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Hausverfügung: Dual-Use-Potenzial in der Forschung

- Verfahrensregel zur Vermeidung und Minimierung von Risiken -

1 Einleitung

Forschung und Entwicklung in den Lebenswissenschaften haben entscheidend zum Fortschritt und zur Verbesserung der Lebensverhältnisse beigetragen. Gleichzeitig besteht jedoch die grundsätzliche Gefahr, dass Erkenntnisse der Lebenswissenschaften missbraucht und zum Schaden von Gesellschaft und Umwelt eingesetzt werden können; dieser Komplex der „doppelten Verwendbarkeit“ von wissenschaftlichen Erkenntnissen wird als Dual-Use-Problematik bezeichnet.

Auf dem Feld der Forschung an pathogenen Mikroorganismen und Toxinen stellt sich das Missbrauchspotenzial wissenschaftlicher Erkenntnisse deutlich dar: Sind einerseits Erkenntnisse zur Übertragbarkeit, Pathogenese und Genomik von pathogenen biologischen Agenzien unverzichtbar, um ihre Aus- und Weiterverbreitung zu verhindern und die Behandlung von Infektionen und Intoxikationen zu ermöglichen oder zu verbessern, so können sie unter Umständen auch dazu genutzt werden, Menschen, Pflanzen oder Tiere zu schädigen.

Für Einrichtungen, die sich mit pathogenen Erregern und Toxinen befassen – wie das Robert Koch-Institut (RKI) – ist es daher erforderlich, ein Verfahren zu etablieren, das

  • einerseits die Freiheit der Forschung zum Nutzen der Gesellschaft bewahrt und
  • andererseits die Verbreitung von Informationen und Forschungsergebnissen zum Schaden von Gesellschaft und Umwelt verhindert.

2 Grundlegende Prinzipien

Das Verfahren zur Vermeidung bzw. Minimierung von Dual-Use-Risiken im RKI orientiert sich an folgenden Prinzipien:

  • Ohne die Lebenswissenschaften ist ein Fortschritt in Medizin und Gesundheitsschutz nicht möglich. Die Durchführung von Forschungsarbeiten – auch und gerade auf dem Gebiet pathogener und hochpathogener Erreger und Toxine – und die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse sind daher grundsätzlich erforderlich.
  • Forschungsvorhaben sind auf ein mögliches Missbrauchspotenzial zu überprüfen.
  • Durch eine verantwortungsvolle Planung und Durchführung der Forschungsvorhaben und sowie eine verantwortungsbewusste Veröffentlichungspraxis soll jedes Missbrauchspotenzial so weit wie möglich minimiert werden. Dabei sind Forschungsnotwendigkeit und Sicherheitserfordernis gegeneinander abzuwägen.
  • Eine Veröffentlichung der Forschungsergebnisse erfolgt nur, wenn der potenzielle Nutzen der offengelegten Informationen ihr Risiko überwiegt.
  • Die primäre Verantwortung für sein/ihr Forschungsvorhaben trägt der/die federführende Wissenschaftler/in/Arbeitsgruppenleiter/in (nachfolgend: Projektleiter/in). Es liegt in seiner/ihrer Verantwortung, sich das notwendige Wissen zur Bewertung seiner/ihrer Forschungsarbeiten anzueignen und die aktuelle maßgebliche Literatur zu verfolgen. Er/sie hat seine/ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entsprechend zu sensibilisieren und fortzubilden. In der Verantwortung stehen zudem die Fachgebiets- und Abteilungsleitungen sowie das RKI als gesamtverantwortliche Institution.
  • Diese Verantwortung wird wahrgenommen, um eine effektive Vermeidung bzw. Minimierung potenzieller Risiken zu erreichen und nicht zuletzt auch, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in das RKI als Forschungseinrichtung im Dienste der öffentlichen Gesundheit zu erhalten und zu stärken.
  • Eine Auseinandersetzung mit der Problematik des Dual-Use sowie die Entwicklung eines Problembewusstseins sind für alle Wissenschaftler/innen und das Institut insgesamt unverzichtbar; die Dual-Use-Problematik ist daher bei Fortbildungsveranstaltungen und der Weiterqualifizierung von wissenschaftlichen Mitarbeitern zu berücksichtigen.

3 Kriterien für potenziellen Dual-Use von Forschungsarbeiten und -ergebnissen

Erkenntnisse der Lebenswissenschaften beinhalten ein unterschiedlich ausgeprägtes Potenzial, in einem unvorhersehbaren Kontext zu einer missbräuchlichen Anwendung beizutragen.

Ein besonderes Potenzial für einen möglichen Dual-Use haben insbesondere Forschungsarbeiten,

  • deren Ergebnisse, Produkte oder Technologien,
  • nach dem gegenwärtigen Stand des Wissens,
  • direkt durch Dritte angewendet werden können,
  • um die öffentliche Ordnung, die öffentliche Gesundheit oder die Umwelt zu gefährden.

