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102. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz

Erteilt am 28.04.2015; Registereintrag zuletzt aktualisiert am 28.01.2020

1. Genehmigungsinhaber(in)

Frau Prof. Dr. Ulrike Nuber, Technische Universität Darmstadt

2. Zell-Linien

Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:

  • H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
  • H7 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
  • H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
  • HUES2 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)

Die Genehmigung gilt auch für die Einfuhr und Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.

3. Angaben zum Forschungsvorhaben

Das Forschungsvorhaben gliedert  sich in zwei Teilprojekte. Im ersten Teilprojekt soll die Rolle spezifischer Mutationen im MECP2-Gen bei der Entwicklung und Aus­prä­gung des Rett-Syndroms untersucht werden. Dazu sollen humane induzierte pluri­po­tente Stammzellen (hiPS-Zellen) aus Patienten mit ent­spre­chen­den Mu­ta­ti­o­nen hergestellt und – für Referenzzwecke – dieselben Mutationen mittels der gut etablierten CRISPR/Cas-Technologie in humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) erzeugt werden. Mutationen, für die kein Zellmaterial verfügbar ist, sollen ebenfalls in hES-Zellen erzeugt und ent­spre­chend stabile hES-Zell-Klone etabliert werden. Die Zellen sollen dann mittels etablierter Verfahren in Körnerzellen des Gyrus dentatus differenziert und diese bezüglich ihrer Morphologie und Funktion untersucht werden. Neben der Bestimmung der morphologischen, ultrastrukturellen und elektrophysiologischen Eigenschaften sollen über vergleichende Gen­ex­pres­sions­stu­dien potentielle Zielgene von MECP2 in den mutierten Zellen identifiziert werden. Weiterhin ist geplant, in den sich differenzierenden bzw. differenzierten neuronalen Zellen Komponenten des durch den Glukokortikoidrezeptor vermittelten Signalweges pharmakologisch zu hemmen oder zu stimulieren und mögliche Veränderungen morphologischer und funktioneller Parameter in den Zellen zu bestimmen. In einem zweiten Teilprojekt sollen Verfahren entwickelt werden, mit denen verschiedene Subpopulationen neuraler Vorläuferzellen, die aus pluripotenten Stammzellen des Menschen differenziert wurden, anhand spezifischer Ober­flächen­marker voneinander getrennt und angereichert werden können. In diesem Zu­sam­men­hang sollen ggf. neue Ober­flächen­marker auf neuralen Vorläuferzellen sowie Anti­kör­per­kom­bi­na­ti­o­nen identifiziert und validiert werden, auf deren Grundlage FACS-basierte Verfahren zur An- bzw. Ab­rei­che­rung entsprechender Zellpopulationen etabliert und optimiert werden sollen. Die angereicherten neuralen Vorläuferzellen sollen dann sowohl in vitro als auch in vivo (nach Transfer in Hühnerembryonen) umfassend charakterisiert werden.

4. Hochrangigkeit der Forschungsziele

Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich be­grün­de­ten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) hoch­ran­gi­gen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Er­kennt­nis­ge­winn für die Grund­lagen­for­schung. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:

