101. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaber(in)
Medizinische Hochschule Hannover
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HES-2 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- HES-3 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- HUES2 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- HUES8 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- I3 (Technion, Haifa, Israel)
Die Genehmigung gilt jeweils auch für die Einfuhr und Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linie(n).
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Gegenstand der beantragten Forschungsarbeiten unter Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) ist es, funktionell aktive humane Leberzellen aus pluripotenten Stammzellen zu gewinnen, diese in 3D-Kultur zu Organoiden zu aggregieren und dann – nach Transplantation in geeignete Mausmodelle – bezüglich ihrer Funktionalität in vivo zu untersuchen. Zunächst sollen verschiedene Protokolle für die Differenzierung von hES-Zellen zu Leberparenchymzellen und Gallengangzellen etabliert und optimiert und die differenzierten Zellen umfassend in vitro charakterisiert werden. Insbesondere sollen die Expressionsprofile der mikro-RNAS (miRNAs) zu verschiedenen Zeitpunkten der Differenzierung hepatischer Zellen analysiert und bestimmt werden, ob und auf welche Weise bestimmte miRNAs die hepatische Differenzierung beeinflussen. Die Funktionen der miRNAs in den entsprechenden Differenzierungsprozessen sollen analysiert, beteiligte Signalwege ermittelt und ggf. (niedermolekulare) Faktoren bestimmt werden, die die Aktivität der entsprechenden Signalwege modulieren. Ggf. sollen für letzteres geeignete Hochdurchsatz-Verfahren entwickelt werden. Ferner sollen die hepatischen Zellen mit Endothelzellen und mesenchymalen Stromazellen, die ebenfalls aus hES-Zellen gewonnen werden, kombiniert und in 3D-Kultur zu Organoiden aggregiert werden, die dann umfassend charakterisiert werden sollen. Schließlich sollen aus hES-Zellen abgeleitete Leberzellen in immundefiziente Mäuse transplantiert und die Eigenschaften der transplantierten Zellen untersucht werden. Dabei sollen sowohl Suspensionen von Einzelzellen transplantiert und deren Reifung und Eigenschaften nach Integration in das Wirtsgewebe analysiert als auch Zellverbände und Organoide, ggf. in Kombination mit geeigneten Trägermaterialien, in die Versuchstiere übertragen und deren Funktion umfassend bestimmt werden. Die Fragestellung, zu deren Klärung hES-Zellen verwendet werden sollen, soll auch unter Nutzung von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) untersucht werden, wobei hES-Zellen hier ggf. als Referenzmaterial verwendet werden sollen.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten an hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn für die Grundlagenforschung. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Das wesentliche Ziel des Forschungsvorhabens besteht in der Entwicklung von Methoden, mit denen reife, funktionsfähige hepatische Zellen aus pluripotenten humanen Stammzellen in vitro hergestellt werden können. Derzeit gestaltet sich insbesondere die In-vitro-Reifung hepatischer Vorläuferzellen zu voll funktionsfähigen hepatischen Zellen schwierig. Die aus hES-Zellen abgeleiteten leberzellähnlichen Zellen weisen überwiegend die Eigenschaften fötaler Hepatozyten auf; die Entwicklung verbesserter Vorgehensweisen für die Gewinnung reifer hepatischer Zellen ist insbesondere im Hinblick auf den hohen Bedarf an solchen Zellen für die pharmakologisch-toxikologische Forschung, für die Arzneimittelentwicklung und -testung, für die In-vitro-Modellierung hepatischer Erkrankungen des Menschen sowie für künftige regenerative Therapien von hoher Relevanz.
Im Rahmen des genehmigten Forschungsvorhabens sollen ferner Erkenntnisse darüber gewonnen werden, welche miRNAs an der Modulation von Signalwegen beteiligt sind, die die Differenzierung hepatischer Vorläuferzellen in reife, funktionsfähige Hepatozyten beeinflussen, und ob und auf welche Weise solche miRNA-regulierten Signalwege beispielsweise durch sog. kleine Moleküle (small molecules), gesteuert werden können. Ziel ist es, hepatogene miRNAs zu identifizieren und durch die Modulation von deren Aktivität hepatische Zellen mit einem metabolischen Profil zu erzeugen, das jenem primärer menschlicher Leberzellen weitgehend gleicht. Aus den Ergebnissen der genehmigten Arbeiten werden neue Erkenntnisse über Faktoren und Signalwege erwartet, die die hepatische Differenzierung stimulieren oder hemmen, was zu einem verbesserten Verständnis der Prozesse der Leberentwicklung im menschlichen Embryo beitragen kann.
