152. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaber(in)
Herr Dr. Micha Drukker, Helmholtz Zentrum München GmbH
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H7 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H13 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H14 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- I3 (Technion, Israel Institute of Technology, Haifa, Israel)
- I4 (Technion, Israel Institute of Technology, Haifa, Israel)
- I6 (Technion, Israel Institute of Technology, Haifa, Israel)
- HUES6 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- HUES8 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- HUES9 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
Die Genehmigung gilt jeweils auch für Sub-Linien (z.B. für klonale Sub-Linien oder genetisch modifizierte Derivate) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten soll die Funktion von sog. langen nicht-codierenden RNAs (lncRNAs) und mit diesen assoziierten Proteinen beim Übergang humaner embryonaler Stammzellen (hES-Zellen) aus dem Stadium der naiven/geprägten Pluripotenz in frühe Differenzierungsstadien sowie bei der weiteren Entwicklung in verschiedene differenzierte Zelltypen untersucht werden. Dabei sollen zunächst sog. Paraspeckles untersucht werden, intra-nukleäre membranlose Organellen, die als wesentliches Strukturelement die lncRNA NEAT1 enthalten und die offenbar an wesentlichen Prozessen der posttranskriptionalen Expressionsregulation beteiligt sind. Dabei sollen Veränderungen in der Zahl der Paraspeckles bei der Differenzierung von hES-Zellen in verschiedene Zelltypen untersucht und auf diesem Wege jene Differenzierungsprozesse identifiziert werden, die mit einer besonders hohen Dynamik der Paraspeckles einhergehen. Anschließend sollen verschiedene genetische Veränderungen am NEAT1-Gen vorgenommen bzw. dessen Expression zu verschiedenen Zeitpunkten aus- und eingeschaltet und der Effekt auf Differenzierungsvorgänge sowie auf das Transkriptom und das Proteom der sich differenzierenden Zellen analysiert werden. Äquivalente Untersuchungen sollen bezüglich einer Reihe weiterer lncRNAs mit potentieller Funktion in der Differenzierung durchgeführt werden. Ferner sollen Wechselwirkungspartner von NEAT1 isoliert und identifiziert und auf diesem Wege ggf. die von NEAT1 regulierten Gene bestimmt werden. Zudem sollen auch Gene, die für die in Paraspeckles angereicherten Kernproteine codieren, in hES-Zellen funktional deletiert bzw. ihre Expression ausgeschaltet und die Effekte auf das Differenzierungsvermögen der hES-Zellen sowie auf das Transkriptom/Proteom der differenzierten Zellen überprüft werden. Weitere Arbeiten sind auf die Analyse der molekularen Zusammenhänge zwischen der Ausschaltung der Paraspeckles-Proteine, den Veränderungen im Transkriptom/Proteom und weiteren Veränderungen im Phänotyp der betreffenden Zellen gerichtet.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen dienen nach übereinstimmender Auffassung des Robert Koch-Institutes (RKI) und der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele im Rahmen der Grundlagenforschung.
Die Funktion der Paraspeckles ist nur unvollständig verstanden, ihnen wird jedoch eine wesentliche Funktion in einer Reihe grundlegender biologischer Prozesse zugeschrieben, wie z. B. bei der Differenzierung. Durch Untersuchung von Präsenz und Häufigkeit von Paraspeckles während der Differenzierung in spezifische humane Zelltypen soll ein entsprechender Zellatlas erstellt und dadurch ermittelt werden, zu welchen Zeitpunkten der Differenzierung menschlicher Zellen und in welchen (sich entwickelnden) Zelltypen Paraspeckles vermehrt auftreten und folglich eine entwicklungsbiologisch bedeutsame Funktion ausüben könnten, was die Grundlage für die weiteren geplanten Forschungsarbeiten ist.
