147. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaber
Herr Dr. Leo Kurian, Universität Köln
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HUES 6 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
Die Genehmigung gilt jeweils auch für Sub-Linien (z.B. für klonale Sub-Linien oder genetisch modifizierte Derivate) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten ist die Untersuchung der Rolle von fünf RNA-bindenden Proteinen (RBP), deren Produktion während der Differenzierung zu kardialen Zellen erheblichen Veränderungen unterliegen, bei der Regulation der Translation in hES-Zellen sowie während der (frühen) Differenzierung embryonaler Stammzellen. Dabei soll zunächst die Assoziation der betreffenden RBP mit Ribosomen als Maß für deren Involvierung in den Translationsprozess unter Standard- und Streß-Bedingungen in hES-Zellen untersucht und die subzelluläre Lokalisation der RBP ermittelt werden. Zudem sollen Interaktionspartner auf Protein- und RNA-Ebene identifiziert und Veränderungen in diesen Interaktionen bei der Differenzierung, insbesondere in die kardiale Linie, analysiert werden. Ferner sollen die Gene, die für die betreffenden RBP codieren, in hES-Zellen funktional ausgeschaltet und mögliche Effekte auf die Pluripotenz der Zellen sowie auf ihr Transkriptom und Proteom bestimmt werden. Zudem soll überprüft werden, ob und inwieweit die Differenzierung der so veränderten Zellen in Zellen verschiedener Keimblätter ggf. beeinträchtigt ist. Schließlich ist geplant, die Gene, die für die mit den oben genannten RBP in Wechselwirkung stehenden RNAs codieren, in hES-Zellen auszuschalten und die Effekte eines solchen knock out auf Pluripotenz und Differenzierungsverhalten umfassend zu untersuchen.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen dienen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) der Erreichung hochrangiger Forschungsziele im Rahmen der Grundlagenforschung.
RNA-bindende Proteine (RBP) sind in erheblichem Maße an der posttranskriptionalen Regulation der Genexpression beteiligt, beispielsweise an der Stabilisierung spezifischer RNA-Spezies, am intrazellulären RNA-Transport, am Splicing oder an der Proteinbiosynthese. Obwohl bereits zahlreiche RBP beschrieben wurden, sind ihre Wechselwirkungen mit spezifischen RNAs in der Zelle und ihre häufig kontextabhängigen Funktionen, beispielsweise in Differenzierungs- und Entwicklungsprozessen, nur unzureichend verstanden. Für pluripotente Stammzellen des Menschen besteht derzeit ein nur unvollständiges Verständnis darüber, welche Rolle die posttranskriptionale Regulation für bei der Aufrechterhaltung der Pluripotenz sowie bei der Auslösung von Differenzierungsprozessen spielt, und die Funktionen von RBP sind hier bislang nur wenig untersucht worden.
Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten soll zunächst überprüft werden, ob die hier interessierenden fünf RBP in hES-Zellen mit Ribosomen assoziiert sind und folglich möglicherweise eine Rolle beim mRNA-Transport und/oder bei der Regulation der Proteinbiosynthese spielen. In diesem Zusammenhang soll auch die exakte intrazelluläre Lokalisierung der Proteine bestimmt werden. Danach sollen unter Nutzung gängiger Techniken Proteine und RNAs identifiziert werden, die mit den jeweiligen RBP in der Zelle (physisch) interagieren. Die Identifikation von Wechselwirkungspartnern der jeweiligen RBP kann, bei Kenntnis der Funktionen der jeweils als Wechselwirkungspartner identifizierten Proteine/RNAs, bereits Rückschlüsse auf Signalwege und/oder Prozesse zulassen, an denen das entsprechende RBP beteiligt ist. Die anschließend vorgesehene Analyse von Veränderungen im Spektrum der Wechselwirkungspartner bei Differenzierung der hES-Zellen in die kardiale Linie wird aller Voraussicht nach Erkenntnisse darüber ermöglichen, ob und inwieweit die jeweilige Interaktion von spezifischer Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Pluripotenz humaner Zellen bzw. für die Entwicklung (früher) kardialer Zellen ist oder ob durch die betreffenden Interaktionen möglicherweise andere Funktionen der Zelle reguliert werden, die nicht für ein bestimmtes Entwicklungsstadium spezifisch sind.