Im Zuge der Aggregation von Leberzellen und endothelialen/mesenchymalen Zellen zu Leber-Organoiden soll vor allem die Frage geklärt werden, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen sich Organoide zu bilden vermögen, die neben Leberparenchym-artigen Strukturen auch Gallen-Canaliculi-artige Strukturen bilden und so die Voraussetzung haben, die biliäre Detoxifizierung als wesentliche hepatische Funktion leisten zu können. Es wird zum einen erwartet, dass sich aus der Analyse der Eigenschaften der Leber-Organoide neue Erkenntnisse über die wechselseitige Beeinflussung verschiedener Zelltypen während der Leberentwicklung ergeben könnten. Zum anderen besteht die begründete Aussicht, dass die Aggregation humaner Leberzellen mit mesenchymalen Stammzellen und endothelialen Zellen eine stärkere Reifung der Leberparenchymzellen in vitro bewirkt, was für die Entwicklung verbesserter Differenzierungsprotokolle von erheblicher Bedeutung sein kann.
Die geplante umfassende Charakterisierung von in immundefiziente Mäuse transplantierten Leberzellen/Organoide hinsichtlich ihrer Stoffwechselaktivität in vivo und nach Explantation in vitro soll Erkenntnisse darüber erbringen, ob und in welchem Maße eine weitere Reifung der Zellen im Kontext der (ggf. geschädigten) Mausleber erfolgt und ob die hepatischen Zellen alle für die Leberfunktion notwendigen metabolischen Leistungen erbringen. Dies lässt Rückschlüsse darauf zu, ob sich die hepatischen Zellen, die nach den zu entwickelnden Methoden aus hES-Zellen abgeleitet werden, grundsätzlich für einen künftig denkbaren Einsatz in der regenerativen Medizin eignen. Die langfristige Entwicklung von transplantierbaren Leber-Organoiden (oder auch nur die Bereitstellung funktionsfähiger menschlicher Hepatozyten in ausreichender Menge) ist eine Zielstellung von großer medizinischer und gesundheitspolitischer Relevanz, zu der die genehmigten Forschungsarbeiten bei erfolgreicher Durchführung ggf. beitragen können.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt ist.
Verschiedene Methoden zur hepatischen Differenzierung von hES-Zellen sind bereits in der wissenschaftlichen Literatur publiziert worden. Die Prozesse, die zur Entstehung hepatischer Vorläuferzellen des Menschen führen, sind hinsichtlich ihrer molekularen Grundlagen gut untersucht, und die beteiligten Signalwege sind bekannt. Die Weiterentwicklung hepatischer Vorläuferzellen in vitro führte bislang in den meisten Fällen aber nur bis zu Zellen, die hinsichtlich der Expression hepatischer Schlüsselgene einen mittleren fötalen Phänotyp aufweisen. Die Vorgänge, die bei der Reifung von hepatischen Vorläuferzellen in hepatische Zellen auf molekularer Ebene ablaufen, sind im Menschen bislang nur wenig verstanden und sollen im beantragten Forschungsvorhaben weiter aufgeklärt werden. Die Charakterisierung der entstandenen hepatischen Zellen erfolgt nach Standardmethoden, die bei der Antragstellerin etabliert sind. Die im Mittelpunkt des Vorhabens stehende Frage danach, welche weiteren als die bislang für diese Funktion bekannten miRNAs an der Differenzierung und vor allem an der Reifung hepatischer Zellen beteiligt sind, ist ebenfalls umfangreich vorgeklärt worden, was im Antragsverfahren ausführlich belegt wurde. Auch die Frage, ob und inwieweit die Aggregation von Leber(vorläufer)zellen bzw. deren Kultur unter 3D-Bedingungen zu einer verbesserten metabolischen Leistung der hepatischen Zellen führen können, wurde in der Vergangenheit unter Verwendung humaner pluripotenter Stammzellen