105. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
Erteilt am 29.10.2015. Genehmigung erweitert am 16.08.2016 (siehe 2.). Registertext zuletzt aktualisiert am 16.08.2016.
1. Genehmigungsinhaber(in)
Medizinische Hochschule Hannover
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HES-3 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- HUES4 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- HUES8 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- Shef 1 (Sheffield University, Großbritannien)
- Shef 2 (Sheffield University, Großbritannien)
- Shef 3 (Sheffield University, Großbritannien)
Im Rahmen der Erweiterungen der Genehmigung vom 16.08.2016 wurden zur Durchführung der unten benannten Forschungsarbeiten die Einfuhr und Verwendung humaner embryonaler Stammzellen der folgenden weiteren Linie genehmigt:
- MEL-1 (Stem Cells Ltd, Brisbane, Australien)
Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linie(n).
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Die genehmigten Forschungsarbeiten zielen auf die Erlangung eines verbesserten Verständnisses der pankreatischen Differenzierung beim Menschen und auf die Entwicklung von Methoden für die Bereitstellung ausreichender Zellmengen für künftige regenerative Therapien des Diabetes mellitus. Dazu sollen Signalwege im Detail untersucht werden, die an der Spezifizierung und Differenzierung von aus humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) abgeleiteten Zellen des definitiven Entoderms (DE-Zellen) in Richtung von pankreatischen Vorläuferzellen sowie an der Bildung der verschiedenen Zelltypen pankreatischer Inseln beteiligt sind. Dies soll vor allem durch die gezielte Modulation der Aktivität dieser Signalwege in DE-Zellen, die Aufreinigung der sich jeweils entwickelnden Zellen und die ausführliche Charakterisierung der angereicherten Zellpopulationen erfolgen. Ferner sollen verbesserte Strategien für die Aufreinigung von pankreatischen Vorläuferzell-Populationen entwickelt werden. Dazu soll die Expression von Reportergenen in sich pankreatisch differenzierenden hES-Zellen an die Expression von Genen gekoppelt werden, die für bestimmte pankreatische Vorläuferzellen charakteristisch ist. Zudem soll die Rolle von micro-RNAs (miRNAs) während der Segregation der mesodermalen und entodermalen Linie sowie während der pankreatischen Differenzierung von hES-Zellen näher untersucht werden. Dazu sollen hES-Zellen in die jeweiligen Zelltypen differenziert, deren miRNA-Expressionsprofile analysiert und schließlich getestet werden, ob und inwieweit der Transfer von miRNA-mimics oder ‑Inhibitoren in hES-Zellen die jeweiligen Differenzierungsschritte beeinflussen kann. Aus hES-Zellen gewonnene pankreatische Zellen sollen ferner in verschiedene Tiermodelle des Diabetes mellitus transplantiert und die Zellen hinsichtlich ihrer Reifung in vivo sowie die Tiere bezüglich von Effekten der Transplantate auf den Glukosestoffwechsel untersucht werden.
Schließlich soll der Frage nachgegangen werden, welche Wirkung proinflammatorische Zytokine auf aus hES-Zellen differenzierte pankreatische Zellen haben. Dazu sollen zunächst die Expression der diese Zytokine codierenden Gene in aus hES-Zellen abgeleiteten pankreatischen Zellen analysiert und anschließend die Vitalität der Zellen, ihr Genexpressionsprofil, die Aktivität der durch bestimmte Zytokine modulierten Signalwege und der Redoxstatus der Zellen nach Inkubation mit bestimmten Zytokinen bestimmt werden. Die Fragestellungen, zu deren Klärung hES-Zellen verwendet werden sollen, sollen auch unter Nutzung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) untersucht werden, wobei hES-Zellen hier ggf. auch als Referenzmaterial verwendet werden sollen.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten an hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) gleichermaßen hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn für die Grundlagenforschung und für die Entwicklung neuer therapeutischer Methoden zur Anwendung beim Menschen. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Die übergeordnete Zielstellung der genehmigten Forschungsarbeiten ist die Entwicklung von Grundlagen für neue regenerative Therapien zur Behandlung des Diabetes mellitus, der – trotz sich stetig verbessernder Behandlungsmethoden – vor allem mit Blick auf mögliche Spätfolgen der Erkrankung ein erhebliches medizinisches Problem von großer gesundheitspolitischer und gesellschaftlicher Relevanz ist. Dazu bedarf es ausreicheichender Mengen gut charakterisierter und standardisierter humaner pankreatischer Zellen.