Durch die genetische Veränderung funktional bedeutsamer Domänen von NEAT1 und die Untersuchung der Effekte auf die Anzahl der Paraspeckles, auf Pluripotenz, auf das Differenzierungsvermögen und auf die molekularen Eigenschaften, insbesondere auf das Transkriptom und Proteom, soll geklärt werden, ob und inwieweit die Aktivität von NEAT1 und, damit zusammenhängend, die Integrität der Paraspeckles für die Aufrechterhaltung der Pluripotenz bzw. für bestimmte Differenzierungsprozesse essentiell sind, welche Veränderungen die Hemmung oder Induktion der Expression des NEAT1-Gens bzw. die Abwesenheit von funktionalem NEAT1 zur Folge haben und welche Gene/Faktoren/Signalwege hiervon betroffen sind. Die angestrebte Identifizierung der intrazellulären Wechselwirkungspartner von NEAT1 im Stadium der Pluripotenz und während der Differenzierung soll Erkenntnisse über die Zusammensetzung/Struktur der Paraspeckles zu unterschiedlichen Zeitpunkten der Entwicklung und über die ggf. heterogenen Wechselwirkungen von NEAT1 während verschiedener Entwicklungsphasen menschlicher Zellen erbringen. Hierdurch sollen Erkenntnisse über Moleküle und Signalwege gewonnen werden, die durch ihre Wechselwirkung mit NEAT1 an der Regulation der Aufrechterhaltung von Pluripotenz und/oder an der Auslösung bzw. dem Fortgang der Differenzierung beteiligt sind. Dies lässt aller Voraussicht nach auch Rückschlüsse über frühe Entwicklungsprozesse in der menschlichen Embryogenese erwarten, die auf anderem Wege nicht zugänglich sind.
Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten soll auch die Funktion bestimmter RNA-bindender Paraspeckles-Proteine bestimmt werden. Da es sich bei einigen davon um maßgebliche Transkriptionsfaktoren handelt, wird gemutmaßt, dass ihre Sequestrierung in Paraspeckles durch NEAT1 einen Mechanismus der Regulation von Pluripotenz und Differenzierung darstellen könnte. Durch die u. a. vorgesehenen Manipulationen an den entsprechenden Genen lassen sich voraussichtlich Rückschlüsse auf die von Proteinen regulierten Gene und Signalwege ziehen. Durch vertiefte Untersuchung der targets dieser Proteine sollen zudem neue Erkenntnisse über die molekularen Mechanismen gewonnen werden, mittels derer die Paraspeckles-Proteine ihre Rolle während der Differenzierung ausüben, insbesondere über die durch sie regulierten Moleküle und Signalwege. Dies kann einen relevanten Beitrag zum Verständnis der Rolle der betreffenden Proteine auch während der Embryonalentwicklung des Menschen erbringen.
Da neben NEAT1 eine Reihe weiterer lncRNAs bekanntermaßen in die Aufrechterhaltung von Pluripotenz und in spezifische Differenzierungsprozesse involviert sind, sollen die beschriebenen Arbeiten auch auf diese lncRNAs ausgedehnt werden. Durch Veränderungen an den Genen dieser RNAs in hES-Zellen und die Untersuchung der Auswirkungen auf Pluripotenz und Differenzierungsvermögen sollen die bislang unvollständig verstandene Funktion dieser lncRNAs für spezifische Differenzierungsschritte beleuchtet und ihre targets ggf. identifiziert werden. Damit werden über Paraspeckles weit hinausgehende Erkenntnisse zur Funktion von lncRNAs und RNA-Protein-Komplexen bei der Aufrechterhaltung der Pluripotenz und bei der Differenzierung angestrebt, die das Verständnis von den molekularen Prozesse, die Selbsterneuerung und Differenzierung menschlicher Zellen steuern, erheblich erweitern können.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten vorgeklärt ist.