untersucht; entsprechende Resultate sind bereits publiziert worden. Es wurde beispielsweise gezeigt, dass die Aggregation von aus pluripotenten Stamzellen des Menschen abgeleiteten Leberparenchymzellen, die einem frühen fötalen Entwicklungsstadium entsprechen, in Kokultur mit endothelialen und mesenchymalen Zellen zu einer stärkeren Reifung der Leberzellen führte, als dies in 2D-Kultur beobachtet werden konnte. Die Mausmodelle, die Verfahren zur Transplantation und die Endpunkte, die zur Bewertung des Transplantationserfolges sowie zur Überprüfung der Funktionalität und des Reifegrades der transplantierten Zellen herangezogen werden sollen, sind ebenfalls in der wissenschaftlichen Literatur etabliert und bei der Genehmigungsinhaberin zum Teil bereits in der Vergangenheit genutzt worden.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Tierische Hepatozyten, vor allem der Maus, haben – verglichen mit humanen Hepatozyten – ein deutlich anderes metabolisches Profil. Ihre Nutzung als Zellmodell für die Arzneimittelentwicklung/Toxizitätsprüfung ist daher nur eingeschränkt möglich; eine Nutzung für therapeutische Zwecke beim Menschen ist ausgeschlossen. Zudem gibt es nur teilweise Übereinstimmungen zwischen Maus und Mensch hinsichtlich des Profils einiger miRNAs in der Leber; Unterschiede im miRNA-Profil sich entwickelnder Leberzellen beider Spezies sind in der wissenschaftlichen Literatur dokumentiert. Andere humane Zellen als pluripotente Stammzellen, wie beispielsweise primäre Hepatozyten des Menschen, haben den hier in erster Linie interessierenden Reifungsprozess von der bi-potenten hepatischen Vorläuferzelle zum reifen Hepatozyten bereits durchlaufen. Fötale menschliche Leberzellen können aus abgetriebenen Föten zwar gewonnen werden, jedoch nicht in für die Projektdurchführung ausreichender Menge sowie nicht in reproduzierbarer oder standardisierbarer Qualität. Immortalisierte humane Leber- oder Gallengangzellen sowie humane Hepatom- oder Cholangiokarzinom-Zell-Linien weisen nicht das metabolische Profil reifer Hepatozyten auf; sie sind für Differenzierungsexperimente zur Untersuchung der molekularen Grundlagen von Entwicklungsprozessen im Menschen nicht oder nur stark eingeschränkt verwendbar. Auch dafür, dass die Forschungsziele unter ausschließlicher Nutzung von hiPS-Zellen erreicht werden könnten, liegen derzeit keine ausreichenden Belege vor. Es ist zum einen bekannt, dass erhebliche Unterschiede in der Fähigkeit verschiedener hiPS-Zell-Linien bestehen, sich in hepatische Zellen zu differenzieren. Dies kann offenbar durch Unterschiede in der Herkunft des somatischen Materials begründet sein, aus dem die hiPS-Zellen abgeleitet werden. Ferner gibt es widersprüchliche Resultate hinsichtlich des metabolischen Profils der aus hiPS-Zellen differenzierten hepatischen Zellen. Es besteht bislang keine Klarheit über die Ursachen für die Unterschiede im hepatischen Differenzierungspotential verschiedener hiPS-Zell-Linien. Zum anderen ist es gerade für die Frage nach den möglichen Veränderungen im miRNA-Profil sich hepatisch differenzierender Zellen erheblich, dass sich hES- und hiPS-Zellen offenbar hinsichtlich ihres miRNA-Profils teilweise unterscheiden, was in der wissenschaftlichen Literatur gut dokumentiert ist. Folglich kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die postulierten Veränderungen im Expressionsprofil von miRNAs im Zuge der hepatischen Differenzierung bei hES- und hiPS-Zellen identisch sind.
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