127. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaber(in)
Frau Dr. Sabina Tahirovic, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, München
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linie:
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linie.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten soll die Funktion von Genen untersucht werden, deren Produkte für die Funktion von Monozyten und Mikroglia bei degenerativen Prozessen im Zentralnervensystem relevant sind, wie sie insbesondere bei Morbus Alzheimer auftreten. Dafür soll zunächst ein In-vitro-Testsystem etabliert werden, in dem aus humanen ES-Zellen abgeleitete Mikroglia-Zellen mit Hirnschnitten aus Mausmodellen für Morbus Alzheimer konfrontiert und der Abbau von β-Amyloid-Plaques (Aβ-Plaques) verfolgt werden kann. Anhand dieses Zellmodells sollen auch die Effekte von Mutationen in bestimmten Genen analysiert werden, die essentiell für die Funktion von Monozyten und Mikroglia-Zellen beim Abbau von Aβ-Plaques sind. Dazu sollen die entsprechenden Gene in hES-Zellen mutiert bzw. funktional deletiert, die hES-Zellen in Monozyten und Mikroglia-Zellen differenziert und die differenzierten Zellen dann umfassend untersucht werden. Neben dem Transkriptom und Proteom soll dabei insbesondere die Funktionalität der differenzierten Zellen in dem benannten In-situ-Modell für den Aβ-Plaque-Abbau bei Morbus Alzheimer untersucht und daraus ggf. Schlüsse darauf gezogen werden, ob die entsprechenden Genprodukte für die Funktionalität von Monozyten und Mikroglia-Zellen relevant sind. Die Untersuchungen sollen auch im Vergleich mit hiPS-Zellen erfolgen, die aus Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen und Mutationen in entsprechenden Genen gewonnen werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) hochrangigen Forschungszielen in der Grundlagenforschung, die ggf. auch für die Entwicklung neuer therapeutischer Verfahren zur Anwendung beim Menschen von Relevanz sein können. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Die Alzheimer-Erkrankung ist in histologischer Hinsicht u. a. durch die extrazelluläre Ablagerung von Amyloid (Aβ-Peptiden) und der damit verbundenen Entstehung von Plaques gekennzeichnet. Die Rolle von Mikrogliazellen für die Pathogenese der Alzheimer-Erkrankung ist gegenwärtig nicht vollständig verstanden. Zum einen ist die Aktivierung der Mikroglia mit einer Verstärkung neuroinflammatorischer Prozesse assoziiert, zum anderen besitzen Mikroglia-Zellen die Kapazität zum Abbau von Aβ-Plaques. Ein vertieftes Verständnis des Beitrages der Mikroglia zur Eliminierung von Aβ-Plaques, der zugrundeliegenden molekularen Prozesse sowie der möglichen Beeinträchtigung der Mikroglia-Funktionen beispielsweise durch Mutationen in bestimmten Genen ist daher für das Verständnis der Pathogenese des Morbus Alzheimer und für die Entwicklung von Therapieansätzen von erheblicher Relevanz.
Das Forschungsvorhaben zielt zunächst auf die Etablierung eines In-vitro-Systems, mit dem die Funktion spezifischer Genprodukte für den Abbau von Aβ-Plaques und damit für die Funktion myeloider Zellen bei Morbus Alzheimer eruiert werden können. Dafür sollen aus hES-Zellen gewonnene Monozyten und Mikroglia-Zellen genutzt werden, die in ein In-situ-Modell aus organotypischen (Aβ-Plaque-tragenden) Hirnschnitten von Alzheimer-Mäusen eingebracht werden. Dies soll die Bewertung der Effektivität des Abbaus von Aβ-Plaques erlauben. Ein solches Gewebemodell zur Untersuchung der Funktion spezifisch humaner Mikroglia ist derzeit nicht verfügbar und könnte – außer zur Untersuchung der hier aufgeworfenen Fragestellungen – auch für die Klärung weiterer Forschungsfragen von Interesse sein.
Zentraler Gegenstand der Forschungsarbeiten ist die Untersuchung der Effekte von Mutationen in Genen, deren Produkte für die Funktion mikroglialer Zellen bei neurodegenerativen Erkrankungen erheblich sind, auf die Eigenschaften der Mikroglia. Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht hier ein Gen, das mit Morbus Alzheimer assoziiert ist und das hier in hES-Zellen mutiert bzw. ausgeschaltet werden soll. Die Differenzierung so mutierter Zellen in Mikroglia und deren molekulare Analyse soll zur Identifizierung von Genen führen, deren Expression infolge des Gendefekts ebenfalls verändert ist, und die Bestimmung jener Signalwege ermöglichen, die durch die Bindung von Liganden an bestimmte Zielproteine aktiviert bzw. moduliert werden. Zudem sollen die Konsequenzen spezifischer Mutationen in bestimmten Genen für die Funktion von Mikrogliazellen insbesondere bei der Phagozytose von Aβ-Plaques ermittelt werden. Dies könnte es ermöglichen, Mutationen mit spezifischen pathophysiologischen Ereignissen bei Morbus Alzheimer zu korrelieren, die Pathophysiologie der Erkrankung besser als bislang zu verstehen und ggf. Angriffspunkte für neue Therapien zu identifizieren. Diese Untersuchungen sollen in der Folge auch auf weitere Gene ausgedehnt werden, deren Produkte für die Phagozytose-Aktivität von Mikrogliazellen relevant sind.
