59. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
1. Genehmigungsinhaber(in)
Herr Dr. Jan Pruszak, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
2. Zell-Linien
Die genehmigten Forschungsarbeiten erfolgen unter Verwendung der folgenden humanen embryonalen Stammzell-Linien:
- H1 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H7 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H9 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
- H14 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
- hESBGN-01 (BresaGen - a Division of Novocell, Inc, Athens, GA, USA)
- HUES2 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- HUES6 (Harvard University, Cambridge, MA, USA)
- NCL-3 (Newcastle Fertility Centre, Newcastle upon Tyne, Großbritannien)
- NCL-4 (Newcastle Fertility Centre, Newcastle upon Tyne, Großbritannien)
- Shef-3 (University of Sheffield , Sheffield, Großbritannien)
Die Genehmigung gilt auch für die Einfuhr und Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linien.
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Gegenstand der genehmigten Arbeiten mit human embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) ist die Untersuchung von Fragen, die im Zusammenhang mit der neuralen Differenzierung beim Menschen stehen. Dabei sollen in einem ersten Teilprojekt hES-Zellen in verschiedene neurale Sublinien differenziert und diese eingehend bezüglich der Präsenz spezifischer Oberflächenantigene charakterisiert werden. Die Differenzierungseffizienz soll einerseits durch Variation der Kulturbedingungen, andererseits durch Überexpression von Genen für Transkriptionsfaktoren, die für die neurale Differenzierung bedeutsam sind, verbessert werden. Ziel dieses Teilprojektes ist es, die Anwesenheit von bestimmten Oberflächenmarkern auf neuralen (Vorläufer)Zellen mit einem spezifischen neuralen Entwicklungspotential bzw. mit bestimmten funktionellen Eigenschaften zu korrelieren, ggf. neue Subpopulationen neuraler (Vorläufer)zellen zu identifizieren und darüber hinaus neurale Subpopulationen anhand der Oberflächenmarker voneinander trennen zu können. Die gewonnenen neuralen Subpopulationen sollen eingehend in vitro sowie nach Transplantation in das Gehirn von Nagetieren bezüglich ihrer Vitalität, ihrer Reifung und ihrer Integration in das Wirtsgewebe untersucht werden. Ferner soll durch Ko-Kultivierung bestimmter neuraler Subpopulationen analysiert werden, welche Zell-Zell-Wechselwirkungen beim weiteren Fortgang der Differenzierung bzw. bei der Reifung neuraler Zellen eine Rolle spielen. In einem zweiten Teilprojekt sollen auf der Grundlage hES-Zell-basierter Reporterzell-Linien Gene identifiziert werden, deren Produkte lösliche Faktoren sind und in sich neural differenzierenden Zellen Signalkaskaden auslösen, die für die Entwicklung bestimmter Typen neuraler Zellen bedeutsam sind. Auf diesem Wege identifizierte Faktoren sollen dann bezüglich ihrer Rolle in der neuralen Differenzierung von hES-Zellen untersucht werden, beispielsweise durch ektopische Überexpression in hES-Zellen bzw. durch Hemmung ihrer Expression mittels RNAi-basierter Ansätze. In einem dritten Teilprojekt sollen auf Grundlage der Ergebnisse aus den ersten Teilprojekten schließlich Differenzierungsprotokolle insbesondere für die Gewinnung dopaminerger und GABAerger Neuronen optimiert und diese Typen neuraler Zellen in entsprechenden Tiermodellen für Schädigungen des Zentralnervensystems bezüglich ihrer Funktionalität überprüft werden.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten an hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethikkommission für Stammzellforschung (ZES) und des RKI hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagenforschung sowie der Erweiterung von Kenntnissen bei der Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren zur Anwendung beim Menschen. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Ziel des Forschungsvorhabens ist es, zu einem besseren Verständnis jener Prozesse zu gelangen, die bei der Differenzierung von hES-Zellen zu neuralen Zellen ablaufen. Durch die geplante Identifizierung spezifischer Kombinationen von Oberflächenmarkern auf neuralen Vorläuferzellen könnte es – analog zum hämatopoetischen System – möglich werden, bestimmte neurale Vorläuferzellen alleine anhand der auf ihnen befindlichen Oberflächenmarker zu charakterisieren, ggf. neue Typen neuraler Vorläuferzelltypen zu identifizieren und die gegenseitige Beeinflussung verschiedener neuraler Vorläuferzellpopulationen während der neuralen Differenzierung zu analysieren. Ferner soll überprüft werden, welche funktionelle Relevanz das Auftreten spezifischer Oberflächenmoleküle in bestimmten neuralen Entwicklungsstadien hat, beispielsweise hinsichtlich der mit der Präsenz dieser Oberflächenmoleküle verbundenen Aktivierung oder Inaktivierung intrazellulärer Signalübertragungswege. Zudem böte die genaue Kenntnis des Repertoires an Oberflächenmolekülen auf bestimmten Typen neuraler (Vorläufer)Zellen die Möglichkeit, aus hES-Zellen abgeleitete neurale Zellen allein aufgrund ihrer Oberflächenmoleküle voneinander zu trennen, spezifische Zellpopulationen anzureichern und in der Folge, ohne dass genetische Modifikationen an hES-Zellen vorgenommen werden müssten, zu reineren Populationen neuraler Zellen zu gelangen, als dies bislang möglich ist.
