32. Genehmigung nach dem Stammzellgesetz
Erteilt am 08. 05. 2008. Genehmigung erweitert am 30.11.2010 (siehe 2.). Forschungsvorhaben beendet. Genehmigung erloschen am 04.05.2021.
1. Genehmigungsinhaber(in)
Herr Professor Dr. Jan Hengstler, Institut für Arbeitsphysiologie, Universität Dortmund
2. Zell-Linien
Die vorgesehenen Forschungsarbeiten basieren auf humanen embryonalen Stammzellen (hES-Zellen) der folgenden Linien:
- SA001 (Cellartis AB, Göteborg, Schweden)
- SA002 (Cellartis AB, Göteborg, Schweden)
Im Rahmen der Erweiterung der Genehmigung vom 30.11.2010 wurden zur Durchführung der unten benannten Forschungsarbeiten die Einfuhr und Verwendung humaner embryonaler Stammzellen der folgenden weiteren Linie genehmigt:
- H9 (Wicell Research Institute, Madison, WI, USA)
Die Genehmigung gilt jeweils auch für die Einfuhr und Verwendung von Sub-Linien (z.B. von klonalen Sub-Linien oder genetisch modifizierten Derivaten) der genannten humanen embryonalen Stammzell-Linie(n).
3. Angaben zum Forschungsvorhaben
Die Einfuhr und Verwendung der oben genannten hES-Zellen wurden für ein Vorhaben genehmigt, das auf die Differenzierung von hES-Zellen zu Zellen mit weitgehenden Eigenschaften humaner Hepatozyten (im folgenden als leberzellähnliche Zellen bezeichnet) zielt. Das Projekt wird im Rahmen des durch die Europäische Gemeinschaft geförderten Projektes ESNATS durchgeführt. Die zur Anwendung kommenden Differenzierungsprotokolle sollen verglichen und optimiert sowie die entstehenden leberzellähnlichen Zellen morphologisch, biochemisch und funktionell charakterisiert werden. Dabei soll insbesondere untersucht werden, ob die gewonnenen Zellen über die für Leberzellen typische Fähigkeit verfügen, Xenobiotika metabolisieren zu können. Die Eigenschaften der aus hES-Zellen abgeleiteten leberzellähnlichen Zellen sollen mit denen von primären menschlichen Hepatozyten sowie von leberzellähnlichen Zellen, die aus somatischen Stamm- bzw. Vorläuferzellen abgleitet wurden, verglichen werden. Dabei sollen sowohl physiologische, biochemische und funktionelle Parameter untersucht als auch die jeweiligen Transkriptome analysiert werden. Für den Fall, dass die aus hES-Zellen differenzierten Zellen die erwarteten leberzelltypischen Eigenschaften aufweisen, sollen sie mit anderen, von den Projektpartnern aus hES-Zellen differenzierten Zellen (z.B. Neuronen) in einem Distanz-Kokultursystem kultiviert werden. Dabei soll – wiederum im Vergleich mit den oben genannten Zelltypen – die Fähigkeit der leberzellähnlichen Zellen zur Metabolisierung von Substanzen bestimmt werden, die erst nach Metabolisierung durch humane Leberzellen eine toxische Wirkung, beispielsweise auf menschliche Neuronen, entfalten.
