104. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
Erteilt am 14.07.2015. Genehmigung erweitert am 27.07.2015, 27.08.2015 und 04.09.2015 (siehe 2.). Forschungsvorhaben beendet. Genehmigung erloschen am 25.02.2021.
1. Genehmigungsinhaber(in)
Evotec International GmbH, Hamburg
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linie:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HES-1 (ES Cell International Pte Ltd., Singapur)
- HES-2 (ES Cell International Pte Ltd., Singapur)
- HES-3 (ES Cell International Pte Ltd., Singapur)
- HES-4 (ES Cell International Pte Ltd., Singapur)
- HUES8 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- MEL-1 (Stem Cells Ltd, Brisbane, Australien)
Im Rahmen der Erweiterungen der Genehmigung vom 27.07.2015, 27.08.2015 und 04.09.2015 wurden zur Durchführung der unten benannten Forschungsarbeiten die Einfuhr und Verwendung humaner embryonaler Stammzellen der folgenden weiteren Linien genehmigt:
- ESI-017 (BioTime Inc., Almeda, CA, USA)
- ESI-035 (BioTime Inc., Almeda, CA, USA)
- ESI-049 (BioTime Inc., Almeda, CA, USA)
- ESI-051 (BioTime Inc., Almeda, CA, USA)
- ESI-053 (BioTime Inc., Almeda, CA, USA)
- GENEA002 (Genea Ltd., Sydney, Australien)
- GENEA019 (Genea Ltd., Sydney, Australien)
- GENEA022 (Genea Ltd., Sydney, Australien)
Die Genehmigung gilt auch für die Einfuhr und Verwendung von Sub-Linien (z. B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Im genehmigten Forschungsvorhaben sollen auf Grundlage eines aus humanen embryonalen Stammzellen abgeleiteten In-vitro-Testsystems Substanzen identifiziert werden, die die Replikation von Beta-Zellen stimulieren, das für den Diabetes mellitus charakteristische und durch metabolischen Stress oder durch Immunzellen vermittelte Absterben der Beta-Zellen verhindern und/oder dem durch Stress oder Entzündung induzierten Funktionsverlust dieser Zellen entgegenwirken. Auf Grundlage der identifizierten Substanzen sollen ggf. Wirkstoffkandidaten zur Behandlung des Diabetes mellitus entwickelt und bezüglich ihrer Wirkung auf humane Beta-Zellen verifiziert werden. Zur Entwicklung eines hierfür benötigten In-vitro-Screening-Systems sollen im ersten Projektteil Verfahren für die Differenzierung humaner ES-Zellen in Beta-Zellen entwickelt werden. Dies schließt die Entwicklung von Methoden zur Differenzierung von hES-Zellen in Suspensionskultur und die Überprüfung der molekularen Eigenschaften sowie der Funktionalität der terminal differenzierten Beta-Zellen in vitro und in Mausmodellen des Diabetes mellitus ein. Unter Nutzung dieser Zellen sollen im zweiten Projektteil dann verschiedene Bibliotheken kleiner Moleküle und potentiell therapeutischer Proteine getestet und geeignete Substanzen identifiziert werden. Dazu sollen entsprechende Testverfahren zunächst entwickelt und die als wirksam identifizierten Substanzen (ggf. nach ihrer Optimierung) validiert werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegungen dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) hochrangigen Forschungszielen bei der Schaffung von Grundlagen für neue therapeutische und präventive Verfahren zur Anwendung beim Menschen, wobei auch ein wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn für die Grundlagenforschung zu erwarten ist. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Diabetes mellitus führt bei betroffenen Patienten zu enormen gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Sowohl bei Typ-1- als auch bei Typ-2-Diabetes ist weltweit eine erhebliche Zunahme der Anzahl der jährlichen Neuerkrankungen zu beobachten, eine kausale Therapie existiert derzeit nicht. Medikamente, die der mit dem Fortschreiten der Erkrankung verbundenen Verringerung der Menge an funktionsfähigen Beta-Zellen entgegenwirken, sind derzeit nicht verfügbar. Die genehmigten Forschungsarbeiten zielen darauf, Grundlagen für die Entwicklung entsprechender Arzneimittel zu schaffen. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass bei Diabetes-Patienten die verbliebene funktionell aktive Beta-Zell-Masse und die Häufigkeit des Auftretens von Langzeitkomplikationen miteinander umgekehrt korreliert sind, ist die mit dem Forschungsvorhaben längerfristig angestrebte Entwicklung von Medikamenten, deren Wirkung auf die Stimulation der Replikation von Beta-Zellen und damit letztlich auf eine Erhöhung der Beta-Zell-Masse des Patienten gerichtet ist, von erheblichem Interesse. Auch Wirkstoffe, die eine Verminderung der Apoptoserate oder eine Verhinderung des Verlustes von für Beta-Zellen spezifischen Funktionen bewirken, stellen bedeutsame Ansätze für eine künftige Diabetes-Therapie dar.
