75. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaber(in)
Herr Prof. Dr. Martin Zenke, RWTH Aachen
2. Zell-Linien
Die vorgesehenen Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H7 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
- HES-2 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- HES-3 (ES Cell International Pte Ltd, Singapur)
- HUES6 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- I3 (Technion, Haifa, Israel)
Die Genehmigung gilt auch für die Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Die genehmigten Forschungsarbeiten zielen auf die Etablierung von Zellmodellen für myeloproliferative Neoplasien (MPN), eine Gruppe von Erkrankungen des blutbildenden Systems. Als Grundlage für die Etablierung der Zellmodelle sollen humane induzierte pluripotente Stammzellen (hiPS-Zellen) aus von MPN betroffenen Patienten dienen, deren Eigenschaften auch unter Verwendung von hES-Zellen als Referenzmaterial analysiert werden sollen. In diesen iPS-Zellen sollen für die Entstehung der genannten Leukämien ursächliche genetische Veränderungen identifiziert bzw. verifiziert sowie deren mögliche Auswirkungen auf die Eigenschaften der pluripotenten Zellen wie Genexpressionsmuster und frühes Differenzierungspotential bestimmt werden. Insbesondere für den Fall, dass sich hiPS-Zellen mit bekannten MPN-assoziierten genetischen Veränderungen nicht aus Patienten gewinnen lassen, sollen diese Mutationen zielgerichtet in wildtyp-iPS-Zellen und in hES-Zellen eingeführt werden. Gleichzeitig sollen Protokolle für eine effiziente hämatopoetische Differenzierung pluripotenter menschlicher Stammzellen zunächst an hES-Zellen entwickelt bzw. optimiert und anschließend auf wildtyp-und MPN-hiPS-Zellen übertragen werden. Die hämatopoetisch differenzierten MPN-hiPS-Zellen sollen dann bezüglich ihrer molekularen Charakteristika wie beispielsweise Genexpressionsprofil, Signaltransduktion, epigenetischer Status, Präsenz von (ggf. für MPN charakteristischen) Oberflächenmarkern und Proliferationsfähigkeit hin untersucht und mit wildtyp-iPS-Zellen sowie mit hES-Zellen verglichen werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten an hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des RKI hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagenforschung sowie und können darüber hinaus zur Schaffung von Grundlagen für die Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Verfahren zur Anwendung beim Menschen beitragen. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Das Verständnis von den molekularen Mechanismen, die der Entstehung von MPN zugrunde liegen, ist von erheblicher Bedeutung für die Entwicklung neuer Strategien zur Therapie dieser Erkrankungen. Für einen Teil der MPN sind bereits mit diesen Erkrankungen assoziierte Mutationen bekannt. Unzureichende Kenntnisse bestehen allerdings darüber, welche Konsequenzen diese Mutationen und ggf. die veränderte Expression von betroffenen Genen auf die Eigenschaften der mutierten Zellen, beispielsweise ihre Signaltransduktion oder ihre Proliferation, haben.
Im genehmigten Forschungsvorhaben sollen MPN-spezifische Zellmodelle auf der Grundlage von aus betroffenen Patienten abgeleiteten hiPS-Zellen etabliert und charakterisiert werden. Die geplante Herstellung von iPS-Zellen aus Patienten mit MPN soll zunächst die Identifizierung neuer MPN-spezifischer Mutationen auf der Grundlage klonaler Zellkulturen erlauben und die Verifizierung bekannter bzw. vermuteter Mutationen ermöglichen, die mit MPN in Zusammenhang stehen. Dies kann bereits zu neuen Erkenntnissen über die genetischen Ursachen verschiedener Formen von MPN führen. Die patientenspezifischen hiPS-Zellen sollen in diesem Zusammenhang bezüglich der für pluripotente Zellen typischen Eigenschaften untersucht und mit wildtyp-hiPS-Zellen sowie mit hES-Zellen verglichen werden. Die geplanten Expressionsanalysen sowie die Bestimmung des frühen Differenzierungspotentials dieser Zellen in vitro und in vivo könnten ggf. bereits Hinweise auf mögliche Veränderungen infolge der MPN-Mutationen erbringen.
