158. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaber
Herr Dr. Claudio Acuna Goycolea, Universitätsklinikum Heidelberg
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HES-1 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- HUES7 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
Die Genehmigung gilt jeweils auch für Sub-Linien (z.B. für klonale Sub-Linien oder genetisch modifizierte Derivate) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen sollen Astrozyten aus hES-Zellen gewonnen und für die Beantwortung verschiedener Forschungsfragen genutzt werden. Zunächst sollen aus hES-Zellen gewonnene Astrozyten anstelle muriner Astrozyten als trophischer Support für die Ko-Kultivierung mit Neuronen in zwei bereits genehmigten Forschungsvorhaben verwendet werden (142. und 144. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz). Durch die Erzeugung funktionaler neuraler Netzwerke, die ausschließlich aus humanen Zellen bestehen, sollen die in diesen Forschungsvorhaben zu klärenden Fragestellungen besser als bislang möglich beantwortet werden. Ferner soll die Rolle von Astrozyten und die Funktion von Astrozyten sekretierten Faktoren auf die Fähigkeit von humanen Neuronen zur Synapsenbildung untersucht werden. Hierfür sollen Gene, die maßgeblich in Astrozyten exprimiert werden und deren Produkte eine mutmaßlich synaptogene Aktivität aufweisen, in hES-Zellen funktional deletiert, die modifizierten Zellen zu Astrozyten differenziert und gemeinsam mit aus hES-Zellen abgeleiteten Neuronen kultiviert werden. Die Effekte der jeweiligen Mutationen in (hES-Zell-abgeleiteten) Astrozyten auf die Anzahl, Struktur und Funktion von in den entsprechenden neuralen Netzwerken gebildeten Synapsen soll dann im Detail bewertet werden. Schließlich soll untersucht werden, ob und auf welche Weise mit neuropsychiatrischen Erkrankungen assoziierte Mutationen, die zu einer veränderten Funktion von Astrozyten führen, zur Auslösung und Pathogenese der entsprechenden Erkrankungen beitragen. Hierfür sollen die entsprechenden Mutationen in hES-Zellen erzeugt, die genetisch veränderten hES-Zellen zu Astrozyten differenziert und der Effekt der mutierten Astrozyten auf humane Neurone im Rahmen entsprechender neuraler Netzwerke untersucht werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele in der Grundlagenforschung. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Die geplanten Forschungsarbeiten sollen dazu beitragen, das Verständnis von der Rolle humaner Astrozyten für die Funktion neuraler Netzwerke zu erweitern, einen möglichen Einfluss auf die Bildung und Funktion von Synapsen zu ermitteln und die molekularen Grundlagen des Beitrags sich in Astrozyten manifestierender Mutationen auf neuropsychiatrische Erkrankungen aufzuklären. Darüber hinaus sollen die aus hES-Zellen abgeleiteten Astrozyten auch für die Erreichung von Forschungszielen dienen, die im Rahmen von in der Vergangenheit genehmigten Forschungsvorhaben formuliert wurden und deren Hochrangigkeit unvermindert fortbesteht.
Astrozyten bilden die zahlenmäßig stärkste Population von Zellen des Zentralnervensystems. Während ihre Funktion für die physische und metabolische Unterstützung von Neuronen gut untersucht ist, bestehen nur unzureichende Kenntnisse über ihre Rolle für die Funktion und Plastizität der Synapsen. Dabei wird seit jüngerer Zeit davon ausgegangen, dass humane Astrozyten, die sich in funktionaler Hinsicht erheblich von Astrozyten der Maus unterscheiden, von großer Bedeutung für kognitive Prozesse sind. In diesem Zusammenhang stehen auch Erkenntnisse aus vielen Studien, denen zufolge Mutationen, die sich in Astrozyten manifestieren, mit neuropsychiatrischen und neurodegenerativen Erkrankungen assoziiert sind.
Neben der Nutzung von aus hES-Zellen abgeleiteten Astrozyten in zuvor genehmigten Forschungsarbeiten sollen aus hES-Zellen abgeleitete Astrozyten im zentralen Vorhabensteil dafür genutzt werden, die bislang noch nicht umfassend untersuchte Rolle humaner Astrozyten für die Bildung und Funktion von Synapsen zu untersuchen. Jüngere Studien haben Erkenntnisse darüber erbracht, dass Astrozyten Faktoren produzieren und sezernieren, die die Bildung und Funktion von Synapsen regulieren. Die diesen Wechselwirkungen zwischen Astrozyten und Neuronen zugrundeliegenden molekularen Prozesse sind allerdings nur unvollständig verstanden und sollen hier näher untersucht werden. Dafür sollen Gene, die für Faktoren mit synaptogener Aktivität codieren, funktional ausgeschaltet, die genetisch veränderten hES-Zellen zu Astrozyten differenziert und die Astrozyten dann mit aus hES-Zellen abgeleiteten neuronalen Zellen gemeinsam zur Bildung neuraler Netzwerke genutzt werden. In diesen Netzwerken soll dann der Einfluss der jeweiligen genetischen Veränderung auf die morphologischen, elektrophysiologischen und molekularen Eigenschaften der Neurone analysiert und bewertet werden. Hieraus können sich aller Voraussicht nach neue und wesentliche Erkenntnisse über die Funktion einzelner von Astrozyten produzierter Faktoren ergeben, die die Eigenschaften neuraler Netzwerke regulieren, insbesondere die Bildung und Plastizität von Synapsen.
