Ko-Kulturmodellen die Wirkung von ionisierender Strahlung und von Chemotherapeutika, die zur Behandlung von Hirntumoren eingesetzt werden, in vitro nachgebildet werden kann. Dabei sollen neben Effekten auf das Tumorwachstum auch mögliche Veränderungen der strukturellen, molekularbiologischen und funktionalen Eigenschaften der Zellen sowie der zwischen ihnen ausgebildeten Synapsen analysiert werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung sowie der Entwicklung von Grundlagen für neue therapeutische Verfahren zur Anwendung bei Menschen. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Das Glioblastom, an dem jährlich einer von 10.000 Menschen erkrankt, ist der häufigste und bösartigste astrozytäre Tumor mit einer sehr ungünstigen Prognose, der bislang i. allg. nicht geheilt werden kann. Auch Hirnmetastasen, die häufig bei Patienten mit Brust-, Lungen- und Hautkrebs auftreten, tragen zu einer äußerst schlechten Prognose bei. Die diesen Tumoren zugrundeliegenden molekularen Prozesse sind trotz intensiver Forschung bis heute nicht oder nur unvollständig aufgeklärt. Seit jüngerem gibt es Hinweise darauf, dass Nervenzellen eine entscheidende Rolle für die Initiation und Progression von Tumorerkrankungen im Gehirn zukommt. So ist bekannt, dass murine Neurone glutamaterge Synapsen auf humane Gliom-Zellen ausbilden können und dass das Wachstum von Gliomen und Hirnmetastasen durch synaptische Aktivität gefördert wird. Diese Erkenntnisse wurden allerdings in Modellsystemen gewonnen, in denen menschliche Tumorzellen ausschließlich mit neuralen Zellen tierischer Herkunft kultiviert oder beispielsweise in Mausgehirne transplantiert wurden.
Die hier geplanten Ko-Kulturen von humanen Hirn- und Tumorzellen sollen insbesondere hinsichtlich der zwischen Tumor- und Nervenzellen neu ausgebildeten Synapsen untersucht und deren Struktur, ihre biochemischen und molekularen Eigenschaften sowie ihre funktionalen Charakteristika bestimmt werden. Hieraus werden Erkenntnisse darüber erwartet, welche Eigenschaften die zwischen Neuronen und Tumorzellen gebildeten Synapsen haben und ob und inwieweit ihre Präsenz mit einer Progression des Tumors einhergeht. Insbesondere die Transkriptomanalysen, die vergleichend zwischen in Mono- und Ko-Kultur kultivierten Zellen durchgeführt werden sollen, können Auskunft darüber erbringen, ob die Ausbildung von Synapsen zu Veränderungen in den Genexpressionsmustern von Nerven- und Tumorzellen führt, was ggf. zur Identifizierung von Molekülen und Signalwegen führen kann, die das Wachstum von Tumoren in einer neuralen Nische befördern. Andererseits könnten auch Gene identifiziert werden, deren Funktion bzw. Aktivität infolge der Ausbildung synaptischer Verbindungen zwischen Neuronen und Tumorzellen beeinträchtigt ist. Auf Grundlage dieser Arbeiten kann ein Beitrag zum besseren Verständnis über die molekularen und zellulären Mechanismen der Tumorprogression erbracht werden. Die weitergehende Analyse von Genen, deren Expression in aus hES-Zellen abgeleiteten Neuronen/Astrozyten bzw. in Tumorzellen infolge der Ko-Kultur verändert ist, kann aller Voraussicht nach zur Identifizierung von Molekülen, Signalwegen und molekularen Prozessen beitragen, die in einem Zelltyp durch den jeweils anderen Zelltyp beeinflusst werden. Dies kann zu einem vertieften Verständnis von der Rolle spezifischer Moleküle/Signalwege für die Tumorprogression und ggf. zur Identifizierung von Angriffspunkten für neue Therapien für Gliome und Hirnmetastasen führen.
Zudem sollen die zu etablierenden Ko-Kulturen zur Testung von Strahlung oder Pharmaka genutzt werden, die derzeit für die Therapie von Hirntumoren im Einsatz sind, und die molekularen Grundlagen ihrer Wirkung sollen analysiert werden. Dies soll zum Verständnis der molekularen Grundlagen der jeweils eingesetzten Therapie beitragen. Zudem soll untersucht werden, welche Effekte Strahlung/Pharmaka auf die Tumorprogression haben, ob sie ggf. auf die zuvor identifizierten Moleküle/Signalwege wirken und ob sie ggf. spezifisch die Interaktion von Neuronen und Tumorzellen beeinflussen. Dies könnte zur Identifizierung neuer Wirkmechanismen bei der Behandlung von Gliomen/Hirnmetastasen führen und ist von erheblicher Relevanz, da Synapsen zwischen Nerven- und Tumorzellen ggf. zur Therapieresistenz von Hirntumoren beitragen können.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt ist.