Von Bedeutung für die Identifizierung entsprechender Wirkstoffe ist die Verfügbarkeit standardisierbarer und miniaturisierter humaner Beta-Zellkulturmodelle, an denen die Effekte des Diabetes mellitus auf Beta-Zellen simuliert und die Wirkung von Substanzen auf ihre Menge, Vitalität und Funktion in geeigneten Testverfahren untersucht werden können. Dies wiederum setzt voraus, dass humane Beta-Zellen in ausreichender Menge und reproduzierbar hoher Qualität zur Verfügung stehen. Daher sollen Protokolle für die effiziente Herstellung funktionsfähiger Beta-Zellen aus hES-Zellen entwickelt werden, wobei die Differenzierungsvorgänge im Detail analysiert und die Zellen auf ihre jeweiligen molekularen Charakteristika hin untersucht werden sollen. Da insbesondere die molekularen Vorgänge, die bei der Reifung pankreatischer Vorläuferzellen zu Insulin-sekretierenden Beta-Zellen ablaufen, derzeit nur unvollständig verstanden sind, werden aus den Forschungsarbeiten auch neue Erkenntnisse über die Reifung endokriner pankreatischer Vorläuferzellen erwartet, beispielsweise über Moleküle und Signalwege, die bei Reifungsprozessen pankreatischer Zellen eine Rolle spielen.
Die im weiteren Projektverlauf zu identifizierenden Substanzen mit Wirkung auf Replikation, Vitalität und Funktionalität von Beta-Zellen können – neben ihrer potentiellen Eignung als Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Arzneimittel – auch Einblicke in die bislang nur unvollständig verstandenen Mechanismen der Regulation dieser Eigenschaften in Beta-Zellen sowie ihrer Veränderung im Falle des Diabetes mellitus gewähren, beispielsweise wenn Rezeptoren der identifizierten Substanzen und die Signalwege bekannt sind, an denen sie beteiligt sind. Zudem können sich hieraus weitere Ansatzpunkte für therapeutische Strategien zur Behandlung des Diabetes mellitus ergeben. Ferner stünden mit den zu entwickelnden Beta-Zell-basierten Assays humane Zellmodelle zur Verfügung, anhand derer die mit Diabetes mellitus verbundenen physiologischen und immunologischen Vorgänge in vitro simuliert und auf diesem Wege unter anderem die molekularen Mechanismen der Entstehung bzw. der Entwicklung des Diabetes mellitus auf zellulärer Ebene vertieft untersucht werden können.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt ist.
Protokolle für die effiziente Differenzierung humaner pluripotenter Stammzellen in funktionsfähige Beta-Zellen sind in der jüngeren Vergangenheit publiziert worden. Um die für die weitere Vorhabensdurchführung erforderlichen großen Mengen an humanen pankreatischen Beta-Zellen gewinnen zu können, sollen Differenzierungsprotokolle auf 3D-Bedingungen übertragen und die Differenzierung in Suspensionskultur durchgeführt werden. Sowohl für die Kultivierung humaner ES-Zellen unter derartigen Bedingungen als auch für deren pankreatische Differenzierung in Suspensionskultur liegen bereits publizierte Protokolle vor. Angesichts des fortgeschrittenen Kenntnisstandes mit Blick auf humane pluripotente Stammzellen ist eine Vorklärung an tierischen Zellen nicht erforderlich.