Die geplanten Arbeiten können insgesamt zu einem besseren Verständnis der zellbiologischen und molekularen Prozesse beitragen, die bei der Phagozytose von Aβ-Plaques durch Mikroglia-Zellen ablaufen. Sie können ferner dazu beitragen, die Funktion spezifischer Genprodukte in diesem Prozess zu identifizieren, funktionelle Konsequenzen von Mutationen in diesen Genen zu bewerten und ggf. Grundlagen für neue Therapien insbesondere des Morbus Alzheimer zu schaffen.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt ist.
Die zentrale Forschungsfrage bezieht sich auf den Einfluss von Mutationen in Genen, deren Produkte für die Funktion von Mikroglia-Zellen (mutmaßlich) relevant sind, auf die funktionalen Eigenschaften von Mikroglia-Zellen, wie beispielsweise auf den Abbau von Aβ-Plaques durch Phagozytose.
Insbesondere zu den Funktionen bestimmter Genprodukte für die Homöostase des Zentralnervensystems und ihrer Rolle bei neurodegenerativen und neurologischen Erkrankungen liegt eine breite Literatur vor. Solche Genprodukte sind demnach in die Regulation zahlreicher Signalwege in Mikroglia-Zellen involviert, die bei inflammatorischen Reaktionen eine Rolle spielen. In Mausmodellen für Morbus Alzheimer führt der Verlust entsprechender Genaktivitäten zu teils deutlichen Effekten, die beispielsweise von einer verminderten Anzahl an Mikroglia-Zellen in der Umgebung von Aβ-Plaques bis hin zur Zunahme der Aβ-Plaques reichen. Zudem können entsprechende Genprodukte das Überleben mikroglialer Zellen fördern. Im Menschen sind Mutationen in diesen Genen mit einer erhöhten Prädisposition für Morbus Alzheimer assoziiert. Protokolle für die effektive Gewinnung von Mikroglia-Zellen aus hES-Zellen sind seit kurzem verfügbar und wurden in der wissenschaftlichen Literatur publiziert. Das In-situ-Modell, in dem die Phagozytose von Aβ-Plaques beobachtet werden soll, wurde von der Genehmigungsinhaberin bereits erfolgreich zur Untersuchung der Effektivität des Aβ-Plaque-Abbaus durch primäre Mikroglia-Zellen aus Mäusen eingesetzt.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Die Erreichung der Forschungsziele erfordert die Verwendung menschlicher Zellen. Im Antragsverfahren wurde umfassend dargelegt, dass – obwohl die bisherigen Kenntnisse zur Funktion inflammatorischer Gene überwiegend aus Mausmodellen und Mauszellen stammen – erhebliche Unterschiede in der Biologie der Mikroglia zwischen verschiedenen Spezies bestehen, beispielsweise in Hinblick auf das Genexpressionsprofil sowie auf pharmakologische Eigenschaften. Zudem sind identische Mutationen in bestimmten Genen in beiden Spezies mit teils unterschiedlich ausgeprägten Effekten verbunden. Auch andere menschliche Zellen als pluripotente Stammzellen können zur Klärung der Forschungsfragen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht genutzt werden. So sind derzeit keine permanenten Zell-Linien verfügbar, die authentische Mikroglia-Signaturen aufweisen. Mikroglia-Zellen leiten sich von Vorläuferzellen des Dottersacks ab, die das Gehirn bereits frühzeitig besiedeln und für die Ausprägung ihrer spezifischen Eigenschaften der zerebralen Nische bedürfen: Isolation und Kultivierung von Mikroglia führen zu einer rapiden Veränderung des Transkriptoms der in Kultur genommenen Zellen, so das auch die Verwendung primären Materials (beispielsweise aus Autopsien) oder fötaler Zellen für die Beantwortung der Forschungsfrage nicht möglich ist. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand liegen auch keine ausreichenden Hinweise darauf vor, dass sich die Forschungsziele unter Nutzung humaner induzierter pluripotenter Stammzellen (hiPS-Zellen) erreichen ließen. Ziel der Forschungsarbeiten ist die Bestimmung der Effekte von spezifischen Mutationen für die Funktion mikroglialer Zellen. Diese Untersuchungen müssen, um die Effekte der jeweiligen Mutation eingrenzen zu können, vor einem isogenen Hintergrund erfolgen. Folglich sind hiPS-Zellen aus Patienten, die die jeweilige Mutation tragen, zur Erreichung der Forschungsziele nicht geeignet. Auch Wildtyp-hiPS-Zellen haben, im Gegensatz zu hES-Zellen, aufgrund ihrer Ableitung aus somatischen Zellen bereits diverse Mutationen angereichert; hinzukommen Mutationen, die durch den Reprogrammierungsprozess offenbar regelmäßig erworben werden. Die Erreichung der Forschungsziele erfordert die Verwendung von hES-Zellen.
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