Im weiteren Verlauf des Vorhabens sollen die MPN-Zellen dann gerichtet in hämatopoetische Stammzellen und anschließend in verschiedene Blutzellen, die von MPN betroffen sind, differenziert werden. Im Zusammenhang damit sollen die derzeit bekannten und wenig effizienten Protokolle für die hämatopoetische Differenzierung humaner embryonaler Stammzellen optimiert und dann auf hiPS-Zellen übertragen werden. Im Ergebnis dieser Arbeiten könnten verbesserte Protokolle für die In-vitro-Differenzierung von hES- und hiPS-Zellen in hämatopoetische Zellen vorliegen. Zudem können Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob und inwieweit sich hES- und hiPS-Zellen bezüglich ihres Potentials zur Differenzierung in Blutzellen gleichen bzw. unterscheiden.
Im Mittelpunkt der sich anschließenden Charakterisierung der aus patientenspezifischen hiPS-Zellen gewonnenen differenzierten MPN-Zellen steht die Untersuchung von deren Genexpressionsprofil und Epigenom, wodurch ggf. für die Entstehung von MPN maßgebliche Genprodukte identifiziert, eine mögliche Modifikation zellulärer Signalübertragungswege detektiert und potentielle epigenetische Veränderungen erfasst werden können. Derartige Erkenntnisse können zu einem verbesserten Verständnis der molekularen Ursachen von ggf. verschiedenen Formen von MPN beitragen. Ferner sollen Erkenntnisse über Oberflächenmoleküle gewonnen werden, die möglicherweise für von MPN betroffene Blutzellen charakteristisch sind und auf deren Grundlage künftig ggf. neue Methoden zur frühzeitigen Diagnose von MPN in Blut- oder Knochenmarkproben entwickelt werden könnten.
Durch die geplante molekulare Analyse der MPN-Zellen und deren Vergleich mit hES-Zellen soll ein besseres Verständnis der biochemischen oder physiologischen Prozesse gewonnen werden, die bei der MPN dereguliert sind, was ggf. die Identifizierung potentieller zellulärer targets für eine therapeutische Intervention erlauben könnte. Auf dieser Grundlage sollen im Rahmen des Forschungsvorhabens dann neue zellbasierte Assays entwickelt werden, die auf patientenspezifischen hiPS-Zellen beruhen und an denen im Hochdurchsatzverfahren neue Wirkstoffe zur Behandlung der MPN identifiziert werden können. Dies ist angesichts der Tatsache, dass für verschiedene MPN-Erkrankungen (wie beispielsweise für bestimmte Formen der Mastozytose) derzeit keine ausreichenden Therapieoptionen verfügbar sind und diese zum Tod des Patienten führen, von erheblicher Bedeutung.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt und die Nutzung humaner ES-Zellen gerechtfertigt ist.
Es wurde dargelegt, dass Methoden zur hämatopoetischen Differenzierung von murinen und humanen pluripotenten Zellen in der Literatur umfassend beschrieben sind, jedoch ist deren Effizienz – beispielsweise im Vergleich mit der Differenzierung in neurale Zellen – relativ gering. Eine weitere Vorklärung dieser Frage an pluripotenten Zellen anderer Spezies würde – wegen erheblicher speziesspezifischer Unterschiede in der Hämatopoese beispielsweise zwischen Maus und Mensch – voraussichtlich keinen für das Forschungsvorhaben erheblichen Erkenntnisgewinn erbringen.