Es handelt sich hierbei in der Regel um Forschungsarbeiten, die Möglichkeiten aufzeigen oder Produkte und Technologien bereitstellen, um

  • eine Transmissibilität von Mikroorganismen zu erreichen oder ihre Infektiösität zu erhöhen,
  • die Virulenz von Mikroorganismen oder Toxinen zu erhöhen,
  • die Tenazität von Mikroorganismen oder Toxinen zu erhöhen,
  • die Aufnahme von Toxinen zu erleichtern,
  • Resistenz von Mikroorganismen gegen therapeutische oder prophylaktische antimikrobielle oder antivirale Substanzen zu verstärken oder zu induzieren,
  • die Verbreitungsfähigkeit, Ausbringungsfähigkeit oder „Waffenfähigkeit“ von Mikroorganismen und Toxinen zu erhöhen,
  • die Immunität gegen Mikroorganismen herabzusetzen,
  • den Wirtstropismus eines Mikroorganismus oder Toxins zu verändern,
  • die Suszeptibilität von Wirtsorganismen zu erhöhen,
  • gänzlich neue Pathogene zu generieren oder bereits zurückgedrängte (eradizierte / eliminierte / kontrollierte / natürlich verschwundene) Pathogene wieder zu erschaffen,
  • die Absorptionseigenschaften eines biologischen Agens oder die Toxikokinetik in wirkungssteigernder Art zu verändern,
  • Wege zur Herabsetzung der Effektivität von Medical Countermeasures (Impfungen, therapeutischen und prophylaktischen Mitteln) aufzuzeigen,
  • die Umgehung diagnostischer Methoden zu ermöglichen.

Forschungsarbeiten und -ergebnisse, die ähnliche Auswirkungen und Konsequenzen wie die hier aufgelisteten vermuten lassen, unterliegen gleichfalls dieser Verfahrens- und Verhaltensregel.

Ferner soll die Herstellung und Lagerung von wesentlich mehr infektiösem oder toxischem Material als für die Durchführung des vorgeschlagenen Vorhabens bzw. für die Führung von Stammsammlungen benötigt wird, vermieden werden. Hierbei sind alle gesetzlichen und institutsinternen Vorgaben zu beachten.

4 Evaluierung von Forschungsprojekten hinsichtlich ihres „Dual-Use“-Potenzials

4.1 Zeitpunkte der Evaluierung

Jedes Forschungsprojekt, auch solche, die nicht formal beantragt werden und Kooperationen, wird zu folgenden Zeitpunkten auf sein Dual-Use-Potenzial überprüft:

  • in der Planungsphase (z.B. bei der Beantragung des Projektes),
  • während des Projektverlaufs (in der Regel vor Beginn einer neuen Projektphase und bei Ergebnisauswertung), insbesondere jedoch bei unerwarteten oder kritischen Ergebnissen (s. Kriterien unter 3.)
  • vor Verwertung der Ergebnisse, d.h. in der Regel vor Veröffentlichung.

Beiträge von Kooperationspartnern sowie die Weitergabe von Ergebnissen und Produkten an Kooperationspartner sind zu berücksichtigen. Veröffentlichungen können auch Präsentationen von vorläufigen Ergebnissen oder ggf. auch Förderanträge sein. Ausgenommen ist die Vorstellung von Zwischenergebnissen (z.B. Vorträge, Poster) aus Projekten, deren initiale Bewertung kein Dual-Use-Potenzial ergeben hat und bei denen es keinerlei Hinweise gibt, die eine Änderung dieser Bewertung annehmen lassen.