4. Hochrangigkeit der Forschungsziele
Entsprechend der im Antragsverfahren erbrachten wissenschaftlich begründeten Darlegung dienen die genehmigten Forschungsarbeiten an hES-Zellen nach übereinstimmender Auffassung der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES) und des Robert Koch-Institutes (RKI) hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagenforschung sowie der Erweiterung medizinischer Kenntnisse im Sinne des § 5 StZG. Für diese Beurteilung sind folgende Gründe maßgeblich:
Im Rahmen der genehmigten Arbeiten soll die wesentliche Frage geklärt werden, ob aus hES-Zellen leberzellähnliche Zellen, die in ihren wesentlichen Eigenschaften reifen humanen Hepatozyten entsprechen, reproduzierbar gewonnen werden können. Die In-vitro-Differenzierung sowohl von embryonalen Stammzellen als auch verschiedenen adulten Stammzelltypen in Leberzellen, die eine mit reifen primären Hepatozyten des Menschen vergleichbare metabolische Funktionalität aufweisen, ist nach dem derzeit publizierten Kenntnisstand bislang nicht gelungen. Die geplante Verwendung verschiedener Differenzierungsprotokolle und die umfangreiche detaillierte Untersuchung der dabei entstehenden Zellen im Vergleich mit primären Hepatozyten sollen zum Verständnis darüber beitragen, welche Moleküle und Signaltransduktionswege an der Differenzierung von hES-Zellen zu (reifen) Leberzellen beteiligt sind. Aus den Projektergebnissen können sich auch Erkenntnisse über die bei der Entwicklung der menschlichen Leber ablaufenden Prozesse während der Embryonalentwicklung ergeben. Darüber hinaus soll durch einen Vergleich von leberähnlichen Zellen, die aus hES-Zellen und adulten (somatischen) Stamm- und Vorläuferzellen (Monozytenvorläufer-Zellen, mesenchymale Stammzellen) abgeleitet werden, dazu beitragen, das hepatische In-vitro-Differenzierungspotential des jeweiligen Zelltyps besser einschätzen zu können.
Auf der Basis der Ergebnisse dieser Untersuchungen soll dann die Frage untersucht werden, ob unter Nutzung von aus hES-Zellen differenzierten leberzellähnlichen Zellen neue und verbesserte, auf humanen Zellen basierende In-vitro-Systeme für die Toxizitätsprüfung beispielsweise von pharmakologisch wirksamen Substanzen entwickelt werden können. Unerwünschte toxische Nebenwirkungen solcher Substanzen auf menschliche Zellen treten häufig erst nach ihrer Metabolisierung durch Leberzellen auf. Da die Metabolisierung zahlreicher Substanzen in der Leber auf spezies-spezifische Weise erfolgt, ist die Bestimmung humanspezifischer toxischer Effekte nur unter Nutzung von Testsystemen möglich, die auf humanen Zellen beruhen. Der Vorteil von hES-Zell-abgeleiteten Leberzellen gegenüber primären menschlichen Hepatozyten bestünde für den Fall einer künftig denkbaren Anwendung eines entsprechenden Testsystems in der hohen Reinheit der Zellpräparationen, in der guten Standardisierbarkeit sowie in der faktisch unbegrenzten Verfügbarkeit des zellulären Materials; dies ist für primäre menschliche Zellen nicht gegeben. Die geplanten Untersuchungen können folglich dazu beitragen, die Grundlagen für verbesserte Testsysteme für die Untersuchung von humanspezifischer Toxizität zu schaffen.
5. Notwendige Vorarbeiten und Erforderlichkeit der Verwendung von humanen embryonalen Stammzellen für die mit dem Vorhaben verfolgten Fragestellungen
Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass das Projekt in allen wesentlichen Punkten ausreichend vorgeklärt und der Übergang zur Nutzung humaner ES-Zellen folglich gerechtfertigt ist.
Die Differenzierung von embryonalen Stammzellen in leberzellähnliche Zellen ist in der Literatur – sowohl für ES-Zellen der Maus als auch des Menschen – mehrfach beschrieben worden. Die Differenzierungsprotokolle, die im genehmigten Projekt angewandt werden sollen, sind in der internationalen Literatur verfügbar und wurden im Antragsverfahren dargelegt. Die Expression der Gene, deren Produkte bei der Metabolisierung eine Schlüsselrolle spielen, und ihre Induzierbarkeit erfolgt, wie im Antragsverfahren dargelegt wurde, teilweise stark speziesabhängig. Eine weitere Optimierung der Differenzierungsprotokolle an tierischen Zellen sowie die Charakterisierung der dabei gewonnenen Zellen wäre nach derzeitigem Kenntnisstand voraussichtlich mit keinem relevanten Erkenntnisgewinn für die im Forschungsvorhaben vorgesehenen Fragestellungen verbunden.
Im Antragsverfahren wurde ferner dargelegt, dass Distanz-Kokulturen, deren Verwendung hier für die Untersuchung metabolischer Effekte von Hepatozyten auf andere Zellen geplant ist, bereits unter Nutzung von anderen als ES-Zellen eingesetzt wurden. Weitere zum Einsatz kommenden Methoden, beispielsweise zur Genexpressionsanalyse sowie für die vergleichenden molekularen, biochemischen und funktionellen Untersuchungen, sind in der Arbeitsgruppe des Genehmigungsinhabers seit langem etabliert bzw. in der Literatur beschrieben und im Antragsverfahren dargelegt worden.