Die im genehmigten Projekt geplante Herstellung patientenspezifischer hiPS-Zellen ist im Labor des Genehmigungsinhabers etabliert und ausreichend vorgeklärt. Gleiches gilt für die dazu notwendige Isolierung von Blutstammzellen aus Patienten und ihre Vermehrung in vitro. Es wurde ferner dargelegt, dass mit MPN assoziierte Mutationen, die ggf. auch in hES-Zellen eingeführt werden sollen, in der Literatur umfangreich beschrieben worden sind. So ist z.B. die systemische Mastozytose in einer Vielzahl von Fällen mit der D816V-Mutation des Stammzellfaktors (SCF) assoziiert. Andere MPN-Formen sind beispielsweise mit dem Vorliegen von Mutationen im Signaltransduktionsprotein JAK2, im Rezeptor für Thrombopoetin oder in Proteinen assoziiert, die die Chromatinstruktur beeinflussen.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Humane embryonale Stammzellen dienen im genehmigten Forschungsvorhaben vorrangig zu Vergleichszwecken mit wildtyp- und MPN-hiPS-Zellen. Daneben sollen hES-Zellen vor allem zur Etablierung und Optimierung hämatopoetischer Differenzierungsprotokolle genutzt werden.
Die im Forschungsvorhaben angestrebten Ziele können nur unter Verwendung menschlicher Zellen erreicht werden. Für die MPN, für die hier mittels hiPS-Zellen ein Zellmodell etabliert werden soll, gibt es keine entsprechenden Erkrankungen in der Maus. Zwar könnten für MPN typische Mutationen in pluripotente Stammzellen der Maus eingeführt und diese zu MPN-ähnlichen Zellen differenziert werden. Jedoch bestehen erhebliche Unterschiede in der Hämatopoese von Mensch und Maus, so dass nicht anzunehmen ist, dass die beim Menschen in MPN-Zellen auftretenden molekularen Veränderungen in der Maus in identischer Weise zu erwarten sind. Auch die geplante Etablierung und Optimierung von Protokollen für die hämatopoetische Differenzierung humaner pluripotenter Stammzellen kann aufgrund der bekannten Speziesunterschiede in der hämatopoetischen Differenzierung nicht unter Verwendung nicht-menschlicher Zellen durchgeführt werden. Zudem lassen sich die Forschungsziele voraussichtlich auch nicht unter Verwendung humaner primärer Zellen erreichen. Aufgrund der Tatsache, dass keine spezifischen Oberflächenmarker für von MPN betroffene Zellen bekannt sind und dass in der entscheidenden initialen Phase der Erkrankung nur wenige derartige Zellen im Knochenmark und im Blut präsent sind, können primäre Zellen nicht in für die Etablierung von Zellmodellen notwendiger Menge angereichert und in Bezug auf ihre molekularen Eigenschaften untersucht werden.
Zudem ist eine Nutzung von pluripotenten embryonalen Stammzellen nicht-menschlicher Spezies als Referenzmaterial zur Beurteilung der Pluripotenz humaner iPS-Zellen ̶ aufgrund der signifikanten und seit langem bekannten Unterschiede zwischen pluripotenten Zellen verschiedener Spezies ̶ nicht möglich. Andere menschliche Stammzellen (beispielsweise adulte oder fötale Stammzellen) sind aufgrund des Fehlens von Pluripotenz als Referenzmaterial für die Bewertung der Pluripotenz von hiPS-Zellen ungeeignet. Hierfür sind ausschließlich hES-Zellen als einzige bona-fide pluripotente Zellen des Menschen geeignet.
Eine ausschließliche Etablierung der Differenzierungsprotokolle an hiPS-Zellen ist aufgrund der noch ungeklärten Frage, ob und inwieweit sich die hämatopoetische In-vitro-Differenzierung zwischen hiPS- und hES-Zellen unterscheidet, ebenfalls nicht möglich. Die im Vorhaben genutzten Protokolle zur hämatopoetischen Differenzierung müssen sowohl auf hES- als auch auf hiPS-Zellen anwendbar sein, um eine optimale Differenzierung beider pluripotenter Zelltypen zu ermöglichen. Die Nutzung von aus hES-Zellen differenzierten Blutzellen als Referenzmaterial ist u. a. notwendig, um ausschließen zu können, dass bestimmte (möglicherweise in wildtyp- und MPN-iPS-Zellen beobachtete) molekulare Veränderungen lediglich eine Folge des Reprogrammierungsprozesses sind. Insofern ist auch für die Etablierung robuster und reproduzierbarer Differenzierungsprotokolle die Verwendung von hES-Zellen notwendig.
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