Moleküle, die eine Verstärkung der Proliferation von Beta-Zellen und/oder die Verhinderung des Verlustes der Beta-Zellen (beispielsweise infolge apoptotischer Prozesse) bewirken, wurden bereits in der Vergangenheit in Nagern identifiziert. So zeigte beispielsweise Exendin-4, ein Agonist von GLP1-R (glucagon-like peptid 1 receptor), in experimentell diabetischen Nagern einen protektiven und proliferationsfördernden Effekt auf Beta-Zellen. Das von der Leber und von Fettgewebe produzierte Hormon Betatrophin hat ebenfalls einen starken stimulierenden Effekt auf die Proliferation von Beta-Zellen in einem Mausmodell für Insulinresistenz. Die dem Forschungsvorhaben zugrundeliegende Annahme, dass von außen zugeführte Moleküle jene Signalwege modulieren können, die beispielsweise die Replikation von Beta-Zellen regulieren, und die Aussicht, auf diese Weise letztlich die Masse funktionsfähiger Beta-Zellen in vivo erhöhen zu können, sind durch Arbeiten im Nagermodell ausreichend begründet. Verfahren, in denen aus humanen pluripotenten Stammzellen abgeleitete Zellen in Testsystemen wie zum Beispiel im Hochdurchsatzverfahren zur Identifikation von Substanzen mit spezifischen physiologischen oder biochemischen Eigenschaften zum Einsatz kamen, sind in der Vergangenheit mehrfach publiziert worden.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Die Identifizierung von Substanzen, die als Grundlage für die Entwicklung von Wirkstoffen zur Behandlung des Diabetes mellitus im Menschen dienen können, erfordert letztlich die Nutzung menschlicher Zellen. Insbesondere in der Regulation der Replikation von primären Beta-Zellen bestehen insbesondere zwischen Nagern und Menschen erhebliche Unterschiede, die auch in aus pluripotenten Stammzellen abgeleiteten Beta-Zellen zu erwarten sind. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass Substanzbibliotheken bezüglich der Präsenz von Molekülen, die einen Effekt auf die Replikation von humanen Beta-Zellen haben sollen, mit hinreichender Aussicht auf Erfolg gescreent werden können, wenn das Screening unter Nutzung tierischer Zellen erfolgt.
Primäre humane pankreatische Beta-Zellen sind für die Identifizierung von Substanzen mit Wirkung auf Beta-Zellen zwar grundsätzlich geeignet; jedoch sind sie nicht in den für die Projektdurchführung benötigten Mengen verfügbar, weisen erhebliche Chargen-spezifische Unterschiede auf und können in Zellkultur zudem nicht zu den für die Projektdurchführung erforderlichen großen Zellmengen vermehrt werden. Die Frage nach der Existenz von im adulten humanen Pankreas auftretenden Stamm- und Vorläuferzellen von Beta-Zellen, die zu für die Projektdurchführung ausreichenden Zellmengen vermehrt werden könnten, ist strittig. Immortalisierte humane Beta-Zell-Linien weisen wiederum nicht alle physiologischen Eigenschaften primärer Beta-Zellen auf, so dass auch diese Zellen aller Voraussicht nach für die Identifizierung von Substanzen mit Effekten auf die Replikation, Apoptose und Funktionsfähigkeit von Beta-Zellen nur eingeschränkt geeignet sind.
Die Forschungsziele sind nach gegenwärtigem Kenntnisstand voraussichtlich auch nicht unter Nutzung humaner induzierter pluripotenter Stammzellen (hiPS-Zellen) erreichbar. Die Frage danach, ob hiPS-Zellen ein zu hES-Zellen vergleichbares Potential zur Differenzierung in Beta-Zellen haben, ist derzeit nicht geklärt. Zwar wurden verschiedene Arbeiten publiziert, in denen hiPS-Zellen erfolgreich in Richtung von Zellen mit Eigenschaften pankreatischer Beta-Zellen differenziert wurden. Allerdings wiesen hiPS-Zellen eine teils deutlich höhere Variabilität in ihrer pankreatischen Differenzierungsfähigkeit auf als die in diesen Studien parallel untersuchten hES-Zellen. Zudem zeigten aus hiPS-Zellen abgeleitete pankreatische Zellen in einigen Studien eine teils deutlich geringere Insulinsekretion als aus hES-Zellen abgeleitete pankreatische Zellen, und sie exprimierten Gene für Pankreas-spezifische Marker in teils deutlich geringerem Maße, als dies in hES-Zell-abgeleiteten Beta-Zellen zu beobachten war. Zudem können hiPS-Zellen infolge des Reprogrammierungsprozesses epigenetische Defekte aufweisen und de-novo-Mutationen erlangen, die zusätzlich zu den genetischen Veränderungen akkumuliert werden, die bereits in den für die Reprogrammierung genutzten Ausgangszellen vorhanden sind. Die Effekte dieser genetischen und epigenetischen Besonderheiten, aber auch mögliche Effekte einer ggf. vorhandenen Integration und Restexpression von für die Reprogrammierung genutzter (Onko)Gene auf die Fähigkeit zur pankreatischen Differenzierung, sind derzeit ungeklärt.
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