149. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaber
Frau Prof. Dr. Anne Grapin-Botton, Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG), Dresden
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HUES4 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- MEL-1 (Universität Melbourne, Australien)
- SA121 (Cellartis AB, Göteborg, Schweden)
Die Genehmigung gilt jeweils auch für Sub-Linien (z.B. für klonale Sub-Linien oder genetisch modifizierte Derivate) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten ist die Optimierung von Vorgehensweisen für die In-vitro-Gewinnung verschiedener pankreatischer Zelltypen, wobei ein besseres Verständnis über die molekularen Vorgänge gewonnen werden soll, die bei der Entwicklung pankreatischer Zellen des Menschen ablaufen. Dabei sollen in einem ersten Teilprojekt Vorgehensweisen für eine Xenogen-freie In-vitro-Vermehrung pankreatischer Vorläuferzellen unter 3D-Bedingungen entwickelt und optimiert werden. In diesem Zusammenhang sollen u. a. Bibliotheken niedermolekularer Substanzen bezüglich der Präsenz von Molekülen getestet werden, die die Proliferation pankreatischer Vorläuferzellen modulieren. Außerdem soll ein genetisches targeting auf der Grundlage von CRISPR/Cas durchgeführt werden, um an der Vorläuferproliferation beteiligte Transkriptionsfaktoren zu identifizieren. In einem zweiten Projektteil sollen dann Vorgehensweisen entwickelt und optimiert werden, mit denen die Vorläuferzellen effektiv in Richtung der verschiedenen pankreatischen Zelltypen differenziert werden können, insbesondere in endokrine (hormonproduzierende) Beta- und Alphazellen sowie in exokrine duktale und azinäre Zellen. In diesem Zusammenhang sollen die Transkriptome der sich in die verschiedenen pankreatischen Zelltypen differenzierenden Zellen mittels Einzelzell-Sequenzierung analysiert und durch Vergleich der Daten mit entsprechenden Datensätzen aus primären und fötalen menschlichen Pankreas-Zellen Signalwege entschlüsselt werden, die an der Entwicklung und Reifung des jeweiligen Zelltyps beteiligt sind. Zudem sollen Moleküle identifiziert werden, die die jeweiligen Signalwege modulieren können, und deren Wirkung auf die In-vitro-Entwicklung endokriner und exokriner pankreatischer Zellen soll überprüft werden. Die verschiedenen pankreatischen Zelltypen sollen im Rahmen eines dritten Teilprojektes dann in vitro und in vivo umfassend auf ihre Integrität und Funktionalität hin untersucht werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen dienen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele im Rahmen der Grundlagenforschung und können darüber hinaus zur Entwicklung neuer therapeutischer Verfahren zur Anwendung bei Menschen beitragen.
Ziel der beantragten Forschungsarbeiten ist es, ein umfassenderes Verständnis von den Prozessen zu gewinnen, die bei der Differenzierung in verschiedene pankreatische Zelltypen des Menschen ablaufen, und auf dieser Grundlage verbesserte Vorgehensweisen für die Gewinnung menschlicher pankreatischer Zellen aus pluripotenten Stammzellen zu entwickeln.
Im Rahmen des ersten Projektteils sollen zunächst die Vorgänge untersucht werden, die bei der Etablierung und Aufrechterhaltung pankreatischer Vorläuferzellen ablaufen, wobei eingangs Methoden für die Kultivierung unter dreidimensionalen (3D‑)Bedingungen etabliert und optimiert werden sollen. Auf diesem Weg lassen sich zum einen voraussichtlich deutlich größere Zellmengen gewinnen als mittels 2D-Kultur, was im Falle der Nutzung dieser Zellen als Ausgangsmaterial für klinisch einsetzbare Zell- und Gewebeprodukte bedeutsam ist. Darüber hinaus sind Erkenntnisse darüber zu erwarten, welche Genprodukte, Moleküle und Signalwege bei der Etablierung bzw. Aufrechterhaltung pankreatischer Vorläuferzellen eine Rolle spielen und wie diese Prozesse durch kleine Moleküle ggf. moduliert werden können. Dies kann zum Verständnis embryonaler Entwicklungsprozesse im Menschen beitragen und Grundlage für die Entwicklung verbesserter Vorgehensweisen für die In-vitro-Differenzierung und -Kultivierung pankreatischer Vorläuferzellen des Menschen sein.