Weiteres Ziel des Projektes ist es, lösliche Faktoren zu identifizieren, die über Oberflächenmolekül-vermittelte Signaltransduktion das Differenzierungsverhalten bestimmter neuraler (Vorläufer)Zellen beeinflussen und zur Bildung von spezifischen neuralen Zelltypen bzw. deren Vorläufern beitragen können. Durch die Identifizierung derartiger Faktoren und die Analyse der molekularen Ereignisse, die durch ihre Wirkung auf sich differenzierende Zellen insbesondere auf der Ebene der Signaltransduktion sowie im Transkriptom der Zellen ausgelöst werden, kann ein besseres Verständnis von Molekülen und Signalwegen erlangt werden, die an den Prozessen der neuralen Differenzierung beteiligt sind, woraus sich auch Erkenntnisse über Vorgänge bei der menschlichen Neurogenese ergeben können. Zudem können die erwarteten Erkenntnisse zur Entwicklung verbesserter Protokolle für die In-vitro-Differenzierung humaner ES-Zellen zu spezifischen Typen neuraler Zellen beitragen.
Ferner sollen durch die Analyse von Zell-Zell-Wechselwirkungen bei der Differenzierung, Reifung und Migration menschlicher neuraler (Vorläufer)Zellen die gegenseitige Beeinflussung von neuralen Zellpopulationen während ihrer Differenzierung analysiert, daran beteiligte Oberflächenmoleküle bestimmt und die Relevanz entsprechender Zell-Zell-Wechselwirkung für den weiteren Fortgang der Differenzierung geklärt werden. Dies kann zu Erkenntnissen über die Rolle direkter Zell-Zell-Kontakte während der neuralen Differenzierung, deren Vermittlung über Oberflächenmoleküle sowie über daran beteiligte Faktoren und Signalwege erbringen, was im Ergebnis ebenfalls einen Beitrag zum Verständnis der Neurogenese beim Menschen leisten kann.
Die im Projekt gewonnenen Erkenntnisse sollen dann zur Entwicklung verbesserter Differenzierungsprotokolle für die Gewinnung bestimmter Typen menschlicher Neuronen, beispielsweise dopaminerger und GABAerger Neuronen, aus hES-Zellen verwendet werden. Diese sollen angereichert, umfassend in vitro analysiert und bezüglich ihrer Reifung und Integration in das Nervengewebe nach Transplantation in Tiermodelle untersucht werden. Dies kann zur Entwicklung von Grundlagen für eine künftig vorstellbare Gewebeersatztherapie degenerativer Erkrankungen des ZNS beitragen. Zudem könnten reinere Populationen funktioneller menschlicher Neuronen auch für die Entwicklung verbesserter, auf humanen Zellen basierender In-vitro-Testsysteme verwendet werden, wie sie beispielsweise für die Identifizierung neuer Arzneimittel-targets oder für sicherheitspharmakologische Studien benötigt werden. Durch die geplante vergleichende Untersuchung humaner embryonaler und induzierter pluripotenter Stammzellen soll ein Beitrag zur Klärung der Frage geleistet werden, ob und inwieweit sich hiPS-Zellen und hES-Zellen bezüglich des Entwicklungspotentials für bestimmte neurale Zelltypen gleichen oder voneinander unterscheiden.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt und die Nutzung humaner ES-Zellen gerechtfertigt ist.