Das Rett-Syndrom ist eine genetisch bedingte neurologische Erkrankung, die aufgrund der X-chromosomalen Lokalisation des bei dieser Krankheit mutierten Gens (MECP2, methyl-CpG binding protein 2) nahezu ausschließlich Mädchen betrifft und mit einer Häufigkeit von 1:10.000 nach dem Down-Syndrom die zweit­häu­fig­ste Ursache von geistigen Entwicklungsverzögerungen bei Mädchen ist. Eine kausale Therapie für das Rett-Syndrom gibt es bislang nicht. Zwar sind die Konsequenzen einer Mutation im MECP2-Gen für die Morphologie und für die elektrophysiologischen Eigenschaften der betroffenen Nervenzellen teils gut untersucht, jedoch ist das Wissen über die direkten Zielgene von MECP2 und über die von MECP2 regulierten Signalwege in großen Teilen unvollständig. Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten sollen Verfahren zur Dif­fe­ren­zie­rung von hES-Zellen in sog. Körnerzellen des Gryus dentatus etabliert und optimiert und dann auf hES-Zellen angewandt werden, in denen zuvor für das Rett-Syndrom spezifische Mutationen im MECP2-Gen erzeugt worden sind. Auf diesem Wege soll ein rele­van­tes humanes Zellmodell für das Rett-Syndrom etabliert werden, in dem für das Rett-Syndrom typische pathologische Ver­än­de­run­gen auf zellulärer Ebene unter­sucht und letztlich Parameter bestimmt und verifiziert werden können, die als zuverlässige Endpunkte für die Untersuchung möglicher positiver Effekte von Phar­ma­ka auf vom Rett-Syndrom betroffene neuronale Zellen dienen können. Durch Untersuchungen von  Veränderungen im Transkriptom, die durch die Mutationen im MECP2-Gen verursacht werden, sollen dann unmittelbare Zielgene von MECP2 ermittelt, ggf. Gene mit infolge der MECP2-Mutation veränderter Expression identifiziert und auf dieser Grundlage Signalwege bestimmt werden, die von MECP2 moduliert werden. Dies kann ggf. zu einem besseren Verständnis der Rolle von MECP2 in der Gehirnentwicklung des Menschen beitragen und neue Einblicke in die unmittelbaren Folgen einer Fehlfunktion von MECP2 beim Rett-Syndrom gewähren. Ferner soll die Frage nach einer Beteiligung des Glukokortikoid-Signalweges an der Pathogenese des Rett-Syndroms im Menschen geklärt werden. Insbesondere soll – auf Grundlage von Vorarbeiten in der Maus – untersucht werden, ob in neuronalen Zellen des Menschen, die Mutationen im MECP2-Gen aufweisen, die Stimulation des Glukokortikoid-Signalweges eine Verstärkung der für das Rett-Syndrom spezifischen zellulären Veränderungen bewirkt und ob, umgekehrt, durch Hemmung dieses Signalweges eine zu­min­dest teilweise Reversion der Effekte der MECP2-Mutation auf zellulärer Ebene erreicht werden kann. Die geplante Untersuchung der molekularen Grundlagen solcher Effekte kann voraussichtlich zur Aufklärung der Mechanismen der Patho­ge­ne­se des Rett-Syndroms auf zellulärer Ebene beitragen. Ggf. könnten sich aus den Ergebnissen Anhaltspunkte für neue therapeutische Optionen zur Behandlung des Rett-Syndroms ergeben. Die Forschungsarbeiten werden auch unter vergleichender Nutzung von hiPS-Zellen durchgeführt. Der Vergleich von hES- und hiPS-Zellen kann Erkenntnisse darüber erbringen, ob beide Zelltypen hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Differenzierung in Körnerzellen identisch sind. Ein Vergleich des Phänotyps von hES- und hiPS-Zell-abgeleiteten Neuronen, die identische Mutationen im MECP2-Gen tragen, kann zudem Aufschluss darüber erbringen, ob die infolge der MECP2-Mutation erwarteten zellulären Defekte in beiden Zelltypen identisch sind oder ob (ggf. zu identifizierende) weitere Faktoren zum Phänotyp von Neuronen beitragen, die aus hiPS-Zellen von Rett-Syndrom-Patienten abgeleitet wurden. Zudem können voraussichtlich Einblicke in die Effekte spezifischer Mutationen im MECP2-Gen auf den Phänotyp neuronaler Zellen gewonnen werden.

Weiterhin sollen FACS-basierte Verfahren entwickelt und optimiert werden, um Subpopulationen neuraler bzw. neuronaler Vorläuferzellen besser als bislang voneinander trennen und spezifische Subpopulationen anreichern zu können. Diese Untersuchungen können ggf. Grundlage für die Identifizierung neuer Typen neuraler Vorläuferzelltypen sein und die Analyse der gegenseitigen Beeinflussung ver­schie­de­ner neuraler Vorläuferzellpopulationen während der neuralen Dif­fe­ren­zie­rung erleichtern. Die erwarteten Ergebnisse können ggf. zu einem stärker detaillierten Verständnis der Prozesse der humanen Neurogenese als bislang beitragen. Letztlich können auf der Grundlage der Bereitstellung besser charakterisierter und reiner Populationen neuraler Vorläuferzellen Dif­fe­ren­zie­rungs­pro­to­kol­le optimiert und so der jeweils interessierende neuronale Zelltyp in größerer Menge und Reinheit, als dies gegenwärtig möglich ist, bereitgestellt werden. Dies ist sowohl für Fragen der Grundlagenforschung als auch für künftige regenerative Therapien von Relevanz.

5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen

Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt ist.