4.2 Risikobewertung und -management

  1. Bei der Planung von Forschungsvorhaben ist durch den/die Projektleiter/in (bzw. den kooperierenden RKI-Wissenschaftler bei Kooperationsprojekten) ein Prüfvermerk, der eine Kriterienliste zur Feststellung eines Dual-Use-Potenzials enthält, zu erstellen und den Planungsdokumenten beizufügen. Sollten sich keine Anhaltspunkte für einen möglichen Dual-Use ergeben, dokumentiert der/die Projektleiter/in das Ergebnis mit seiner Unterschrift und legt dem/der nächsten Vorgesetzten (Vier-Augen-Prinzip) den Prüfvermerk zur Kenntnis vor; die Prüfung ist hiermit vorläufig beendet. Ausgenommen sind eine erneute Bewertung beim Auftreten unerwarteter kritischer Ergebnisse und die Abschlussbewertung vor Publikation.
  2. Ist ein Kriterium der Dual-Use-Kriterienliste erfüllt, muss durch den/die Projektleiter/in eine Dual-Use-Risiko-/Nutzenanalyse durchgeführt und dokumentiert werden.
  3. In der Dual-Use-Risiko-/Nutzenanalyse ist die vom Projektleiter/von der Projektleiterin vorgenommene Abwägung der entstehenden Risiken gegen den potenziellen Nutzen darzulegen. Gegebenenfalls sind Maßnahmen vorzusehen, die geeignet sind, das Risiko eines Missbrauchs zu minimieren. Sollte dies nicht möglich sein und überwiegt sein potenzieller Nutzen nicht den potenziellen Schaden, wird das Forschungsvorhaben am RKI nicht durchgeführt.
  4. Andernfalls sind die Projektunterlagen, die Risiko-/Nutzenanalyse und ggf. resultierende Vorschläge zur Vermeidung bzw. Minimierung eines Dual-Use-Risikos dem/der nächsten Vorgesetzten zur Entscheidung vorzulegen. Stimmt diese/dieser dem Vorhaben nicht zu, wird es nicht weiter verfolgt.
  5. Befürwortet der/die nächste Vorgesetzte das Vorhaben, wird der Vorgang einschließlich der Dual-Use-Risiko-/Nutzenanalyse (ggf. mit Vorschlägen zur Risikominimierung) der Institutsleitung auf dem Dienstweg zur Entscheidung vorgelegt.
  6. Benötigt die Institutsleitung für ihre abschließende Entscheidung eine Beratung, bittet sie den/die Forschungsbeauftragte/n, von drei internen Sachverständigen eine schriftliche Dual-Use-Risiko-/Nutzenanalyse des vorgeschlagenen Projektes einzuholen. Der/die Forschungsbeauftragte fasst die Stellungnahmen zusammen, gibt dazu ein Votum ab und legt dieses unter Beifügung der eingeholten Stellungnahmen der Institutsleitung erneut zur Entscheidung vor.
  7. Sollten Zwischenergebnisse des Forschungsvorhabens darauf hinweisen, dass sich ein höheres Dual-Use-Potenzial als in der ursprünglichen Dual-Use-Risiko-/Nutzenanalyse angenommen ergeben könnte, muss das Projekt neu bewertet werden (siehe 1 - 6).
  8. Bei Beendigung des Forschungsvorhabens sind die tatsächlich erzielten Ergebnisse hinsichtlich ihres Dual-Use-Potenzials erneut zu bewerten; sollte sich ein höheres Dual-Use-Risiko als in einer vorangegangenen Dual-Use-Risiko-/Nutzenanalyse ergeben, ist dies der Institutsleitung auf dem Dienstweg anzuzeigen, um eine Entscheidung über den Umgang mit den Ergebnissen/Daten herbeizuführen.
  9. In der Veröffentlichungsanzeige des betreffenden Manuskripts gegenüber der Leitung des RKI ist die Durchführung der Evaluation des Forschungsvorhabens auf mögliche Dual-Use-Risiken und ihr Ergebnis zu dokumentieren.
  10. Abteilungen, die zunächst von der Bewertung des Dual-Use-Potenzials mittels Evaluierungsbogen befreit sind (Abteilung 2 und 3), müssen Projekte, die dieses Potenzial haben könnten, ebenfalls nach den hier genannten Kriterien bewerten und anzeigen.

5 Sensibilisierung zur Dual-Use-Problematik

Die Sensibilisierung der Mitarbeiter/innen hinsichtlich des Dual-Use-Potenzials soll durch Fortbildungsangebote auf drei Ebenen erfolgen.

  1. Ein eintägiges Seminar für Wissenschaftler/innen, das mehrfach im Jahr angeboten wird. Dieses Seminar wird darauf abgestimmt sein, Antragstellern Werkzeuge und Entscheidungshilfen an die Hand zu geben, die ihnen ermöglichen, das Dual-Use-Potenzial ihrer Forschung abzuschätzen.
  2. Bereitstellung eines online-Tools zum Selbststudium, das von jedem/jeder Wissenschaftler/in verbindlich durchzuarbeiten ist. Der Nachweis wird bei der Fachgebietsleitung geführt.
  3. Veranstaltung von jährlich einem internen Seminar zur Dual-Use-Thematik, um alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für dieses Thema zu sensibilisieren.

Gegenstand der Fortbildung sind auch die geltenden Gesetze und Richtlinien (u.a. Infektionsschutzgesetz, Arbeitsschutzgesetz, Biostoff-Verordnung, Gentechnikgesetz, Gentechnik-Sicherheitsverordnung, Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck – sog. Dual-Use-Verordnung), die alle Wissenschaftler/innen kennen und beachten müssen. Ein Leitfaden zu Risikobewertung und Management eines Forschungsvorhabens mit „Dual-Use“-Potenzial findet sich z.B. in APPENDIX 4, ein Leitfaden zur Nutzen-Risikobewertung einer Veröffentlichung von Forschungsergebnissen mit „Dual-Use“-Potenzial in APPENDIX 5 der Veröffentlichung „Proposed Framework for the Oversight of Dual Use Life Sciences Research: Strategies for Minimizing the Potential Misuse of Research Information“ des „National Science Advisory Board for Biosecurity“ der USA. Es wird ausdrücklich auf die Richtlinien zur Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis verwiesen.

Stand: 25.03.2013

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