Im zweiten und zentralen Projektteil des Forschungsvorhabens sollen aus hES-Zellen abgeleitete pankreatische Vorläuferzellen als Ausgangspunkt für die Gewinnung der verschiedenen Zelltypen des menschlichen Pankreas genutzt werden. Aus diesen Arbeiten werden Erkenntnisse über Moleküle und Signalwege erwartet, die an den jeweiligen Differenzierungsprozessen beteiligt sind, wodurch ein besseres Verständnis der Pankreasentwicklung im Menschen erlangt und die Grundlagen für verbesserte Vorgehensweisen für die In-vitro-Differenzierung pankreatischer Zellen gelegt werden. Dabei ist der Fokus des Interesses sowohl auf die verschiedenen (teils bislang nur wenig erforschten) Zelltypen des endokrinen Pankreas als auch auf die Zellen des exokrinen Pankreas gerichtet. Mit Ausnahme von Arbeiten zu Beta-Zellen gibt es derzeit nur relativ wenige Studien, in denen umfassend Auskunft über Mechanismen der Entwicklung der anderen pankreatischen Zelltypen im Menschen erlangt wurde, so dass hierzu erheblicher Forschungsbedarf besteht. Auf Grundlage der erwarteten Identifizierung von Molekülen, die den Differenzierungsprozess modulieren, sollen Signalwege und Gene bestimmt werden, die für den jeweiligen Differenzierungsprozess relevant sind und deren Beeinflussung die Differenzierung ggf. anstoßen oder verstärken kann. Insbesondere sollen, durch Vergleich von aus hES-Zellen gewonnenen mit primären pankreatischen Zellen, die molekularen Grundlagen derzeit bestehender Defizite in vitro gewonnener pankreatischer Zellen entschlüsselt werden, insbesondere für deren geringeren Reifegrad und die teils unzureichende Funktionalität. Aus den erwarteten Resultaten lassen sich voraussichtlich auch Schlussfolgerungen auf entsprechende Vorgänge bei der Bildung und Entwicklung des Pankreas im menschlichen Fötus ziehen, womit das Vorhaben auch von hoher entwicklungsbiologischer Relevanz ist. Zudem sollen die Erkenntnisse, die über die Entstehung der verschiedenen Zelltypen angestrebt werden, auch Grundlage für die Verbesserung bestehender bzw. für die Etablierung neuer Protokolle für die Differenzierung in den jeweiligen Zelltyp sein. Die Verfügbarkeit von effizienten Differenzierungsprotokollen ist eine Voraussetzung für die Entwicklung dringend benötigter Zellersatztherapien, beispielsweise für die Therapie des Diabetes mellitus.
Darüber hinaus soll das Forschungsvorhaben auch zur Bereitstellung von pankreatischen Zellmodellen beitragen, an denen künftig Entwicklungsstörungen und Erkrankungen des Pankreas hinsichtlich ihrer molekularen Ursachen untersucht werden können. Dies betrifft nicht nur molekulare Prozesse, die bei der Entstehung des Diabetes mellitus ablaufen, sondern beispielsweise auch Fragen nach zellulären Vorgängen bei der Entstehung pankreatischer Tumoren, insbesondere des Adenokarzinoms der Bauchspeicheldrüse, deren Klärung humane azinäre Zellen in einem dreidimensionalen Gewebemodell erfordert.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten vorgeklärt ist.