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeiten liegt auf der Untersuchung der molekularen Ursachen neuropsychiatrischer Erkrankungen, die mit Mutationen in Genen assoziiert sind, deren Produkte für die Funktion von Astrozyten relevant sind. Entsprechende Mutationen können ggf. ursächlich für Autismus-Spektrum-Störungen sein, wobei jedoch der Zusammenhang zwischen der Präsenz spezifischer Mutationen, den auf zellulärer und molekularer Ebene auftretenden Veränderungen und der Pathogenese dieser meist komplexen Erkrankungen bislang nur in Ansätzen untersucht wurde. Daher sollen nunmehr Gene, deren Produkte für die Funktion von Astrozyten bei der Synaptogenese relevant sind und die in Patienten mit Autismus-Spektrum-Störungen Mutationen aufweisen, in hES-Zellen so mutiert werden, dass die genetische Veränderung jener im betreffenden Patienten entspricht. Die genetisch veränderten Zellen sollen dann zu Astrozyten differenziert und gemeinsam mit aus (Wildtyp- oder ebenfalls genetisch veränderten) hES-Zellen abgeleiteten neuronalen Zellen kultiviert werden. In den dabei gebildeten neuralen Netzwerken sollen dann die Effekte der jeweiligen Mutation auf die morphologischen, elektrophysiologischen und molekularen Charakteristika der Neurone ermittelt und insbesondere die Eigenschaften der Synapsen eingehend untersucht werden. Dies wird voraussichtlich zu neuen Erkenntnissen über den Einfluss der Präsenz spezifischer Mutationen auf die Entwicklung und die Eigenschaften neuraler Netzwerke und auf Synapsen führen, auf deren Grundlage dann ggf. Signalwege und andere zelluläre Prozesse identifiziert werden können, deren veränderte Regulation zur Pathogenese der jeweiligen neuropsychiatrischen Erkrankungen beiträgt.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt ist.
Aus der Literatur liegt eine Reihe von Befunden vor, die die grundlegende Bedeutung von Astrozyten für den Aufbau eines funktionierenden Nervensystems belegen. Studien aus der letzten Dekade haben gezeigt, dass Astrozyten eine essentielle Rolle für die Entwicklung und Funktion von Synapsen spielen, wobei lösliche Faktoren, die selektiv von Astrozyten produziert und sezerniert werden, von erheblicher Relevanz sind. Ferner liegen Daten darüber vor, dass von Astrozyten produzierte und sezernierte Proteine einen erheblichen Beitrag zur synaptischen Plastizität im Ratten-Hippocampus leisten. Ferner konnte der Zusammenhang zwischen den Genen, deren Veränderung im beantragten Forschungsvorhaben geplant ist, und Autismus-Spektrum-Störungen bereits belegt werden. So liegt eine Reihe entsprechender genetischer Assoziationsstudien und weitergehender genetischer Untersuchungen vor, in denen das Erbgut von erkrankten und gesunden Personen vergleichend analysiert wurde. Auf Grundlage umfangreicher Sequenzierung konnten bestimmte Mutationen als genetische Risikofaktoren für die Entstehung von Autismus-Spektrum-Störungen identifiziert werden. Die zum Einsatz kommenden Methoden, beispielsweise zur Differenzierung von hES-Zellen in neuronale Zellen und Astrozyten sowie zur Untersuchung der Eigenschaften synaptischer Verbindungen in neuralen Netzwerken auf ultrastruktureller, molekularer und funktionaler Ebene, sind in der wissenschaftlichen Literatur vielfach beschrieben worden und im Labor des Genehmigungsinhabers etabliert.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Analysen des Transkriptoms muriner und humaner Astrozyten zeigten erhebliche speziesspezifische Unterschiede zwischen Mensch und Maus. Zwar ließen sich Transkripte klassischer Astrozyten-Marker sowohl in murinen als auch in menschlichen Astrozyten nachweisen, jedoch wurden ca. 70% der in menschlichen Astrozyten stark exprimierten Gene nur in geringem Maße auch in Astrozyten der Maus exprimiert. Zudem gibt es eine Reihe von Genen, die in humanen Astrozyten teils stark exprimiert sind, für die es jedoch keine orthologen Gene in der Maus gibt. Ergebnisse aus der Maus können die Situation im Menschen folglich nur unzureichend widerspiegeln; die Forschungsziele können daher nur unter Einsatz menschlicher Zellen erreicht werden.
Die Forschungsziele können voraussichtlich auch nicht unter Nutzung anderer als pluripotenter Stammzellen des Menschen erreicht werden. Astrozyten können zwar auch aus fötalen neuralen Stammzellen hergestellt werden, die aus abgetriebenen Föten stammen. Jedoch stehen diese nicht in der für die Durchführung des Forschungsvorhabens erforderlichen Menge, Qualität und Reproduzierbarkeit zur Verfügung. Dies trifft auch auf adulte neurale Stammzellen des Menschen zu, die zudem in vitro in nur geringem Ausmaß vermehrt werden können. Zudem sind diese Zellen den für die Projektdurchführung erforderlichen genetischen Veränderungen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht in gleicher Weise zugänglich wie pluripotente Stammzellen.
Die Forschungsziele lassen sich nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht unter Verwendung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) erreichen. Da spezifische Funktionen von Astrozyten für die Synapsenbildung und -funktion und die Effekte von singulären Nukleotid-Austauschen in potentiellen Autismus-Genen untersucht werden sollen, sind Zellen erforderlich, die einen möglichst ursprünglichen Charakter aufweisen. Diese Voraussetzung erfüllen hiPS-Zellen nicht in gleichem Maße wie hES-Zellen. hiPS-Zellen weisen gegebenenfalls Mutationen auf, die bereits in ihren somatischen Ursprungszellen vorhanden waren oder die im Prozess der Reprogrammierung erworben wurden.
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