117. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
Erteilt am 01.12.2016. Genehmigung erweitert am 06.06.2016 und 30.01.2023 (siehe 2.)
1. Genehmigungsinhaber(in)
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H7 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H13 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H14 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- hESBGN-01 (BresaGen Inc., Athens, GA, USA)
- HS181 (Karolinska-Institute, Stockholm, Schweden)
- HS401 (Karolinska-Institute, Stockholm, Schweden)
- HS415 (Karolinska-Institute, Stockholm, Schweden)
- I3 (Technion ‒ Israel Institute of Technology, Haifa, Israel)
- I4 (Technion ‒ Israel Institute of Technology, Haifa, Israel)
- I6 (Technion ‒ Israel Institute of Technology, Haifa, Israel)
Im Rahmen der Erweiterung der Genehmigungen vom 06.06.2017 und 30.01.2023 wurden zur Durchführung der unten benannten Forschungsarbeiten die Einfuhr und Verwendung humaner embryonaler Stammzellen der folgenden weiteren Linien genehmigt:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HUES2 (Harvard University, Cambridge, MA,USA)
- HUES3 (Harvard University, Cambridge, MA,USA)
- HUES4 (Harvard University, Cambridge, MA,USA)
- HUES6 (Harvard University, Cambridge, MA,USA)
- HUES9 (Harvard University, Cambridge, MA,USA)
- HUES14 (Harvard University, Cambridge, MA,USA)
- SA01 (Cellartis AB, Göteborg, Schweden)
Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Gegenstand der genehmigten Arbeiten ist die Untersuchung der Rolle genetischer Faktoren bei der Entstehung von psychiatrischen Erkrankungen auf zellulärer Ebene. Hierfür sollen in hES-Zellen Mutationen erzeugt werden, die (potentiell) mit psychiatrischen Erkrankungen wie Schizophrenie und Autismus-Spektrum-Erkrankungen einhergehen. Die mutierten hES-Zellen sollen in verschiedene Typen neuraler Zellen differenziert und diese – im Vergleich mit aus Wildtyp-hES-Zellen differenzierten neuralen Zellen – umfassend auf den Ebenen des Transkriptoms, des Epigenoms und des (Phospho)Proteoms sowie in Bezug auf ihre morphologischen, biochemischen, elektrophysiologischen und pharmakologischen Eigenschaften charakterisiert werden. Zudem soll die Entstehung krankheitsspezifischer Phänotypen auch auf dem Wege einer pharmakologischen Stimulation hES-Zell-abgeleiteter Neurone unterstützt werden. Aus hES-Zellen differenzierte Neurone sollen schließlich in Nager transplantiert und die Zellen zu verschiedenen Zeitpunkten nach der Transplantation umfassend charakterisiert werden. Die Versuche sollen auch vergleichend mit (krankheitsspezifischen) hiPS-Zellen durchgeführt werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn für die Grundlagenforschung. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Zentrales Ziel der beantragten Forschungsarbeiten ist die Gewinnung eines vertieften Verständnisses darüber, auf welche Weise genetische Risikofaktoren die Entstehung und Entwicklung psychiatrischer Erkrankungen auf zellulärer Ebene beeinflussen, in welchen Typen neuraler Zellen die Mutation bestimmter Gene zu phänotypischen Änderungen führt und welche konkreten Veränderungen in den jeweils betroffenen neuralen Zellen infolge bestimmter Mutationen auftreten.
Die spezifischen Konsequenzen singulärer genetischer Veränderungen, die mit dem Auftreten psychiatrischer Erkrankungen wie bipolaren Störungen, Schizophrenie oder Autismus assoziiert sind, sind auf zellbiologischer und zellphysiologischer Ebene nur unvollständig verstanden. Gegenstand der genehmigten Forschungsarbeiten ist es, mögliche phänotypische Veränderungen infolge solcher (krankheitsassoziierter) Mutationen in bestimmten neuronalen und glialen Zellen des Zentralnervensystems zu bestimmen. Zudem soll untersucht werden, welche neuralen Zelltypen infolge spezifischer Mutationen in ihren Eigenschaften und in ihrer Entwicklung beeinträchtigt sind. Dies kann ggf. Rückschlüsse auf den Effekt singulärer genetischer Veränderungen auf die Ausbildung oder Ausprägung eines zellulären Phänotyps zulassen, der für die jeweils interessierende Erkrankung ursächlich ist und damit ggf. zum Verständnis der mit der entsprechenden Mutation assoziierten Erkrankung beitragen. Angesichts der Tatsache, dass gerade im Falle von Schizophrenie und Autismus-Spektrum-Störungen eine Vielzahl verschiedener Mutationen dokumentiert wurde, deren Rolle für die Entstehung und Entwicklung der Erkrankung nicht bekannt ist, könnten auf Grundlage der hier geplanten Arbeiten künftig auch Verfahren entwickelt werden, die zur Analyse der Effekte zahlreicher verschiedener Mutationen im Hochdurchsatzverfahren genutzt werden könnten.
