97. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaber
Herr Prof. Wolfgang Wurst, Helmholtz-Zentrum München
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H7 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H13 (WiCell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HES-3 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
Die Genehmigung gilt auch für die Einfuhr und Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Im ersten Teil des genehmigten Forschungsvorhabens sollen Protokolle für die Gewinnung dopaminerger Neurone aus humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) etabliert und ggf. optimiert werden. Nach Einbringung von Reportergen-Expressionskassetten, die spezifische Stadien der dopaminergen Differenzierung anzeigen, sollen Zwischenstadien, die bei der Differenzierung von hES-Zellen zu dopaminergen Neuronen auftreten, identifiziert bzw. genauer charakterisiert, an der Differenzierung beteiligte Moleküle, Rezeptoren und Signalwege bestimmt und die Erkenntnisse aus diesen Untersuchungen zur Optimierung der Differenzierungsprotokolle verwendet werden. Ferner soll der Einfluss von Komponenten der extrazellulären Matrix (ECM) auf die Entstehung dopaminerger Neurone bestimmt und geprüft werden, ob und inwieweit die Manipulation der Expression von Genen, die für ECM-Komponenten kodieren, diese Differenzierung beeinflussen kann. Die in vitro aus hES-Zellen gewonnenen dopaminergen Neurone sollen ausführlich bezüglich biochemischer, molekularer und elektrophysiologischer Parameter untersucht und nach Transplantation in Nagermodelle des Morbus Parkinson ausführlich analysiert werden.
Im zweiten Teil des Forschungsvorhabens sollen gezielt Punktmutationen in hES-Zellen eingeführt werden, die bei erblich bedingten Formen des Morbus Parkinson auftreten. Die genetisch veränderten hES-Zellen sollen dann in Richtung dopaminerger Neurone differenziert und das Transkriptom, das Proteom und das Metabolom der Zellen zu verschiedenen Zeitpunkten ihrer Differenzierung untersucht werden. Ferner sollen reife dopaminerge Neurone bezüglich elektrophysiologischer Parameter, hinsichtlich der Bildung von Synapsen und Neuriten sowie mit Blick auf biochemische Parameter analysiert werden. Schließlich soll das Vermögen von genetisch veränderten hES-Zellen, sich in dopaminerge Neurone zu differenzieren, mit jenem von humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPS-Zellen) verglichen werden, die aus Zellen von Patienten mit entsprechenden genetischen Veränderungen abgeleitet werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung und des RKI hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn sowohl für die Grundlagenforschung als auch für die Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei der Entwicklung therapeutischer Verfahren zur Anwendung beim Menschen. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Ziel der beantragten Forschungsarbeiten unter Verwendung von hES-Zellen ist es, das Verständnis der molekularen Prozesse bei der Differenzierung pluripotenter Zellen in dopaminerge Neurone zu vertiefen und so zur Schaffung von Grundlagen für eine stammzellbasierte Therapie des Morbus Parkinson beizutragen. Ferner sollen molekulare Pathogenesemechanismen bei genetisch bedingten Formen dieser Erkrankung aufgeklärt werden.
Im Rahmen der genehmigten Forschungsarbeiten sollen hES-Reporterzellen erzeugt werden, in denen die Expression eines Reportergens an die Expression von Genen gekoppelt ist, die während der Differenzierung zu dopaminergen Neuronen aktiv sind. Die modifizierten hES-Zellen sollen in Richtung dopaminerger Neurone differenziert und die während der dopaminergen Differenzierung auftretenden zellulären Zwischenstadien angereichert und analysiert werden. Durch Analyse der Genexpressionsmuster von während spezifischer Differenzierungsphasen auftretenden Zellpopulationen sollen Rezeptoren und Signalwege identifiziert werden, die in diesen Differenzierungsstadien aktiv sind. Ferner soll der Einfluss von spezifischen Komponenten der ECM auf diese Differenzierung analysiert werden, beispielsweise durch knock out oder Überexpression von Genen, deren Produkte am Aufbau der ECM beteiligt sind. Auf der Basis gewonnenen Erkenntnisse sollen Parameter etabliert werden, mit Hilfe derer eine bessere als bislang mögliche Unterscheidung verschiedener Subtypen dopaminerger Neurone beim Menschen möglich ist. Aus den angestrebten Ergebnissen können voraussichtlich auch Rückschlüsse auf Vorgänge der frühen Gehirnentwicklung beim Menschen gezogen werden. Ferner soll das Vorhaben zur Klärung der derzeit offenen Frage beitragen, ob an der Entwicklung dopaminerger Neurone des Menschen dieselben molekularen Netzwerke beteiligt sind wie in der Maus und welche Unterschiede bestehen. Die erzielten Ergebnisse sollen dann Grundlage für die angestrebte Verbesserung von Vorgehensweisen für die In-vitro-Differenzierung von humanen pluripotenten Stammzellen in Richtung dopaminerger Neurone sein, was Voraussetzung für eine künftige klinische Anwendung dieser Zellen ist. Die geplante Untersuchung der Eigenschaften und Funktionalität dieser in vitro gewonnenen dopaminergen Neuronen nach Transplantation in Nagermodelle des Morbus Parkinson kann zudem zur Schaffung von Grundlagen für künftige regenerative Therapien beitragen.