In der Vergangenheit wurden umfangreiche Studien in Maus-Föten bzw. unter Nutzung von aus murinen Föten gewonnenen pankreatischen Zellen durchgeführt, aus denen sich ein grundsätzliches Verständnis über die schrittweise Entwicklung des Pankreas und über die der Segregation der verschiedenen Zelltypen zugrundeliegenden Mechanismen ergeben hat. Die Rolle verschiedener Transkriptionsfaktoren und Signalwege für die Etablierung bestimmter Vorläuferzell-Populationen sowie für die Entwicklung spezialisierter Zelltypen wurde umfassend geklärt, häufig unter Nutzung entsprechender knock out-Mäuse, in denen durch Inaktivierung spezifischer Gene bzw. Signalwege die Bildung bestimmter Zellen während der Fötalentwicklung unterbunden wurde. Die Relevanz des auch hier interessierenden Wnt-Signalweges für die Segregation sich entodermal und pankreatisch differenzierender Vorläuferzell-Populationen wurde jüngst auch für das humane System bestätigt. Verfahren für die In-vitro-Proliferation von aus humanen ES-Zellen abgeleiteten pankreatischen Vorläuferzellen wurden bereits erarbeitet und publiziert. Die Differenzierung von humanen embryonalen Stammzellen in pankreatische Zellen, insbesondere in Insulin-produzierende Zellen, ist in zahlreichen Arbeiten vieler Gruppen umfassend untersucht worden, und die dafür erforderlichen Protokolle wurden in den letzten ca. zwölf Jahren stetig weiterentwickelt und verfeinert. Ergebnisse von Untersuchungen, in denen fötale pankreatische Zellen der Maus unter 3D-Bedingungen kultiviert und expandiert wurden, wurden von der Genehmigungsinhaberin selbst publiziert. Zudem liegen Studien vor, in denen die pankreatische Differenzierung von hES-Zellen unter 3D-Bedingungen erfolgte bzw. in denen pankreatische Organoide etabliert wurden.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Obwohl ein grundsätzliches Verständnis der Pankreasentwicklung durch zahlreiche Studien an tierischen Zellen und Zellmodellen, insbesondere der Maus, erlangt wurde, bestehen dennoch Unterschiede in der Größe, Entwicklung und Physiologie des Pankreas zwischen verschiedenen Spezies, insbesondere zwischen Maus und Mensch, so dass Ergebnisse aus dem Mausmodell nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen werden können. Es ist gerade Anliegen der hier genehmigten Forschungsarbeiten, molekulare Vorgänge aufzuklären, die in sich differenzierenden pankreatischen Zellen des Menschen ablaufen. Dabei soll auch zur Klärung der Frage beigetragen werden, ob und in welchem Maße die im sich entwickelnden Maus-Pankreas identifizierten Prozesse, die als grundsätzlich für die Pankreasentwicklung auch anderer Spezies angesehen werden, auch bei der Entwicklung menschlicher pankreatischer Zellen von Belang sind. Folglich werden zur Erreichung der Forschungsziele humane Zellen benötigt.
Die Erreichung der Forschungsziele ist auch durch Nutzung adulter Stammzellen des Menschen nicht möglich, weil hier auch Prozesse der frühen pankreatischen Differenzierung untersucht werden sollen, die diese Zellen bereits durchlaufen haben. Zudem gibt es keine Hinweise darauf, dass sich aus dem menschlichen Pankreas überhaupt adulte Stammzellen isolieren lassen, die in Kultur zu für die Projektdurchführung ausreichenden Zellmengen vermehrt und zu den verschiedenen pankreatischen Zelltypen differenziert werden könnten. Eine Erreichung der Forschungsziele durch Nutzung von Stammzellen aus abgetriebenen Föten, aus denen sich ggf. pankreatische Vorläuferzellen isolieren lassen, ist aufgrund von deren geringer Verfügbarkeit aller Voraussicht nach nicht möglich. Fragen nach den Eigenschaften und dem In-vitro-Differenzierungspotential fötaler pankreatischer Zellen des Menschen sind zudem noch weitgehend ungeklärt. Außerdem wären Zellen aus mehreren abgetriebenen Föten erforderlich, was aufgrund variierender und nicht reproduzierbarer Eigenschaften der jeweiligen Zellpräparation problematisch sein kann.
Die Erreichung der Forschungsziele ist nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht unter Verwendung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) möglich. Zwar wurden auch hiPS-Zellen bereits für die In-vitro-Differenzierung in pankreatische Zellen eingesetzt, jedoch haben hiPS-Zellen ein stark variierendes und teils geringeres pankreatisches Differenzierungspotential als hES-Zellen. Es ist auch nicht ausreichend geklärt, welche Konsequenzen die in manchen Studien beobachteten genetischen Veränderungen, die ggf. infolge des Reprogrammierungsprozesses in hiPS-Zellen auftreten können, und das für hiPS-Zellen postulierte epigenetische Gedächtnis für das pankreatische Differenzierungspotential von hiPS-Zellen haben. Auch im Hinblick auf eine künftig denkbare Verwendung der hier zu entwickelnden Vorgehensweisen zur Gewinnung klinisch nutzbarer Zellen wären die in hiPS-Zellen nicht auszuschließenden genetischen Veränderungen problematisch, da sie ein Sicherheitsrisiko für den Patienten darstellen können. Es ist daher folgerichtig, als Ausgangspunkt auch für die Forschung bereits Zellen zu nutzen, die in der genannten Hinsicht weniger risikobehaftet sind.
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