Die zentrale Fragestellung, die im Rahmen der Forschungsarbeiten beantwortet werden soll, bezieht sich auf die Funktionen spezifischer lncRNAs, RNA-bindender Proteine und von Paraspeckles bei der Aufrechterhaltung von Pluripotenz und bei der Differenzierung pluripotenter Stammzellen des Menschen. Die Struktur von Paraspeckles und deren Komponenten sind bereits seit einiger Zeit bekannt, und zur essentiellen Rolle von NEAT1 für die Etablierung der Paraspeckles liegt eine umfangreiche Literatur vor. Zur Beteiligung von NEAT1 und Paraspeckles an Prozessen der embryonalen Entwicklung liegen bereits Erkenntnisse aus Nagern vor. So wurde beispielsweise im Mausmodell gezeigt, das sich Paraspeckles in der frühen Entwicklung des Mausembryos (2- und 4-Zellstadium) bilden und dass die Regulation der frühen embryonalen Entwicklung in der Maus vor der Einnistung des Embryos das Zusammenspiel von Paraspeckles-Komponenten mit einer spezifischen Methyltransferase erfordert. Ferner wurde berichtet, dass der Übergang vom pluripotenten Stadium menschlicher Zellen in die Differenzierung vom Wechselspiel des Nukleinsäure-bindenden Protein TDP-43 und Paraspeckles abhängt. Zudem ist bekannt, dass die Entwicklung von hES-Zellen in stärker spezialisierte Zellen verschiedener Keimblätter mit einer massiven Zunahme der Präsenz von NEAT1 einhergeht. Auch zur Präsenz von anderen hier interessierenden lncRNAs in verschiedenen Typen von Stammzellen sowie über die Beteiligung dieser Transkripte an Differenzierungsprozessen liegen bereits Daten aus der Literatur vor. Die zum Einsatz kommenden Methoden, beispielsweise zur Differenzierung von hES-Zellen in die verschiedenen Vorläufer- und gewebespezifischen Zellen, zur genetischen Veränderung der hES-Zellen oder zur Analyse der Genexpression auf Protein- und DNA/RNA-Ebene, sind in der wissenschaftlichen Literatur vielfach beschrieben worden.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Im Mittelpunkt der beantragten Forschungsarbeiten steht die Untersuchung der Rolle von lncRNAs und Paraspeckles bei der Erhaltung der Pluripotenz und der Einleitung von Differenzierungsprozessen menschlicher Zellen. Da sich die molekularen Grundlagen der zellulären Pluripotenz zwischen verschiedenen Spezies teils maßgeblich unterscheiden, lassen sich die angestrebten Forschungsziele nicht unter Nutzung tierischer Zellen erreichen, insbesondere nicht unter Verwendung embryonaler Stammzellen der Maus. Vielmehr ist die Nutzung humaner Zellen erforderlich. Die Forschungsziele können ferner nur unter Verwendung pluripotenter Stammzellen des Menschen erreicht werden. Untersucht werden sollen Zellzustände und frühe Differenzierungsprozesse, die nicht-pluripotente humane Zellen wie somatische Stammzellen, fötale (Stamm)Zellen oder primäre Zellen bereits durchlaufen haben, so dass diese Zellarten für die Erreichung der Forschungsziele nicht genutzt werden können. Nach derzeitigem Kenntnisstand können die Forschungsziele auch nicht unter Verwendung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) erreicht werden. Da für die Funktion der hier zu untersuchenden lncRNAs in Differenzierungsprozessen ein Zusammenspiel mit dem Chromatin vermutet wird, sind Zellen erforderlich, die ein möglichst ursprüngliches Epigenom aufweisen. hiPS-Zellen weisen jedoch häufig Spuren des Epigenoms der somatischen Zellen auf, aus denen sie durch Reprogrammierung gewonnen wurden. Da im Forschungsvorhaben zudem gezielte genetische Veränderungen mit dem Ziel der Induktion eines spezifischen Phänotyps vorgenommen werden sollen, sind auch Zellen erforderlich, die bezüglich ihrer genetischen Eigenschaften möglichst ursprünglich sind. Auch in dieser Hinsicht sind hiPS-Zellen ggf. ungeeignet, da die neben genetischen Anomalitäten, die bereits in ihren somatischen Ursprungszellen bestehen können, ggf. auch reprogrammierungsbedingte Mutationen aufweisen, deren potentielle Effekte nach Möglichkeit ausgeschlossen werden müssen.
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