Ferner soll in hES-Zellen ein knock out der Gene erfolgen, die für die hier interessierenden RBP codieren, und mögliche Veränderungen in den Eigenschaften der pluripotenten Stammzellen sowie in aus ihnen differenzierten Zellen aller drei Keimblätter bestimmt werden. Auch hieraus werden sich voraussichtlich Erkenntnisse darüber ergeben, ob und inwieweit das jeweilige RBP an der Aufrechterhaltung der Pluripotenz, an der Differenzierung in Zellen einer bestimmten embryonalen Linie oder aber an der Gewährleistung von zellulären Eigenschaften und Funktionen beteiligt ist, die unabhängig vom Differenzierungs- oder Entwicklungsstadium der Zellen sind.
Schließlich sollen, nach Identifikation von mit den jeweiligen RBP in Wechselwirkung stehenden RNAs („Ziel-RNAs“), die Gene dieser Ziel-RNAs ausgeschaltet und die Effekte auf hES-Zellen, auf ihre Differenzierung in verschiedene Zelltypen sowie auf die Eigenschaften der differenzierten Zellen analysiert werden. Es wird erwartet, dass infolge des knock out der Ziel-RNAs auch das entsprechende RBP seine Funktion ggf. nicht länger wahrnehmen kann, was ggf. zu Veränderungen in den betreffenden Zellen führen kann. Hierdurch können zum einen die möglichen Funktionen des jeweils untersuchten RBP weiter verifiziert werden; zum anderen können sich Erkenntnisse auch über die Funktionen der Ziel-RNAs in der posttranskriptionalen Regulation der Genexpression ergeben.
Die geplanten Forschungsarbeiten können bei erfolgreicher Durchführung somit dazu beitragen, die Rolle spezifischer RBP bei der Aufrechterhaltung von Pluripotenz bzw. bei Differenzierung embryonaler Stammzellen in verschiedene menschliche Zelltypen besser als bislang zu verstehen. Aus diesen Erkenntnissen lassen sich voraussichtlich Rückschlüsse auf Moleküle, Signalwege und Vorgänge ziehen, die auch während der frühen Embryonalentwicklung des Menschen eine Rolle spielen, was einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Entwicklungsbiologie des Menschen leisten kann.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten hinreichend vorgeklärt ist.
Die Tatsache, dass RBP eine erhebliche Rolle bei der Etablierung bzw. Aufrechterhaltung des pluripotenten Zustands, bei der Regulation von Entwicklungs- und Differenzierungsprozessen sowie auch bei der Pathogenese bestimmter Erkrankungen spielen, ist in der Literatur gut belegt. So wurde beispielsweise für Zellen der Maus gezeigt, dass eines der im Rahmen der beantragten Forschungsarbeiten zu untersuchenden RBP ein verändertes alternatives splicing während der Etablierung von iPS-Zellen bewirkt. Dasselbe Protein bindet in ES-Zellen der Maus den Pluripotenzfaktor Nanog und ist auf diese Weise vermutlich in die Regulation von Nanog und ggf. an der Etablierung/Aufrechterhaltung der Pluripotenz von ES-Zellen der Maus beteiligt. Ferner wurde gezeigt, dass die Expression dieses Gens während der Epithelialen-Mesenchymalen Transition (EMT) stark vermindert wird, was zu einem veränderten splicing zahlreicher Transkripte während der EMT führt. Eine spezifische Isoform eines weiteren der hier interessierenden RBP ist an der Aufrechterhaltung des proliferativen Zustands neuraler muriner Stammzellen beteiligt, während die Expression des Gens im Zuge der weiteren neuralen Differenzierung stark abnimmt. Dasselbe Protein ist zudem ein positiver Regulator der Entwicklung endothelialer Zellen aus pluripotenten Stammzellen der Maus, während die Differenzierung muriner ES-Zellen in Richtung glatter Muskelzellen durch eine andere Isoform des Proteins gehemmt wird. Ein weiteres der hier genauer zu analysierenden RBP ist an der Regulation der Entwicklung glatter Muskelzellen beteiligt. Die RBP, deren Rolle im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten nunmehr im menschlichen System näher charakterisiert werden soll, sind im murinen System von erheblicher entwicklungsbiologischer Relevanz.