Die In-vitro-Gewinnung funktionaler reifer Beta-Zellen aus humanen pluripotenten Stammzellen ist bislang nur unzureichend gelungen. Ein Grund dafür besteht darin, dass die zellbiologischen Grundlagen der Differenzierungsprozesse, die genauen Charakteristika der während der Differenzierung auftretenden zellulären Zwischenstadien sowie die an Differenzierungsentscheidungen beteiligten Moleküle und Signalwege bislang nur unvollständig verstanden sind. Die genehmigten Forschungsarbeiten zielen u. a. darauf, zu einem verbesserten Verständnis dieser Differenzierungsprozesse zu gelangen und auf dieser Grundlage verbesserte Protokolle für die Gewinnung pankreatischer Beta-Zellen aus humanen pluripotenten Stammzellen zu entwickeln.
Die Forschungsarbeiten sollen zunächst Aufschluss darüber erbringen, ob und inwieweit die Aktivierung oder Hemmung bestimmter Signalwege zur Entstehung spezifischer (Vorläufer)Zelltypen des Pankreas beitragen kann und welche zellulären (Transkriptions)Faktoren daran beteiligt sind. Von besonderem Interesse sind dabei die Prozesse, die zur Entwicklung von endokrinen pankreatischen Vorläuferzellen in Richtung reifer pankreatischer Zellen (Alpha-, Beta- und Delta-Zellen) führen; diese sind zur Zeit nur wenig verstanden. Insgesamt können diese Untersuchungen zum einen voraussichtlich Rückschlüsse auf jene molekularen Prozesse erlauben, die während der menschlichen Fötalentwicklung bei der Entstehung des Pankreas ablaufen. Zum anderen könnten sie zur Entwicklung verbesserter Protokolle für die In-vitro-Gewinnung humaner Beta-Zellen beitragen.
Ferner sollen Methoden entwickelt werden, mit denen verschiedene pankreatische Vorläuferzellpopulationen voneinander getrennt und in für nachfolgende Analysen ausreichender Menge und Reinheit hergestellt werden können. Durch eine umfassende Charakterisierung der jeweils gewonnenen Zellpopulationen sollen neue Erkenntnisse über die genauen Charakteristika der bei der pankreatischen Differenzierung auftretenden zellulären Zwischenstadien gewonnen werden. Dies kann ebenfalls Einblicke in Prozesse der pankreatischen Differenzierung beim Menschen gewähren, die auf anderem Wege nicht zugänglich sind. Auf Grundlage der beabsichtigten Identifizierung von für bestimmte Vorläuferzelltypen spezifischen Oberflächenmarkern sollen zudem Methoden für die Anreicherung bestimmter Vorläuferzellpopulationen entwickelt werden, die ohne die Vornahme genetischer Veränderungen auskommen. Dies könnte einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung verbesserter Protokolle für die Gewinnung von Beta-Zellen aus pluripotenten Stammzellen des Menschen leisten.
Die genehmigten Forschungsarbeiten zur Identifizierung für die pankreatische Differenzierung relevanter miRNAs, zu ihrer Rolle in spezifischen Phasen insbesondere der Differenzierung zu Beta-Zellen sowie zu Möglichkeiten der Steuerung der Aktivität relevanter miRNAs lassen neue wichtige Erkenntnisse über die Rolle von miRNAs und der von ihnen regulierten Gene während der pankreatischen Differenzierung erwarten. Zudem könnten sich neue Anhaltspunkte für die Gestaltung effizienter Differenzierungsprotokolle ergeben, die auf der durch endogene Faktoren bewirkten Modulation der Aktivität von bestimmten miRNAs beruhen, die für die Steuerung der pankreatischen Differenzierung als wesentlich bestimmt werden.