Es wurde ferner dargelegt, dass sich der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte Erkenntnisgewinn auf dem Gebiet der Gewinnung und Kultivierung von Zellen, die weitgehend über die Eigenschaften primärer humaner Hepatozyten verfügen, voraussichtlich nur unter Verwendung von hES-Zellen erreichen lässt.
Bedingt durch Inter-Spezies-Unterschiede in den molekularen Grundlagen von Differenzierung können Protokolle für die In-vitro-Differenzierung von Stammzellen, trotz mancher grundlegender speziesübergreifender Übereinstimmungen, grundsätzlich nur bedingt von einer Spezies auf die andere übertragen werden. Folglich können die bei der Leberzell-Differenzierung des Menschen ablaufenden molekularen Prozesse nur an menschlichen Zellen untersucht werden. Gleiches gilt für die Optimierung von Protokollen für die In-vitro-Differenzierung von Leberzellen, die diese natürlicherweise in vivo ablaufenden Differenzierungsprozesse nachzubilden suchen: diese kann nur unter Nutzung menschlicher Zellen erfolgen. Zudem sind gerade im Falle der Leber bestimmte Stoffwechselvorgänge, insbesondere die Art und Weise der Metabolisierung von Xenobiotika, in hohem Grade speziesspezifisch. Dies hat zur Folge, dass Aussagen über humanspezifische Toxizität, wie sie künftig im Falle der erfolgreichen Etablierung aus dem geplanten In-vitro-Testsystem gewonnen werden könnten, nur unter Nutzung menschlicher Zellen möglich sind.
Der Genehmigungsinhaber ist seit längerem auf dem Gebiet der Differenzierung von adulten Stammzellen zu leberzellähnlichen Zellen tätig. Im Antragsverfahren wurde dargelegt, dass bisherige Versuche, verschiedene Typen humaner adulter Stammzellen in Zellen mit Eigenschaften von Leberzellen zu differenzieren, zu keinen befriedigenden Ergebnissen geführt haben, da die hergestellten Zellen i. allg. nur eine begrenzte Zahl von leberzelltypischen Proteinen in teils unzureichender Menge produzierten. Etablierte humane Leberzell-Linien, die meist aus Leberzell-Karzinomen stammen, weisen ebenfalls nur noch wenige physiologische Eigenschaften von Leberzellen auf und metabolisieren Xenobiotika nicht oder nicht mehr in für humane Leberzellen typischer Weise. Primäre menschliche Hepatozyten, die meist aus Leberresektionen im Zusammenhang mit einer Tumorentfernung stammen, besitzen zwar für eine gewisse Zeit Eigenschaften von Hepatozyten, können jedoch in Kultur nicht vermehrt werden und neben Hepatozyten auch andere Zellen enthalten. Zudem sind sie, beispielsweise auf Grund des Alters und der individuellen Krankheitsgeschichte des Patienten, schlecht standardisierbar. Dies und ihre mangelnde Verfügbarkeit lassen sie für die Klärung wissenschaftlicher Fragestellungen im Zusammenhang mit der Entwicklung eines standardisierbaren Testsystems wenig zweckmäßig erscheinen, wenn dieses künftig zur reproduzierbaren Überprüfung von humanspezifischer Toxizität geeignet sein soll. Die Prozesse der Leberregeneration im adulten Organismus und die Natur der daran beteiligten (Vorläufer-)Zellen sind derzeit noch wenig verstanden. Folglich kommen gewebespezifische Vorläuferzellen als zuverlässige Quelle zur Gewinnung menschlicher Hepatozyten nach gegenwärtigem Kenntnisstand ebenfalls nicht in Betracht. Über die gezielte hepatische Differenzierbarkeit induzierter pluripotenter Stammzellen (iPS-Zellen) gibt es zur Zeit keine publizierten Erkenntnisse. Insofern kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die Projektziele unter Nutzung von iPS-Zellen des Menschen erreicht werden können; die Verwendung von hES-Zellen im beantragten Projekt bleibt folglich notwendig.
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