Ein erhebliches Problem bei der Analyse genetischer Risikofaktoren für psychiatrische Erkrankungen besteht in der hohen Komplexität der in die Ausprägung des jeweiligen Krankheitsbildes involvierten Faktoren sowie in der Schwierigkeit, den spezifischen Effekt isolierter genetischer Faktoren identifizieren zu können. Die hier vorgesehenen Analysen sollen zum einen vor dem Hintergrund isogener embryonaler Stammzellen erfolgen und haben daher das Potential, gezielt den Effekt der jeweils vorgenommenen genetischen Veränderung punktgenau bestimmen und den mit der psychiatrischen Erkrankung in Zusammenhang stehenden genetischen Risikofaktor mit spezifischen zellulären Phänotypen korrelieren zu können. Die nunmehr zur Verfügung stehenden Methoden zur genetischen Veränderung embryonaler Stammzellen, insbesondere das CRISPR/Cas-Verfahren, bieten zum anderen die Möglichkeit, mehrere spezifische genetische Veränderungen in ein- und derselben Zelle vornehmen und auf diesem Weg auch kumulative Effekte mehrerer genetischer Veränderungen auf zelluläre Phänotypen bestimmen zu können. Auf diesem Wege können möglicherweise Erkenntnisse auch über das Zusammenspiel polygener Veränderungen bei der Ausprägung eines pathologischen Phänotyps in betroffenen neuralen Zellen bei psychiatrischen Erkrankungen ermittelt werden, was ebenfalls zur Bewertung der Rolle genetischer Risikofaktoren bei der Entstehung psychiatrischer Erkrankungen beitragen könnte.
Die genehmigten Arbeiten haben darüber hinaus das Potential, zur Entwicklung von Zellmodellen beitragen zu können, in denen bestimmte Aspekte psychiatrischer Erkrankungen auf zellulärer und molekularer Ebene reproduzierbar abgebildet werden können. Derartige Zellmodelle sind sowohl für die weitere Erforschung der molekularen Grundlagen der jeweiligen Erkrankung als auch zur Entwicklung neuartiger therapeutischer Strategien von erheblichem Interesse.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt ist.
Die Assoziation psychiatrischer Erkrankungen mit einer Vielzahl genetischer Veränderungen ist für viele dieser Erkrankungen gut belegt. Zudem existiert eine große Zahl an Tiermodellen, in denen beispielsweise mit Schizophrenie oder Autismus assoziierte Gene funktional deletiert wurden. Solche Modelle können verschiedene pathologische Merkmale der jeweiligen Erkrankung auf neurophysiologischer, neuroanantomischer und auf Verhaltensebene widerspiegeln, allerdings ist die Aussagekraft muriner Tier- und Zellmodelle wegen verschiedener molekularer Konsequenzen bestimmter Mutationen in Maus und Mensch beschränkt. Forschungsfragen, wie sie im Rahmen der beantragten Arbeiten untersucht werden sollen, wurden von verschiedenen Forschergruppen bereits unter Nutzung von hES-Zellen untersucht. Eine in hES-Zellen erzeugte Haploinsuffizienz des SHANK3-Gens, das u. a. mit Autimus-Spektrum-Störungen assoziiert ist, und die Differenzierung dieser Zellen zu Neuronen führte beispielsweise zu Zellen mit erheblich veränderten elektrophysiologischen Eigenschaften. Die konditionale Deletion des Gens für NRXN1, das für ein präsynaptisches Adhäsionsmolekül codiert und für das eine starke Assoziation mit Schizophrenie und Autismus-Spektrum-Störungen bekannt ist, bewirkte in aus entsprechend mutierten hES-Zellen abgeleiteten Neuronen u. a. eine veränderte Neurotransmitterfreisetzung und erhebliche elektrophysiologische Veränderungen. Dies belegt hinreichend, dass die von der Genehmigungsinhaberin geplanten Vorgehensweisen geeignet sind, die funktionellen Konsequenzen definierter Mutationen in mit psychiatrischen Erkrankungen assoziierten Genen auf zellulärer Ebene aufzuklären und auf diesem Wege einen Beitrag zum Verständnis der der jeweiligen Krankheit zugrundeliegenden Pathogenese-Mechanismen zu leisten.