Die geplanten experimentellen Vorgehensweisen, beispielsweise zur Bestimmung der Wechselwirkung der RBP mit Ribosomen, zur Bestimmung von deren subzellulärer Lokalisation oder zur genetischen Veränderung von hES-Zellen sind vielfach erprobt und in der Literatur publiziert. Das Vorgehen bei der Identifizierung von Ziel-RNAs der RBP bzw. von Proteinen, die mit RBP in Wechselwirkung stehen, ist ebenfalls bereits zur Identifizierung von mit RBP in Wechselwirkung stehenden RNAs/Proteinen genutzt worden, wobei die entsprechenden Ergebnisse, wie auch im Rahmen der beantragten Arbeiten geplant, durch den knock out der entsprechenden Gene verifiziert werden konnten.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Ziel der beantragten Forschungsarbeiten ist die Entschlüsselung der Rolle von fünf RBP bei der Aufrechterhaltung der Pluripotenz und bei der frühen Differenzierung. Die molekularen Grundlagen der zellulären Pluripotenz unterscheiden sich aber zwischen verschiedenen Spezies erheblich, so dass die Erreichung der Forschungsziele die Nutzung humaner Zellen erfordert.
Die Forschungsziele können nicht unter Nutzung anderer als humaner pluripotenter Stammzellen erreicht werden. Erforscht werden soll u. a., ob und auf welche Weise die Präsenz von spezifischen RBPs die (frühe) Differenzierung von pluripotenten Stammzellen in Derivate aller Keimblätter beeinflusst und welche spezifischen Funktionen diese RBPs in den entsprechenden Differenzierungsprozessen haben. Andere als pluripotente Stammzellen (beispielsweise somatische Zellen und Stammzellen, fötale Stammzellen etc.) haben aber, soweit sie überhaupt in für die Projektdurchführung erforderlicher Menge und Qualität verfügbar sind, die hier interessierenden Differenzierungsprozesse bereits durchlaufen und können daher zur Erreichung der Forschungsziele nicht genutzt werden.
Die Forschungsziele können nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht unter Verwendung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) erreicht werden. Hinsichtlich der Expression RBP-codierender Gene bestehen deutliche Unterschiede zwischen hES- und hiPS-Zellen. Da aus den Ergebnissen der Forschungsarbeiten auch Rückschlüsse auf die Rolle der betreffenden RBP in frühen Entwicklungs- und Differenzierungsprozessen des Menschen gezogen werden sollen, ist aber die Nutzung eines möglichst authentischen Zellmaterials erforderlich, das der Situation im frühen menschlichen Embryo möglichst nahekommt und keine Unwägbarkeiten aufweist (beispielsweise somatische Mutationen im Ausgangsmaterial; während der Reprogrammierung erworbene Mutationen; unvollständig reprogrammiertes Epigenom infolge suboptimaler Reprogrammierungsbedingungen etc.). Zudem hat der Genehmigungsinhaber Daten vorgelegt, nach denen die (für die Projektdurchführung erforderliche) Induktion von Mesoderm in hiPS-Zellen verschiedener Linien deutlich weniger effektiv war als in hES-Zellen. Ferner war auch die in hiPS-Zellen beobachtete Zugänglichkeit für genetische Veränderungen deutlich geringer als in hES-Zellen.
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