Schließlich soll die Frage geklärt werden, in welchem Maße und auf welchem Wege die über Zytokine vermittelte Apoptose in aus hES-Zellen abgeleiteten Beta-Zellen abläuft. Derartige Prozesse sind für die den Diabetes mellitus Typ 1 bedingenden Autoimmunreaktionen erheblich, und entsprechende Kenntnisse sind angesichts der in Blick genommenen Verwendung solcher Zellen für eine Gewebeersatztherapie des Diabetes mellitus von großer Wichtigkeit. Es soll u. a. geklärt werden, ob aus hES-Zellen abgeleitete Beta-Zellen bestimmte Zytokin-Rezeptoren produzieren und ob die Signalübertragungswege aktiv sind, die für die Übermittlung der durch die Zytokin-Bindung verursachten Signale ins Zellinnere erforderlich sind. Schließlich soll bestimmt werden, ob die Exposition gegenüber proinflammatorischen Molekülen Apoptose induziert und wie dies ggf. verhindert werden kann. Die genehmigten Arbeiten lassen neue Erkenntnisse über die immunologischen Eigenschaften in vitro erzeugter Beta-Zellen erwarten und können ggf. auch Erkenntnisse über die an der Vermittlung von Immunreaktionen in Beta-Zellen beteiligten Moleküle und Signalwege erbringen. Die Klärung der Frage, ob und inwieweit Zytokine eine toxische Wirkung auf in vitro produzierte Beta-Zellen haben, ist im Vorfeld der Verwendung solchen Materials für regenerative Zwecke hochrelevant, da eine Verkapselung der Zellen vor Transplantation – wie gegenwärtig in einer klinischen Studie praktiziert – die transplantierten Zellen zwar vor immunologisch relevanten Zell-Zell-Kontakten, nicht jedoch vor löslichen immunstimulatorischen Molekülen schützen kann.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt ist.
Die aufgeworfenen Forschungsfragen wurden in erheblichem Umfang an tierischen Zellen vorgeklärt. Zudem liegen bereits zahlreiche Arbeiten vor, in denen die Fragestellungen auch unter Verwendung von hES-Zellen vorgeklärt wurden. Methoden zur Produktion von DE-Zellen aus hES-Zellen sind beispielsweise seit nahezu 10 Jahren etabliert und seitdem weiter optimiert worden. Humane DE-Zellen wurden vielfach unter Nutzung verschiedener Methoden in pankreatische (Vorläufer)Zellen und – daraus abgeleitet – in pankreatische insulinproduzierende Zellen weiterentwickelt, die aber teils polyhormonal waren. Derartige Zellen konnten nach Transplantation in diabetische Versuchstiere reifen und waren in einigen Fällen in der Lage, den Insulinspiegel zu normalisieren. Zahlreiche an bestimmten Stadien der Differenzierung zu pankreatischen Zellen beteiligte Signalwege, die hier vertieft untersucht werden sollen, sind bekannt. Die gezielte Modulation dieser Signalwege in bestimmten Phasen der Entwicklung von hES-Zellen zu pankreatischen Zellen wurde bereits vielfach genutzt, um zu einem besseren Differenzierungserfolg zu gelangen. Dasselbe gilt für die Überexpression von Genen, die für an der Pankreasentwicklung beteiligte Transkriptionsfaktoren codieren. Die Anreicherung pankreatischer Vorläuferzellpopulationen mittels einer für bestimmte Entwicklungsstadien spezifischen Reportergen-Expresion ist ebenfalls in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben worden.