Im zweiten Vorhabensteil soll dann untersucht werden, ob infolge von genetischen Defekten, die mit selten auftretenden Formen von erblich bedingten Morbus Parkinson assoziiert sind, bereits während der neuronalen Differenzierung Entwicklungsdefizite auf zellulärer Ebene auftreten, die mit der Pathogenese der Erkrankung im Erwachsenenalter in Zusammenhang stehen. Dabei sollen unter anderem die funktionellen Konsequenzen von Defekten in Genen untersucht werden, deren Produkte mit Mitochondrienfunktionen und folglich mit dem Energiestoffwechsel der Zellen assoziiert sind. Zu diesem Zweck sollen entsprechende Mutationen in hES-Zellen eingeführt und die mutierten Zellen in verschiedenen Stadien ihrer Differenzierung in Richtung dopaminerger Neurone bezüglich möglicher Veränderungen im Vergleich mit wildtyp-hES-Zellen untersucht werden. Durch umfassende Analysen des Transkriptoms, des Epigenoms, des Proteoms und des Metaboloms zu verschiedenen Zeitpunkten der Differenzierung sollen die Effekte der Mutationen auf die sich differenzierenden Zellen ermittelt, involvierte Signaltransduktionswege bestimmt und beteiligte Rezeptoren und Signalmoleküle identifiziert werden. Aus diesen und weiteren geplanten Untersuchungen soll Aufschluss darüber gewonnen werden, welche spezifischen entwicklungsbiologischen und ggf. funktionellen Defizite infolge der jeweiligen Mutationen auftreten. Dies kann u. a. mit Blick auf das Verständnis der Rolle solcher Mutationen bei der Pathogenese erblich bedingter Formen des Morbus Parkinson von erheblicher Relevanz, aber auch von Belang für das Verständnis eines beispielsweise veränderten Energiestoffwechsels bei sporadisch auftretenden Formen des Morbus Parkinson sein.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt ist.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden die verschiedenen Stadien der Entwicklung dopaminerger Neurone aus pluripotenten Stammzellen sowie die an dieser Entwicklung beteiligten Moleküle und Signalwege im Mausmodell umfassend untersucht. Vorgehensweisen zur dopaminergen Differenzierung humaner pluripotenter Stammzellen sind in der Literatur ebenfalls bereits vielfach beschrieben worden. Die Fragestellung, auf welchem grundsätzlichen Wege pluripotente Stammzellen des Menschen zu dopaminergen Neuronen differenziert werden können, ist somit umfassend vorgeklärt, wobei stetig weitere Faktoren entschlüsselt werden, die an diesem Differenzierungsprozess beteiligt sind und deren Nutzung zur Etablierung von effektiveren Vorgehensweisen für die dopaminerge Differenzierung in vitro beitragen konnte. Die grundsätzliche Eignung von in vitro aus hES-Zellen gewonnenen dopaminergen Neuronen für die Therapie des Morbus Parkinson wurde mittels Transplantation in verschiedene Tiermodelle des Morbus Parkinson in der Vergangenheit vielfach belegt. Dabei konnten – trotz bestimmter Defizite des transplantierten Materials beispielsweise hinsichtlich des Anteils dopaminerger Neurone – regelmäßig therapeutische Effekte unter Nutzung von aus hES-Zellen abgeleitetem Material beobachtet werden,,. [1] [2]
Spezifische genetische Veränderungen, die erblich bedingte und sich früh manifestierende Formen des Morbus Parkinson verursachen, sind in der Literatur vielfach beschrieben worden. Methoden zur gezielten Mutagenese von hES-Zellen, die im genehmigten Vorhaben zum Einsatz kommen sollen, sind ebenfalls gut etabliert. Zudem bestehen für die im Forschungsvorhaben verfolgte These, dass bei erblichen Formen des Morbus Parkinson auftretende genetische Veränderungen insbesondere den Energiestoffwechsel betreffen, angesichts der Ergebnisse von Untersuchungen an Zellen aus Patienten mit entsprechenden Erkrankungen gute Anhaltspunkte.