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Die Erreichung der Forschungsziele erfordert die Verwendung menschlicher Zellen. Zwar existieren, wie oben beschrieben, gut etablierte und auf tierischen Zellen basierende Zellmodelle sowie Tiermodelle für verschiedene psychiatrische Erkrankungen; insgesamt bleiben die aus diesen Modellen gewonnenen Erkenntnisse zur Ätiologie psychiatrischer Erkrankungen jedoch lückenhaft, da jedes einzelne Modell nur einen spezifischen Teilaspekt der Erkrankung abbilden kann. Andere humane Zellen als pluripotente Stammzellen sind nach gegenwärtigem Kenntnisstand ebenfalls nicht geeignet, um das Forschungsziel zu erreichen. Fötale humane neurale Stammzellen, die aus abgetriebenen Föten gewonnen werden können, sind nach derzeitigem Kenntnisstand kein geeignetes Ausgangsmaterial, um alle hier benötigten neuralen Zelltypen in reproduzierbarer Qualität und ausreichender Quantität ableiten zu können. Zudem ist die Genom-Editierung und Etablierung genetisch stabil veränderter Zellen aufgrund des eingeschränkten Proliferationspotentials fötaler Zellen des Menschen nicht standardisiert durchführbar. Immortalisierte humane neurale Zellen können aufgrund ihres transformierten genetischen Hintergrundes, der mit der zu untersuchenden genetischen Veränderung interferieren könnte, sowie wegen ihres im Vergleich zu hES-Zellen geringeren Potentials, sich in die hier erforderlichen neuronalen und glialen Zelltypen differenzieren zu lassen, aller Voraussicht nach ebenfalls nicht zur Erreichung der Forschungsziele verwenden.
Im Antragsverfahren wurde umfangreich dargelegt, warum die Forschungsziele voraussichtlich auch nicht unter Verwendung humaner induzierter pluripotenter Stammzellen (hiPS-Zellen) erreicht werden können. Patientenspezifische hiPS-Zellen wurden in der Vergangenheit zwar zur Modellierung psychiatrischer Erkrankungen genutzt, insbesondere von Schizophrenien und Autismus-Spektrum-Störungen. Isolierte Effekte von in den jeweiligen hiPS-Zell-Linien vorliegenden Mutationen können allerdings unter Nutzung patientenspezifischer hiPS-Zellen nicht erfasst werden. Dies erfordert einen isogenen Hintergrund, was die Nutzung von Wildtyp-hiPS-Zellen aus (vermeintlich) gesunden Patienten erforderlich machen würde. Deren Nutzung ist jedoch – im Unterschied zu hES-Zellen – mit Unwägbarkeiten verbunden. So weisen hiPS-Zellen von verschiedenen Spendern, aber auch vom selben Spender, teils erhebliche Unterschiede in ihren Eigenschaften auf. Diese können bei verschiedenen Spendern durch den jeweils unterschiedlichen genetischen Hintergrund oder das Alter des Spenders, beim selben Spender durch Reprogrammierungsartefakte wie unvollständige Reprogrammierung oder reprogrammierungsbedingte De-novo-Mutagenese, aber auch durch den für die Reprogrammierung genutzten Zelltyp (Blutzellen, Fibroblasten, Keratinozyten etc.) oder die für die Reprogrammierung gewählte Methode verursacht werden. Für die Durchführung des Forschungsvorhabens essentielle Voraussetzung ist aber, dass potentiell Pathologie-modulierende epigenetische und andere durch die Reprogrammierung bedingte Anomalien ausgeschlossen werden können, was für hiPS-Zellen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht getan werden kann. Obgleich die Differenzierung in Neurone für hES-Zellen und hiPS-Zellen in einigen Studien vergleichbare Resultate ergab, zeigten andere Studien zudem eine deutlich geringere neuronale Differenzierungsfähigkeit von hiPS-Zellen als von hES-Zellen. Die genannten Tatsachen machen es nach derzeitigem Kenntnisstand erforderlich, dass die Forschungsarbeiten zur Erreichung der benannten Forschungsziele unter Verwendung von hES-Zellen durchgeführt werden.
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