Zur Rolle von miRNAs in der pankreatischen Differenzierung liegen umfangreiche Ergebnisse aus Studien in Zellen der Maus vor, die die Involvierung bestimmter miRNAs in spezifische Prozesse der pankreatischen Differenzierung belegen. Darüber hinaus wurden bereits einige Studien publiziert, die dieser Frage in hES-Zellen nachgegangen sind und in denen eine maßgebliche Bedeutung bestimmter miRNAs für die Entwicklung pankreatischer (Vorläufer)Zellen konstatiert wurde. Die Überexpression einer bestimmten miRNA führte zudem zu einer Hemmung der Expression von Genen, deren Expression wesentlich für die Entstehung pankreatischer Vorläuferzellen aus DE-Zellen ist. Ferner ist bereits gezeigt worden, dass durch gezielte Veränderungen in der Expression bestimmter miRNAs die Differenzierung von hES-Zellen in die pankreatische Linie verstärkt werden kann.
Die Beteiligung der pro-inflammatorischen Moleküle, deren Produktion durch bzw. Wirkung auf aus hES-Zellen abgeleitete pankreatische Zellen im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten untersucht werden sollen, an der Entstehung der Autoimmun-Reaktion gegen Beta-Zellen bei Diabetes mellitus Typ 1 ist gut belegt. Es liegen zahlreiche publizierte Erkenntnisse über die zytotoxische Wirkung pro-inflammatorischer Zytokine auf pankreatische Zellen (insbesondere aus Nagern) vor. Die Tatsache, dass Veränderungen im Redoxstatus von Beta-Zellen, die hier ebenfalls eingehend analysiert werden soll, an der Zerstörung dieser Zellen bei Diabetes mellitus Typ 1 beteiligt sind, ist gut belegt.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Das vom Genehmigungsinhaber formulierte Forschungsziel, ein Ausgangsmaterial für die Gewebeersatztherapie des Diabetes mellitus bereitstellen zu wollen, verlangt die Nutzung humaner Zellen; die hier interessierenden immunologischen Eigenschaften menschlicher pankreatischer Zellen können sich zudem maßgeblich von jenen ihres Pendants aus tierischen Spezies unterscheiden. Auch hinsichtlich der Fragestellungen mit Relevanz für die Grundlagenforschung ist die Verwendung menschlicher Zellen erforderlich: Tierische und menschliche embryonale Stammzellen unterscheiden sich teilweise bezüglich ihres pankreatischen Differenzierungspotentials, der Differenzierungsdauer sowie der an der Differenzierung beteiligten Faktoren und Signalwege, so dass ein genaues Verständnis von den molekularen Grundlagen der Differenzierung des menschlichen Pankreas nur durch Untersuchungen an Zellen des Menschen erlangt werden kann. Ferner bestehen gut dokumentierte Unterschiede im miRNA-Profil, beispielsweise zwischen murinen und humanen ES-Zellen.
Nach gegenwärtigem Kenntnisstand können die Forschungsziele auch nicht unter Verwendung adulter oder fötaler Stammzellen des Menschen erreicht werden: die Bedingungen für die In-vitro-Kultivierung und -Vermehrung potentieller pankreatischer Stammzellen sind nicht geklärt und Aussagen über ein mögliches regeneratives Potential adulter humaner Beta-Zellen lassen sich gegenwärtig nur eingeschränkt treffen. Die Möglichkeit der Gewinnung reifer und funktionaler (insulinproduzierender) pankreatischer Zellen aus anderen adulten Stammzellen des Menschen, beispielsweise aus dem Knochenmark oder aus dem Nabelschnurblut, ist bislang nicht nachgewiesen worden. Fötale pankreatische Zellen stünden, selbst wenn sie in vitro kultiviert werden könnten und die volle Fähigkeit zur Differenzierung in reife pankreatische Zellen aufweisen würden, nicht in ausreichenden Mengen und in reproduzierbarer Qualität zur Verfügung. Hinzu kommt, dass im Forschungsvorhaben auch frühe Prozesse der entodermalen und mesodermalen Differenzierung untersucht werden sollen. Für diese Untersuchungen wären pankreatische Zellen aus abgetriebenen Föten nicht geeignet, da diese Zellen frühe Entwicklungsstadien bereits durchlaufen haben, so dass zur Klärung der aufgeworfenen Forschungsfragen humane pluripotente Stammzellen benötigt werden.
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