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Eine Nutzung anderer als menschlicher Zellen für die künftige Therapie des Morbus Parkinson beim Menschen ist ausgeschlossen. Insofern müssen auch die Protokolle für die Bereitstellung der künftig benötigten Zellen unter Verwendung humanen Materials entwickelt, optimiert und verifiziert werden. Zudem soll im Zuge der Optimierung von Differenzierungsprotokollen – und als Grundlage für deren Weiterentwicklung – geklärt werden, welche Moleküle und Signalwege bei der Entstehung und Reifung dopaminerger Neurone des Menschen eine Rolle spielen, wobei gerade überprüft werden soll, ob in der Maus identifizierte Faktoren im humanen Kontext dieselben Wirkungen bezüglich ihres Einflusses auf die neuronale Differenzierung haben, ob und wenn ja welche Unterschiede bestehen und worin diese begründet sind, was die Nutzung humaner Zellen zwingend erfordert. Da hierbei auch Prozesse der frühen neuralen Differenzierung untersucht werden sollen, die andere Stammzellen des Menschen wie beispielsweise adulte oder fötale neurale Stammzellen bereits durchlaufen haben, werden zur Erreichung der Forschungsziele humane embryonale Stammzellen benötigt.
Auch die hier interessierenden Zellkulturmodelle für den Morbus Parkinson beim Menschen können nicht unter Nutzung muriner Zellen entwickelt werden, da offenbar erhebliche Unterschiede in den funktionellen Konsequenzen der hier zu untersuchenden Mutationen in Maus und Mensch bestehen. Andere menschliche Stammzellen, beispielsweise aus humanen Föten gewonnene neurale (Vorläufer)Zellen sind aufgrund der geringen Reproduzierbarkeit ihrer Gewinnung, ihrer schlechten Kultivierbarkeit in vitro, der nicht geklärten Frage nach ihrer reproduzierbaren In-vitro-Differenzierbarkeit zu dopaminergen Neuronen sowie ihrer nur geringen Zugänglichkeit für genetische Veränderungen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zur Erreichung der angestrebten Forschungsziele geeignet.
Ferner können die Forschungsziele voraussichtlich auch nicht durch Verwendung von hiPS-Zellen erreicht werden. hiPS-Zellen zeigen eine hohe Variabilität in ihrem neuronalen Differenzierungsvermögen, die in hES-Zellen nicht beobachtet wird. Die beobachtete Variabilität innerhalb der hiPS-Zellen kann u. a. mit der jeweils gewählten Reprogrammierungsmethode zur Herstellung der Zellen sowie mit dem als Ausgangsmaterial für die Reprogrammierung verwendeten Zelltyp und folglich ggf. mit dem epigenetischen Gedächtnis von hiPS-Zellen in Zusammenhang stehen. Zudem birgt, mit Blick auf die angestrebte Etablierung regenerativer Therapien, die Verwendung hiPS-Zell-abgeleiteter Zellen aufgrund der Möglichkeit von erworbenen genetischen Veränderungen des Ausgangsmaterials und Unwägbarkeiten hinsichtlich möglicher Nebeneffekte des Reprogrammierungsprozesses höhere Risiken als die Verwendung hES-Zell-abgeleiteten Materials. Auch zur Klärung der Frage nach dem Einfluss, den spezifische und mit erblichen Formen des Morbus Parkinson assoziierte Mutationen auf die molekularen Eigenschaften der betroffenen Zellen in verschiedenen Stadien ihrer Differenzierung in Richtung dopaminerger Neurone haben, sind hiPS-Zellen nicht in gleichem Maße geeignet wie hES-Zellen. Dabei ist hier u. a. erheblich, dass hiPS-Zellen weniger ursprünglich als hES-Zellen sind, beispielsweise infolge von bereits im Ausgangsmaterial vorhandenen genetischen Veränderungen mit möglichen Auswirkungen auf die gerade durch die Mutation betroffenen Eigenschaften der Zellen oder durch eine unvollständige Reprogrammierung und daraus folgende Unwägbarkeiten bezüglich der Integrität des Epigenoms, was ggf. die Einordnung und Verallgemeinerung beobachteter Effekte erschweren oder unmöglich machen kann.
[1] Chiba, Stem Cells, 26, 2810-2820, 2008
[2] Cho, PNAS, 105, 3392-3396, 2008
nach oben