Die ursächliche Rolle von MECP2 für die Ausbildung des Rett-Syndroms sowie die von der Erkrankung betroffenen Veränderungen in neuronalen Zellen wur­den umfänglich im Mausmodell bzw. unter Nutzung muriner Zellen unter­sucht. Ebenfalls im Mausmodell wurden verschiedene Gene identifiziert, deren Ex­pres­sion infolge von Mutationen im Mecp2-Gen verändert sind, und Signal­wege bestimmt, die in­fol­ge­dessen eine veränderte Regulation aufweisen. Hinweise auf eine mögliche Be­tei­li­gung des Glukokortikoid-Signalweges an der Aus­prä­gung des für das Rett-Syndrom charakteristischen Phänotyps auf mole­ku­larer und zellulärer Ebene liegen ebenfalls aus Untersuchungen in Maus­mo­del­len für das Rett-Syndrom vor. Die methodischen Vorgehensweisen, die im Rahmen der Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen zum Einsatz kommen sollen, sind ebenfalls umfassend vorgeklärt. Das betrifft sowohl die Methode für die Differenzierung von hES-Zellen in neurale Zellen des Gyrus dentatus, die Methoden zur Analyse der neuronalen Zellen auf ver­schie­de­nen Ebenen als auch die zur An­wen­dung kom­men­de Methode zur genetischen Modifikation von hES-Zellen. FACS-basierte Verfahren zur Anreicherung von (neuralen) Vor­läufer­zellen auf Grundlage der Präsenz spezifischer Kombinationen von Ober­flächen­markern sind in der Vergangenheit etabliert und in der wissen­schaft­lichen Literatur publiziert worden.

Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungs­vor­haben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.

Für das Rett-Syndrom existiert eine Reihe von Mausmodellen, in denen verschiedene Mutationen des Mecp2-Gens vorliegen. Zwar entwickeln diese Mausmodelle bestimmte Symptome des Rett-Syndroms und erlauben es, bestimmte Aspekte der Erkrankung auch auf molekularer Ebene zu erforschen. Jedoch bestehen offenbar deutliche Unterschiede in der Funktion von MECP2 in der neuralen Entwicklung zwischen Maus und Mensch, und auch hinsichtlich der morphologischen Eigenschaften der vom Rett-Syndrom be­trof­fe­nen Neu­rone wurden deutliche Unterschiede zwischen beiden Spezies dokumentiert, so dass die Forschungsfragen nicht unter Nutzung muriner Zellen geklärt werden können, sondern die Verwendung menschlicher Zellen erfordert.

Das Forschungsziel kann auch nicht unter Verwendung anderer als pluripotenter Stammzellen des Menschen, beispielsweise somatischer oder fötaler Stamm­zellen, erreicht werden. Die durch die Mutation im MECP2-Gen während der Gehirn­ent­wick­lung ggf. verursachten epigenetischen Veränderungen und die aus ihnen resultierenden Veränderungen in den neuralen Zellen können durch Einbringung einer entsprechenden Mutation in adulte oder fötale Stammzellen nicht nach­voll­zo­gen werden, das sie sich bereits während der Entwicklung und Differenzierung dieser Zellen auswirken. Zudem sind sowohl adulte als auch fötale neurale Stamm­zellen nicht in der für die Projektdurchführung not­wen­di­gen Menge und in re­pro­du­zier­ba­rer Qualität verfügbar. Die Frage, ob sie einer genetischen Veränderung in gleicher Weise wie humane embryonale Stammzellen zugänglich sind, ist offen.

Die Forschungsziele lassen sich nach derzeitigem Kenntnisstand auch nicht unter ausschließlicher Verwendung von hiPS-Zellen erreichen. Zum einen liegen keine publizierten Daten über die erfolgreiche Differenzierung von wt-hiPS-Zellen in Körnerzellen vor. Dagegen wurde ein geringeres Potential von im MECP2-Gen mutierten hiPS-Zellen, die aus Zellen von Rett-Syndrom-Patienten gewonnen worden waren, zur Differenzierung in diesen neuralen Zelltyp beobachtet. Zum anderen weisen hiPS-Zellen eine Reihe von Unter­schie­den zu hES-Zellen, aber auch innerhalb verschiedener hiPS-Zell-Klone, auf. Dies betrifft beispielsweise Unterschiede im Methylierungsmuster sowie eine zwischen hiPS-Zell-Klonen teils stark variierende Fähigkeit zur Differenzierung in neurale Zellen. Verschiedene Studien zeigten zudem, dass die in diesen Studien verwendeten hiPS-Zell-Linien ein geringeres neurales Dif­fe­ren­zie­rungs­po­ten­tial als hES-Zellen aufwiesen. Zudem können im Zuge der Re­pro­gram­mie­rung Mutationen entstehen; im Spendergenom bereits vor­han­dene somatische Mutationen finden sich zudem im Genom der abgeleiteten hiPS-Zellen wieder, was mit Unwägbarkeiten für ihre Dif­fe­ren­zie­rungs­fä­hig­keit sowie ggf. für andere Eigenschaften der Zellen verbunden ist. Zudem sollen hES-Zellen auch als Referenzmaterial für die erfolgreiche Differenzierung von hiPS-Zellen genutzt werden, um das Dif­fe­ren­zie­rungs­po­ten­tial von wildtyp- und im MECP2-Gen mutierten hiPS-Zellen einschätzen zu können. Ein anderes Referenzmaterial kann hierfür nicht genutzt werden, so dass auch aus diesem Grunde die Nutzung von hES-Zellen erforderlich ist.

Stand: 28.01.2020

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