Protokolle für die neurale Differenzierung sowohl muriner als auch humaner ES-Zellen sind von zahlreichen Gruppen entwickelt und optimiert sowie in der wissenschaftlichen Literatur publiziert worden. Der Genehmigungsinhaber selbst hat in den USA bereits Arbeiten mit hES-Zellen durchgeführt, in deren Ergebnis es möglich war, Subpopulationen neuraler Vorläuferzellen anhand bestimmter Oberflächenmarker zu kategorisieren und voneinander zu separieren. Dieser Ansatz soll nun fortgeführt und vertieft werden. Die für die Differenzierung von hES-Zellen zu neuralen Zellen vorgesehenen Ansätze basieren auch auf einer umfangreichen Literatur zur Rolle von bestimmten Transkriptionsfaktoren und Signalwege bei der neuralen Differenzierung, auf Studien zur Rolle von Zell-Zell- und Zell-Matrix-Wechselwirkungen während der neuralen Differenzierung sowie auf Untersuchungen zur Rolle löslicher Faktoren in der neuralen Differenzierung, die im Antragsverfahren dargelegt wurden. Die beabsichtigte Identifizierung von weiteren Faktoren, die in die Spezifizierung von hES-Zellen für die neuralen Linien sowie in die neurale Differenzierung involviert sein könnten, beruht auf methodischen Vorgehensweisen, die in der Vergangenheit etabliert worden sind. Dies betrifft sowohl die Methodik zur Identifizierung löslicher Faktoren als auch die Verwendung von sog. lineage selection-Strategien zur Sichtbarmachung von Differenzierungsereignissen. Die Verfahren zur Charakterisierung der neuralen Zellen sind in der Literatur ebenso etabliert wie die tierexperimentellen Ansätze, die zur Charakterisierung der aus hES-Zellen gewonnenen neuralen Zellen genutzt werden sollen.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Im Antragsverfahren wurde zunächst dargelegt, dass für die geplanten Untersuchungen zur neuralen Differenzierung humane Zellen benötigt werden. Sowohl pluripotente Stammzellen der Maus als auch von nicht-humanen Primaten lassen aufgrund der wesentlichen Unterschiede in der neuralen Entwicklung zwischen den Spezies nicht erwarten, dass an Zellen dieser Spezies gewonnene Erkenntnisse zu den hier interessierenden Fragestellungen in erheblichem Umfang auf das humane System übertragbar sind. Ferner wurde dargelegt, dass die Forschungsziele nur unter Verwendung humaner embryonaler Stammzellen erreicht werden können. Im Projekt sollen in der neuralen Entwicklung des Menschen auftretende spezifische Vorläuferzellpopulationen charakterisiert bzw. identifiziert werden, wobei vor allem sehr frühe Prozesse der neuralen Entwicklung untersucht werden sollen. Dies erfordert Zellen, die noch nicht determiniert bzw. spezifiziert sind. Folglich können adulte neurale Stammzellen, die diese Prozesse bereits durchlaufen haben, nicht zur Klärung der im Projekt aufgeworfenen wissenschaftlichen Fragestellungen verwendet werden. Auch die theoretisch vorstellbare Nutzung fötaler neuraler Stammzellen, die aus abgetriebenen Föten gewonnen werden, ist hier nicht möglich, da die Abtreibung in der Regel zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der Fötus die hier interessierenden Prozesse der neuralen Entwicklung bereits durchlaufen hat.
Die Arbeiten zielen insgesamt auf ein verbessertes Verständnis der neuralen Differenzierung im Menschen. Dazu werden Zellen benötigt, die genetisch und epigenetisch naiv sind, also am besten die Eigenschaften der Zellen im sich entwickelnden frühen menschlichen Embryo spiegeln. Dieses Erfordernis spricht gegen die denkbare ausschließliche Verwendung von hiPS-Zellen anstelle von hES-Zellen zur Klärung der Fragestellungen des Projektes. Die verfügbaren hiPS-Zellen sind i. allg. genetisch modifiziert; es ist derzeit ungeklärt, inwieweit hiPS-Zellen in epigenetischer Hinsicht hES-Zellen gleichen und was die Ursachen für teils beobachte Unterschiede in den epigenetischen Eigenschaften sind. Es ist ferner ein Anliegen des Projektes, zu klären, ob und inwieweit sich an hES-Zellen gewonnene Erkenntnisse, beispielsweise hinsichtlich der Entstehung spezifischer neuraler Zellpopulationen mit einem typischen Spektrum an Oberflächenmolekülen, bezüglich der Wirkung löslicher Faktoren auf die neurale Differenzierung oder in Bezug auf die Anwendbarkeit optimierter Differenzierungsprotokolle, auch auf hiPS-Zellen übertragen lassen. Diese Untersuchungen sollen im Vergleich zwischen hiPS- und hES-Zellen durchgeführt werden, wozu hES-Zellen benötigt werden.
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