Zur Frage der Ausbildung von Synapsen von Neuronen auf Gliom-Zellen (Neurogliomale Synapsen, NGS) und deren Einfluss auf das Wachstum und die Eigenschaften der Tumorzellen wurden bereits umfangreiche Untersuchungen in vivo und in vitro durchgeführt, deren Ergebnisse publiziert sind. Dabei wurden humane Tumorzellen in das Gehirn von Mäusen transplantiert oder gemeinsam mit Maus-Neuronen kultiviert. In beiden Fällen wurde die Ausbildung von Synapsen von den (präsynaptischen) murinen Neuronen auf die (postsynaptischen) humanen Tumorzellen beobachtet, die umfassend hinsichtlich ihrer Ultrastruktur und ihrer biochemischen, molekularen und funktionalen Eigenschaften charakterisiert wurden. Darüber hinaus wurde gezeigt, dass eine Subpopulation von Gliom-Zellen, die mit Neuronen synaptisch verbunden war, deutlich stärker migrierte, was eine höhere Invasivität der entsprechenden Tumorzellen bedingt. Zudem liegen veröffentlichte Daten darüber vor, dass murine Nervenzellen Synapsen auch auf Zellen aus Hirnmetastasen von Mamma-Karzinomen ausbilden, die in Mausgehirne transplantiert wurden. Insgesamt sind alle Aspekte des Vorhabens umfassend unter Nutzung muriner Zellen bzw. unter Verwendung von Maus-Modellen vorgeklärt. Die zur Durchführung der Forschungsarbeiten geplanten methodischen Vorgehensweisen, insbesondere zur Differenzierung von hES-Zellen zu exzitatorischen Neuronen, inhibitorischen Neuronen und Astrozyten sowie zur Untersuchung der synaptischen Verbindungen zwischen Neuronen und Tumorzellen auf struktureller, molekularbiologischer und funktioneller Ebene, sind in der wissenschaftlichen Literatur umfangreich beschrieben worden.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Die beantragten Forschungsarbeiten zielen auf die Aufklärung der Rolle von Synapsen zwischen Neuronen und Tumorzellen bei der Progression von Tumoren des Gehirns im Menschen. Wesentliche Fragen zum Einfluss dieser synaptischen Aktivität auf die Proliferation und Invasivität humaner Tumorzellen sind zwar bereits in Ko-Kulturmodellen aus menschlichen Tumorzellen und murinen Nervenzellen bzw. in Tiermodellen untersucht worden. Aufgrund der speziesspezifischen Unterschiede zwischen dem zentralen Nervensystem des Menschen und jenem von Nagern können diese Modelle die korrekte Pathologie der menschlichen Erkrankung jedoch nur unzureichend nachbilden, und die an diesen Zellkultur- bzw. Tiermodellen erzielten Ergebnisse können ggf. nicht oder nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen werden. Die Forschungsziele können daher nur unter Einsatz menschlicher Zellen erreicht werden.
Die Forschungsziele können voraussichtlich auch nicht unter Nutzung anderer als pluripotenter Stammzellen des Menschen erreicht werden. Humane fötale neurale Stammzellen stehen nicht in der für die Durchführung des Forschungsvorhabens ausreichender Menge, Qualität und Reproduzierbarkeit zur Verfügung. Zudem besitzen sie kein zu hES-Zellen vergleichbares Potential, sich in die hier erforderlichen neuralen Zelltypen des menschlichen Gehirns zu differenzieren.
Nach derzeitigem Kenntnisstand können die Forschungsziele auch nicht unter Verwendung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) erreicht werden. Da Tumorerkrankungen des Gehirns beim Menschen untersucht werden sollen, sind Zellen erforderlich, die einen möglichst ursprünglichen Charakter aufweisen. hiPS-Zellen weisen zum einen jedoch oft reprogrammierungsbedingte genetische und epigenetische Anomalitäten auf. Zum anderen wurde in der Literatur wiederholt auf Unterschiede in der Fähigkeit von hiPS- und hES-Zellen hingewiesen, sich zu neuralen Zellen zu differenzieren.
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